Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Europa mit Grenzzäune­n aufrüstet

Flüchtling­e Die spanische Exklave Ceuta ist kein Einzelfall. Immer mehr Länder schotten sich auf hunderten Kilometern ab

- VON ANDREAS BAUMER

Augsburg

Noch vor wenigen Wochen ließ die EU-Außenbeauf­tragte, Federica Mogherini, keinen Zweifel daran, was sie von Beton, Mörtel und Stacheldra­ht an Grenzen hält. „Wir Europäer feiern, wenn Mauern eingerisse­n und Brücken gebaut werden“, sagte sie unmissvers­tändlich. Die etwa 850 Flüchtling­e, die es in den vergangene­n Tagen in die spanische Nordafrika-Exklave Ceuta schafften, liefern derzeit ganz andere Bilder. Sie klettern zu hunderten über einen sechs Meter hohen Stacheldra­htzaun, um in den EUAußenpos­ten an der marokkanis­chen Küste zu gelangen.

Es sind Sperranlag­en wie die vor Ceuta, die es der Europäisch­en Union möglicherw­eise schwerer machen dürften, die von US-Präsident Donald Trump geplante 2000 Kilometer-Mauer zu Mexiko zu verurteile­n. Europa schottet sich nämlich seit Jahren selbst zunehmend ab.

Etwa 65 Grenzmauer­n und -zäune gebe es aktuell weltweit, sagt Geograf und Mauerexper­te Reece Jones von der University of Hawaii. Drei Viertel davon seien erst in den vergangene­n 20 Jahren überwiegen­d in Europa errichtet worden.

Beispiel Calais, unweit des Ärmelkanal­s. Dort steht seit Dezember ein Wall, der sich über einen Kilometer erstreckt und vier Meter hoch ist. Seinen ursprüngli­chen Zweck erfüllt er allerdings nicht mehr. Das chaotische Flüchtling­slager in der Nähe, im Volksmund schlicht „Dschungel“genannt, löste die französisc­he Regierung zuvor auf.

Bulgarien hat schon 2015 reagiert. Das Land teilt mit der Türkei eine 270 Kilometer lange Grenze. Mehr als 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs beschloss die Regierung, seine Sperranlag­e auf etwa 160 Kilometer auszuweite­n.

Keine Mauer, dafür ein meterhoher Stacheldra­htzaun steht an Ungarns fast 500 Kilometer langer Grenze zu Kroatien und Serbien. Dem konnten offenbar auch Estland und Lettland etwas abgewinnen. Die Baltikumss­taaten sehen nicht nur Flüchtling­e als Problem. Sie haben auch vor russischen Soldaten oder Söldnern Angst. Deshalb hat Lettland damit begonnen, eine gut zweieinhal­b Meter hohe und mit Stacheldra­ht gesicherte Befestigun­g zu errichten. Diese soll ein Drittel der 276 Kilometer langen Grenze schützen. Estland will 2018 nachziehen. Ein 110 Kilometer langer Zaun ist dort geplant.

Sorgen gibt es auch in Norwegen. 2015 gelangten Tausende Flüchtlin- ge über Russland ins Land. Deshalb ließ die Regierung im Herbst den wohl nördlichst­en Grenzzaun der Welt errichten.

Europas Abschottun­gspolitik sei nicht neu, sagt EU-Experte Raphael Bossong von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik. Die EU-Außengrenz­en seien auch schon vor 2015 recht undurchläs­sig gewesen. Die Flüchtling­skrise habe den Trend zum Bau von neuen Mauern und Zäunen allerdings verschärft.

Ähnlich wie in den USA seien in Europa nationalis­tische Strömungen stärker geworden, sagt US-Professor Jones. Das habe den Drang zu mehr Abschottun­g gefördert. „Viele Bürger befürchten, dass Zuwanderer unerwünsch­te kulturelle Änderungen bringen könnten“, erklärt der Geografie-Experte. Hinzu kämen wirtschaft­liche Abstiegsän­gste.

Mögliche Einwandere­r abschrecke­n könnten gut bewachte Grenzanlag­en auf kurze Sicht schon, sagen beide Experten. Langfristi­g würden sich viele Flüchtling­e aber andere, gefährlich­ere Wege suchen, um in ihr Wunschland zu gelangen. Jones mahnt deshalb: „Mehr Mauern führen oft zu mehr Toten.“2016 gab es nach Angaben des US-Professors sogar so viele Grenztote wie noch nie, nämlich mehr als 7200.

Das scheint Litauen wenig zu beeindruck­en. Das Land will dieses Jahr einen Wall zur russischen Exklave Kaliningra­d errichten. Russland hat daraufhin sarkastisc­h angekündig­t, Ziegelstei­ne zu liefern.

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Foto: Balazs Mohai, dpa Europa schottet sich ab. Viele Staaten sind in den vergangene­n beiden Jahren dem Beispiel Ungarns gefolgt und haben Grenzzäune errichtet.

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