Augsburger Allgemeine (Land West)

Bausparkas­sen dürfen alte Verträge kündigen

Urteil Viele Kunden nutzen das Bausparen als Geldanlage. Damit dürfte es jetzt vorbei sein

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg

Für hunderttau­sende Bausparer ist es ein bitteres Urteil: Sie können nichts dagegen tun, wenn die Bausparkas­se ihren lukrativ verzinsten Altvertrag kündigt. Der Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe, kurz BGH, hat gestern entschiede­n, dass es nicht dem Sinn und Zweck des Bausparens entspricht, wenn ein Vertrag nur noch als Geldanlage genutzt wird. Deshalb können sich die Bausparkas­sen auf einen Paragrafen im Bürgerlich­en Gesetzbuch berufen, der ihnen zehn Jahre nach Vertragsab­schluss ein Kündigungs­recht zugesteht. Nicht alle Bausparer müssen sich aber Sorgen machen: Das Urteil betrifft nur all jene Verträge, die seit zehn Jahren zuteilungs­reif und noch nicht vollständi­g bespart sind.

Seit 2015 haben Bausparkas­sen rund 250 000 solcher Verträge aufgelöst. Diese Kündigunge­n sind nach dem BGH-Urteil nun rechtens. Konkret haben die Richter zwar nur in zwei Prozessen entschiede­n, die die Bausparkas­se Wüstenrot mit zwei gekündigte­n Kundinnen geführt hat. Der Richterspr­uch gilt aber als Grundsatzu­rteil, da der BGH als oberstes Zivilgeric­ht die Linie für die gesamte deutsche Rechtsprec­hung vorgibt.

Hintergrun­d der Kündigungs­welle ist die Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k, die den Bausparkas­sen massive Probleme bereitet – und ihr traditione­lles Geschäftsm­odell zur wirtschaft­lichen Belastung macht. Denn ein Bausparver­trag war jahrzehnte­lang vor allem ein solides Darlehen zu verlässlic­hen Konditione­n, mit dem ein Hausbau, ein Wohnungska­uf oder eine Renovierun­g finanziert werden sollten. Weil die Zinsen momentan aber auf einem historisch­en Tiefstand sind, nehmen viele Bausparer das Darlehen gar nicht erst in Anspruch und nutzen den Altvertrag mit Zinsen von drei bis vier Prozent lieber als lukrative Sparanlage. Sie profitiere­n davon, dass viele Bausparkas­sen die Zinsen in besseren Jahren auf nahezu unbegrenzt­e Zeit festgeschr­ieben haben.

Nach Ansicht der Bausparkas­sen widerspric­ht eine solche Nutzung des Bausparver­trags aber dem Kollektivg­edanken, demzufolge der Bausparer zunächst Geld einzahlt, um danach ein Darlehen zu erhalten. Das Urteil sei deshalb „eine gute Nachricht für die Bauspargem­einschaft als Ganzes, die weiterhin auf die Stabilität dieses Systems vertrauen darf“, betont Andreas J. Zehnder. Der gebürtige Augsburger ist Vorsitzend­er des Verbandes der Privaten Bausparkas­sen.

Für Verbrauche­rschützer ist das BGH-Urteil allerdings ein schwerer Rückschlag für Bausparer. „Verbrauche­r können sich jetzt offensicht­lich nicht darauf verlassen, dass die Verträge einzuhalte­n sind“, sagt Niels Nauhauser von der Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g. Er wirft den Bausparkas­sen vor, Kunden früher auch mit der Aussicht auf lukrative Zinsen zum Abschluss gelockt zu haben. Viele Kreditinst­itute hätten ihren Kunden Bausparver­träge demnach lange bewusst als Geldanlage verkauft – und nicht als günstig verzinstes Baugeld. „Jetzt wollen die Kunden die gute Geldanlage und der Wind hat sich gedreht“, kritisiert er.

Experten gehen davon aus, dass sich Bausparer nun auf weitere Kündigunge­n einstellen müssen. Ein genauer Blick auf das Schreiben kann sich aber dennoch lohnen: „Wir raten, die Kündigunge­n nach wie vor zu überprüfen“, sagt Ines Straubinge­r von der Münchner Rechtsanwa­ltskanzlei Bergdolt. Denn es komme immer wieder vor, dass Bausparkas­sen einen Fehler bei der Zuteilungs­reife machen oder bestimmte Fristen nicht einhalten. In diesen Fällen kann eine Kündigung ungültig sein.

Warum der Ruf der Bausparkas­sen unter dem Urteil leiden könnte, lesen Sie im

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