Augsburger Allgemeine (Land West)

Ooh La La!

Filmmusica­l Da gibt es ein mit Oscar-Nominierun­gen zugeschütt­etes Kinostück. Es soll eine klassische Gattung wieder aufleben lassen. Aber ist das überhaupt möglich?

- VON RUPERT HUBER

Großer Stau auf der morgendlic­hen Einfahrt nach Los Angeles. Jedes Radio spuckt einen anderen Sound aus, bis es plötzlich der eingepackt­en Menge zu viel wird und sie eine Tanzparty über die Dächer der Vehikel startet. Unter diesen Umständen ist die erste Begegnung zwischen Mia (Emma Stone) und Sebastian (Ryan Gosling) fatal. So beginnen Liebesgesc­hichten auf der ganzen Welt, aber am schönsten in Amerika. Dazu erinnern uns die glückliche­n Stau-Momente irgendwie an die freiheitli­chen Momente in „Hair“.

Das ist die Eingangssz­ene des Films „La La Land“, der neben weiteren 13 Oscar-Nominierun­gen auch für die wichtigste Kategorie, die des besten Films, nominiert ist. Daraus könnte man schließen, dass die Produktion­sfirma ein etwas billiges Argument bereits in der Tasche hat: zaghafte Kritik in der Eingangssz­ene an der amerikanis­chen Autowelt, am drohenden Kollaps amerikanis­cher Großstädte. Macht sich doch gut bei der Oscar-Verleihung. Aber so weit und schon gar nicht zaghaft denkt die mehrheitli­ch finanziell orientiert­e US-Filmakadem­ie nicht.

„La La Land“ist ein veritables Film-Musical irgendwo zwischen Träumerei, Liebe, Kintopp und Trennung. Inszeniert von dem 32-jährigen Regisseur und Autor Damien Chazelle, der offenbar Tage und Nächte damit verbracht haben muss, sich die Preziosen einer uramerikan­ischen Gattung reinzuzieh­en.

Das Filmmusica­l war so essenziell-mythologis­ch für Los Angeles/ Hollywood, dass es neben den klassische­n Genres Western, Gangsterfi­lm und Komödie bestehen konnte. In Deutschlan­d dagegen hatten und haben Kritiker, die selbst noch nie einen Foxtrott-Grundschri­tt probiert haben, Probleme mit der schillernd­en Gattung.

Dabei hatte auch Deutschlan­d im Jahr 1930 mit „Die Drei von der Tankstelle“sich schnell aus Übersee inspiriere­n lassen. Auch wenn die Britin Lilian Harvey etwas staksig um ihr Auto herumtanzt­e, die Kriterien des Film-Musicals waren erfüllt: Bewegung, gute Lieder (Werner Richard Heymann) und eine witzige Regie (Wilhelm Thiele). Doch die Nazis töteten durch ihre Revuefilme mit Marika Rökk jedwede Kreativitä­t ab.

Welten liegen zwischen dem NSMusikged­öns und den 30er Jahren in Amerika. Mochten auch drüben reihenweis­e die Mädchen auf riesi- gen Torten sich drehen, im FilmMusica­l – nicht zu verwechsel­n mit verfilmten Bühnenhits wie später „My Fair Lady“–, tanzten Fred Astaire und Ginger Rogers in den 30er Jahren zu eigens von George Gershwin, Irving Berlin und Cole Porter geschriebe­nen Melodien. Wobei Zylindertr­äger Fred Astaire in den Art-déco-Räumen seines Lebens immer eine coole Socke blieb. Wie auch Ende der 40er/50er Jahre, als er als bald 60-jähriger neben Audrey Hepburn in „Ein süßer Fratz“eine gute Figur abgab. Und selbst die Art, wie er einmal mit einem Kleiderstä­nder tanzte, hatte etwas Charmantes. Und er hatte großartige Szenen mit der unvergleic­hlichen Judy Garland.

Das Film-Musical hat immer Träume erlaubt. Das insgesamt dann doch eher enttäusche­nde „La La Land“schenkt Emma Stone und Ryan Gosling solche Momente. Wer nach Logik sucht, ist bei einem Film-Musical falsch aufgehoben. Es geht um Illusionen und Glückssuch­e – die Realität kommt noch früh genug. Sebastian fängt an als Plüsch- Klimperer in einer Bar, aus der er rausgeworf­en wird, weil er auf Miles Davis und Thelonious Monk steht. Schauspiel-Talent Mia hat die Wände in ihrer WG vollhängen mit Filmplakat­en aus den 40ern und rennt von einer vergeblich­en Audition zur nächsten. Und zeigt Sebastian die Studiowand, an deren Fenster Humphrey Bogart und Ingrid Bergman im Paris des Kulthits „Casablanca“standen.

Chazelle zitiert jede Menge Vorbilder: Astaire und Cyd Charisse etwa in der Parkszene von „Vorhang auf!“und sogar den Film „Die Mädchen von Rochefort“, eine Mischung aus der Huldigung an Mädchencha­rme, das französisc­he Kino und Hollywood. Mit den bonbonfarb­en verfilmten, heute sogar häufig zitierten und nachgesung­enen Klassikern „Singin’ In The Rain“(Gene Kelly: ein Traum an der Laterne) und „Ein Amerikaner in Paris“mit seinem irren Schlussbal­lett hat das aber wenig zu tun.

Doch „La La Land“müht sich: Lässt das Liebespaar den einsamen James Dean feiern, um vom Griffith-Observator­ium – eine entscheide­nde Stelle im Dean-Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“– einfach weg zu schweben. Eskapismus in Reinkultur. Kein Heute und kein Morgen. Aber viel gestern.

Das waren Zeiten, als Fred Astaire mit einem Kleiderstä­nder tanzte

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