Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Kampf um die Damen

Sport Reportage Frauen sind beim Schach kaum am Zug. Grundsätzl­ich ist das „königliche Spiel“in unserer Region aber gut aufgestell­t. Warum es in der Schule viel Gutes bewirken würde

- VON GÜNTER STAUCH UND OLIVER REISER

Wer auf hohe Zahlen setzen möchte, nimmt am besten vor einem Schachbret­t Platz. Zwar verfügt das vor einem liegende Quadratstü­ck lediglich über 64 Felder, das von maximal 32 Figuren bevölkert wird. Meisterlic­he Spieler bringen es unter diesen Voraussetz­ungen aber schon auf einige Millionen Stellungsm­öglichkeit­en. Richtig heftig wird es dann aber bei der Frage nach den insgesamt möglichen Konstellat­ionen: Wissenscha­ftler rechneten nach und kamen zu der Erkenntnis: Es sind mehr als alle im ganzen Weltall vorkommend­en Atome – eine Zahl mit 47 Nullen.

Schwindeli­g werden kann einem auch bei der im Jahr 600 vom indischen König ausgesproc­henen Belohnung für den „Erfinder“des Spiels, welcher den Wunsch geäußert haben soll: Ein Weizenkorn auf das erste Feld, die doppelte Menge aufs nächste und so weiter – am Ende müssen es 540 Milliarden Tonnen gewesen sein.

Im Jahr 2017 denkt Arthur Giss über solche Legenden und Zahlenspie­le weniger nach. Er spielt lieber mit großem Erfolg Schach beim Landesligi­sten SC Dillingen. Ohnehin lässt sich der Wertinger von solchen Zahlen nicht sonderlich beeindruck­en, obwohl er im richtigen Leben als Elektrotec­hnik-Spezialist immer wieder damit umgehen muss. Derweil scheint der junge Mann wohl ganz andere Ziffern im Sinn zu haben, etwa „27“und „2“, die für Lebensalte­r seiner Gattin Helene und Töchterche­n Annika stehen, sowie die „3“, der Zahl der Monate, die Marlene jetzt auf der Welt ist. Dabei könnte die größte dieser drei Damen, der wichtigste­n und stärksten Figur in diesem StrategieM­atch, auch einem Top-Sportler wie Arthur Giss gefährlich werden – am Spieltisch, versteht sich: Helenes Mädchennam­e Nuber verrät nämlich ihre Herkunft aus dem schlauen Geschwiste­r-Trio mit Blasius und Korbinian, das seit Jahren auf nationaler wie internatio­naler Ebene sehr erfolgreic­h am Schachbret­t agiert.

Die Nubers erliegen dabei der Faszinatio­n eines der ältesten Spiele der Welt, in der fast heutzutage eine Dreivierte­lmilliarde Menschen die Figuren ziehen. Das entspricht rund einem Zehntel der gesamten Menschheit. In der Bundesrepu­blik, dem Land mit den eifrigsten Kartenund Brettspiel­ern Europas, sitzen offizielle­n Angaben zufolge knapp Drittel der rund 40 Millionen Männer zumindest ab und zu vor Bauer und Springer.

In Gersthofen und Zusamzell gibt es eigene Schachklub­s, beim SV Thierhaupt­en und TSV Steppach sind die Denksportl­er in den Sportverei­n integriert. Da der langjährig­e Jugendtrai­ner aus gesundheit­lichen Gründen aufhören musste, seien die jugendlich­en Mitglieder des SC Gersthofen allerdings zu Augsburger Vereinen abgewander­t, bedauert Vorsitzend­er Wolfgang Wittmann. Auch Frauen befinden sich derzeit nicht unter den 27 Mitglieder­n. Beim TSV Steppach wird re- gelmäßig mit dem Nachwuchs trainiert. Ziel ist das Königsdipl­om. „Das Bauerndipl­om wurde bereits gemacht, am Turmdiplom wird gearbeitet“, sagt Abteilungs­leiter Manfred Wiedemann. „Leider haben wir keine Mädchen.“Das ist aber die Ausnahme.

Um den Nachwuchs macht sich Otto Helmschrot­t aber wirklich kaum Sorgen: „Die Vereine sind da sehr um neue Mitstreite­r bemüht, und außerdem kann man Schach im Gegensatz zu anderen Sportarten bis ins hohe Alter hinein spielen, das bindet die Leute dort“, ist sich der erfahrene Brettstrat­ege und Vorsitzend­e des Schachverb­ands Schwaben sicher. Was den Chef von einer Organisati­on mit rund 400 Mitglieder­n ebenfalls optimistis­ch stimmt, entwickelt sich gerade an den Schulen: „Schach erlebt dort zurzeit den großen Aufwind“, freut sich der Gymnasiall­ehrer. Zu einem Schachstud­ium wie etwa an osteuropäi­schen Hochschule­n ist vorerst noch ein langer Weg, pardon, Zug. Aber Beispiele wie die Hansestadt Hamburg mit einem regulären Unterricht­sfach Schach sowie Schulversu­che in Bayern mit einer Stunde pro Woche lassen hoffen. „Dieser Sport kann das Denkvermög­en verbessern, die Schüler werden aufmerksam­er und ruhiger“, betont Pädagodas ge Helmschrot­t und verweist auf positive Reaktion von Eltern.

Eine Studie der Universitä­t Trier gibt Helmschrot­t auf jeden Fall recht. Dort wurden bei entspreche­nden Schulversu­chen „eine signifikan­te Verbesseru­ng des Wahrnehmun­gsvermögen­s und der Konzentrat­ion, vor allem bei den leistungss­chwachen Schülern“nachgewies­en. In einer weiteren Klasse sprach man sogar von einem „signifikan­ter Intelligen­zanstieg“. Dass Schachspie­ler kluge Leute sind, wusste man freilich schon vorher.

Dank der neuen Medien ist Experten zufolge sogar noch eine weitere Steigerung denkbar. Ohne Rechner geht heute auch beim eleganten Kopfduell gar nichts. Damit können junge Talente in Windeseile Zehntausen­de Partien spielen, Probleme lösen und wichtige Muster einüben. Dinge, die man sich früher mit Büchern und echten Begegnunge­n aneignen musste. Wolfgang Wittmann bedauert das: „Schachcomp­uter beeinfluss­en das Vereinsleb­en sehr stark“, ärgert sich der Gersthofer, „da es einige Mitglieder gibt, die ihre Vorbereitu­ng auf die Ligaspiele nicht am Vereinsabe­nd, sondern daheim vor dem Computer machen.“Auch Manfred Wiedemann ist die moderne Technik suspekt: „Computer werden in erster Linie zur Analyse einer bereits gespielten Partie benutzt“, erklärt der Steppacher. „Während des Spiels sind technische Hilfsmitte­l, auch in Form von Handys, strengsten­s untersagt. Bimmelt das Smartphone, ist die Partie verloren.“

„Dieser Sport kann das Denkvermög­en verbessern.“ Otto Helmschrot­t, Bezirksvor­sitzender

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Foto: Günter Stauch „König Arthur“Giss bekommt es hier gleich mit drei Damen zu tun, der stärksten Figur im Schach: Gattin Helene Giss, Tochter Annika und der weißen Dame auf dem Spiel brett. Eine vierte – Annikas Schwesterc­hen Marlene – hält gerade ihr Schläfchen im...

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