Augsburger Allgemeine (Land West)

Kampf den Wildbiesle­rn

Hygiene Menschen, die einfach irgendwohi­n pinkeln, sind ein Problem und Ärgernis. In Paris sollen ihnen nun Blumentöpf­e als Pissoirs dienen. In deutschen Städten setzt man auf Abschrecku­ng

- VON BIRGIT HOLZER UND CHRISTINA HELLER

Paris

Egal ob in Paris, Hamburg, Köln, Mainz, Ulm oder jeder anderen großen und kleinen Stadt – sie sind überall: Wildbiesle­r. Also Menschen – meist Männer – , die, wenn sie mal dringend müssen, nicht die nächste Toilette nutzen. Stattdesse­n suchen sie die nächste Hauswand oder mehr oder weniger unbeobacht­ete Ecken auf. Zurück bleiben Gestank und Urinspuren.

In Ulm etwa kämpft die Stadt seit Längerem gegen Menschen, die sich am Münster erleichter­n. „Das Münster wird, glaube ich, nicht häufiger benutzt als andere Orte in der Stadt“, sagt Stadtsprec­herin Marlies Gildehaus. „Aber der Sandstein ist einfach sehr empfindlic­h. Und Harnsäure greift ihn an.“Deshalb fällt es dort besonders auf, wenn jemand die historisch­en Mauern als Toilette nutzt. Um das zu stoppen, hat die Stadt sogar das Bußgeld erhöht. Wer erwischt wird, muss 150 Euro zahlen. „Das Problem ist nur, wir erwischen fast nie jemanden auf frischer Tat“, sagt Gildehaus. Denn der Ordnungsdi­enst habe nicht die Möglichkei­t, das Münster rund um die Uhr zu bewachen.

Andere deutsche Städte geht das nicht weit genug. In Mainz, Köln und Hamburg erfahren Wildpinkle­r am eigenen Leib, wie unangenehm so ein Urinstrahl sein kann. Dort sind ganze Wände mit einem Speziallac­k angestrich­en. Pinkelt jemand dagegen, kommt der Urin im 90-Grad-Winkel zurück. Diese Methode wird etwa im Hamburger Stadtteil Sankt Pauli – in dem die Reeperbahn liegt – seit 2015 angewandt. Die Aktion trägt den schönen Titel: „St. Pauli pinkelt zurück.“

Und auch in Frankreich gibt es nun eine Lösung für das Problem. In Paris werden gerade knallrote „Uri- trottoirs“, die am Rand von Bürgerstei­gen („Trottoirs“) stehen, ausprobier­t. Pinkeln Männer hinein, düngen sie gleichzeit­ig noch Pflanzen, die aus den Blumentopf-Pissoir wachsen. Zwei solcher Pinkeltöpf­e wurden als ein Pilotproje­kt am Pariser Bahnhof Gare de Lyon aufgestell­t. Aus ihnen wuchern Thymian und Rosmarin.

„Das Uritrottoi­r besteht aus zwei Teilen“, erklärt Victor Massip vom Unternehme­n Faltazi, das die Idee entwickelt hat: „Oben ist ein dekorative­r Bereich mit Pflanzen im Topf. Darunter befindet sich ein Urin-Reservoir aus trockenem Ma- terial wie Sägespänen oder Streu. Daraus wird später Kompost.“Der Geruch werde so neutralisi­ert. Im Inneren ist ein Sensor angebracht, der misst, wie voll das Pissoir ist. Es fasst bis zu 240 Liter, also rund 600 Toiletteng­änge. Eine chemische Reinigung ist demnach nicht notwendig. Und das macht die Methode laut Massip besonders umweltfreu­ndlich.

Die Stadt Nantes, in der das Unternehme­n Faltazi seinen Sitz hat, will die alternativ­en Pissoirs ebenfalls testen. Anfragen kamen auch aus Cannes, Lausanne oder London. Und die Stadt Paris kann sich vor- stellen, die „Uritrottoi­rs“auch anderswo aufzustell­en. Denn selbst ein Bußgeld von 180 Euro für Wildpinkel­n und eine „Sauberkeit­s-Brigade“, die seit Herbst unterwegs ist, um unzivilisi­ertes Verhalten zu ahnden, konnten wenig ausrichten.

Bleibt nur die Frage, ob die ÖkoPissoir­s auch angenommen werden. Ein Schnupper-Rundgang am Gare de Lyon zeigt jedenfalls, dass dort die Luft nicht reiner ist als vorher. Offenbar kam es noch keineswegs bei allen Wildpinkle­rn an, wie und wo sie sich künftig auf ökologisch einwandfre­ie Art und Weise erleichter­n können.

 ?? Symbolfoto: dpa ?? Wildbiesle­r nutzen das Ulmer Münster immer wieder als Pissoir. Deshalb hat die Stadt das Bußgeld erhöht.
Symbolfoto: dpa Wildbiesle­r nutzen das Ulmer Münster immer wieder als Pissoir. Deshalb hat die Stadt das Bußgeld erhöht.
 ?? Foto: Birgit Holzer ?? In Paris sollen Männer künftig in solche Blumentöpf­e pinkeln.
Foto: Birgit Holzer In Paris sollen Männer künftig in solche Blumentöpf­e pinkeln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany