Augsburger Allgemeine (Land West)
Jeder Sterbende soll ein Bett haben
Medizin In Bayern kommt auf gut 60 000 Einwohner ein Platz im Hospiz. Das reicht nicht, sagt die SPD im Landtag. Gerade auf dem Land sei der Umgang mit den Betroffenen „unwürdig“
Augsburg
Manche Gäste bleiben mehrere Wochen, andere nur zwei oder drei Tage. „Gäste“, so nennen die Pfleger im Benild-Hospiz die Menschen, die zum Sterben zu ihnen kommen. Seit die Einrichtung in Illertissen im Kreis Neu-Ulm vor rund zwei Jahren eröffnet hat, seien die acht Betten nahezu durchgehend belegt gewesen, sagt Andreas Lazarek, der Geschäftsführer des Hauses. Dann gibt es noch die Namen auf der Warteliste. Für manche der Menschen, die darauf eingetragen sind, wird zu spät ein Bett frei.
Eine Warteliste für schwer erkrankte Menschen – das sei nicht zumutbar, beklagt jetzt die SPDGesundheitspolitikerin Kathi Petersen. Sie sehe „erheblichen Nachholbedarf bei Plätzen in der Hospizund Palliativversorgung“, betonte die Abgeordnete aus Schweinfurt gestern. Sie fordert die Staatsregierung auf, so viele Hospiz- und Palliativplätze einzurichten, wie für den heutigen Bedarf nötig seien. „Es geht hier um die menschenwürdige Versorgung von Menschen auf ihrem letzten Lebensabschnitt.“
Ein Platz pro 60 000 Einwohner: So berechnet das Ministerium für Gesundheit und Pflege derzeit den Bedarf an stationärer Hospizversorgung in Bayern. Diese Annahme ergebe sich „aufgrund langjähriger Erfahrungen“, hieß es nach einer Anfrage Petersens aus dem Gesundheitsministerium. Bei etwas mehr als 12,8 Millionen Einwohnern in Bayern ergibt das rund 210 stationäre Hospizplätze, in denen Menschen bis zum Tod begleitet werden. 186 Betten gibt es. Dazu kommen aber 457 Plätze in den Palliativstationen von Krankenhäusern, wo die Symptome schwerstkranker Menschen gelindert werden. Die letzte Station muss das nicht sein: Einer groben Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zufolge kann etwa die Hälfte der Patienten dort zwar nicht mehr geheilt, aber nach Hause entlassen werden.
Auf Nachfrage unserer Zeitung bezifferte das Haus von Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) die Auslastung der stationären Angebote mit rund 80 Prozent. Das ist allerdings eine Durchschnittszahl. Sie schließt nicht aus, dass hin und wieder Menschen auf einen Platz im Hospiz warten müssen. Sollen in einer Region dauerhaft mehr Plätze geschaffen werden, muss der Antragsteller den Bedarf beim Ministerium nachweisen.
Andreas Lazarek und seine Mitstreiter in Illertissen haben dafür Ärzte und Kliniken befragt und berechnet, wie weit die nächsten Hospizeinrichtungen entfernt sind. „Wir hatten eine große Lücke in der Versorgung.“In der nächstgelegenen Palliativstation in Ulm habe man damit gerechnet, dass die Zahl der Patienten durch das neue Haus in Illertissen sinken würde. „Aber sie haben es nicht einmal bemerkt.“Für ihn ist das noch ein Beweis, dass es im Kreis Neu-Ulm bislang an Betten für Menschen fehlte, die im Sterben liegen. Auch die SPD-Poli- tikerin Petersen sieht das Problem vor allem in ländlichen Gegenden. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es dazu, dass vielerorts ambulante Dienste sich um die Menschen kümmern würden. Außerdem sei im Notfall jedes Krankenhaus verpflichtet, die Leute aufzunehmen. Sind die Palliativbetten allesamt belegt, muss der Patient auf einer anderen Station versorgt werden.
Fernab jeder politischen Diskussion steht im Illertisser Benild-Hospiz eine Sache immer fest: Der Gast kann selbst bestimmen, wie er seinen letzten Weg gehen möchte. Andreas Lazarek und sein Team sind sich einig: „Niemand darf im Sterben seine Individualität verlieren.“