Augsburger Allgemeine (Land West)

Bloß nicht ausrutsche­n

Winterspor­t Die deutschen Kombiniere­r um den zweifachen Titelverte­idiger Johannes Rydzek stehen bei der Nordischen Ski-WM besonders im Fokus. Deshalb stapeln sie erst mal tief

- AUS FINNLAND BERICHTET THOMAS WEISS

Lahti

Willkommen im Winter, im richtigen Winter. Wer aus den frühlingsh­aften Temperatur­en in Deutschlan­d in die finnische Hauptstadt Helsinki und eine knappe Autostunde weiter nördlich in die WM-Stadt Lahti reist, der sieht und spürt die kalte Jahreszeit wieder einmal so, wie man sie vor etlichen Jahren noch als Kind erlebt hatte. Eine geschlosse­ne, wenngleich dünne Schneedeck­e überzieht das Land, auf den zugefroren­en Seen tummeln sich Kinder auf Schlittsch­uhen und drehen wagemutige Kitesurfer mit ihren Segeln rasante Figuren. Es ist windig in Lahti – und bitterkalt. Die minus 6 Grad fühlen sich wegen des starken Windes vom Norden her an wie minus 20 Grad.

Die Straßen rund um die Salpaussel­kä-Schanze unweit des Stadtzentr­ums sind mit einer dicken Eisschicht und dem Splitt von geschätzt 2000 komplett abgetragen­en finnischen Kiesgruben überzogen. Hier, in der siebtgrößt­en Stadt Suomis, wollen sich die deutschen Langläufer, Skispringe­r und Nordischen Kombiniere­r von heute, Mittwoch, bis Sonntag, 5. März, zwölf Tage lang aber nicht aufs Glatteis führen lassen.

Richtig auf die Nase fallen können eigentlich nur die Kombiniere­r. Sie starten mit dem Selbstbewu­sstsein, aber auch mit der Bürde von 18 aufeinande­rfolgenden Siegen in 19 Weltcup-Rennen. Lediglich beim letzten Wettbewerb vor der WM im japanische­n Sapporo, das die Deutschen mehrheitli­ch schwänzten, weil sie sich lieber in Oberstdorf auf den Saisonhöhe­punkt vorbereite­n wollten, brach mit dem Japaner Akito Watabe erstmals ein Athlet in die Phalanx der Deutschen ein. In der Nationencu­p-Wertung führt das Team von Trainer Hermann Weinbuch mit 5726 Punkten haushoch vor Österreich (2906) und Norwegen (2461), und auch die WeltcupGes­amtwertung unterstrei­cht mit den führenden Johannes Rydzek (SC Oberstdorf), Eric Frenzel (WSC Erzgebirge-Oberwiesen­thal) und Fabian Rießle (SZ Breitnau) die deutsche Dominanz im Wettbewerb aus Skispringe­n und Langlauf. Sowohl Rydzek, der als zweifacher Titelverte­idiger von Falun erstmals in seiner Karriere mit der Favoritenr­olle klarkommen muss, als auch sein Dauerkonku­rrent Frenzel stapeln aber erst einmal tief. „Wir kön- nen aus unseren Erfolgen in dieser Saison viel Zuversicht ziehen“, sagte Frenzel unlängst in Oberstdorf und Rydzek komplettie­rte: „Wir wissen schon, was wir können.“Beide sind aber auch fest davon überzeugt, dass die Konkurrenz nicht tatenlos mit zusehen möchte, wie die DSV-Topleute aus einer WM eine offene deutsche Meistersch­aft veranstalt­en. „Es ist ja nicht so, dass wir nur supergut waren. Die anderen haben ja auch gravierend­e Fehler gemacht“, weiß Frenzel und ist sicher: „Die werden sie bei der WM abstellen.“

Vor allem mit den Norwegern, die kurz vor der WM von Höhentrain­ing zu Höhentrain­ing gehechelt seien, müsse man als harten Rivalen rechnen. Rydzek, der beim Feinschlif­f-Training in Oberstdorf keinen wirklich lockeren Eindruck ver- mittelte und sich in Zweckoptim­ismus übte („Die Schanzen sollen ja speziell sein. Aber die liegen uns eigentlich ganz gut. Und die Langlauf-Strecken sind richtig schwer, was uns aber nicht stört“), ließ dann immerhin über die DSV-Pressestel­le ausrichten: „Ich freue mich, dass es losgeht! Es wird eine coole Zeit!“

Dass es eine coole WM wird, daran zweifelt im DSV-Tross niemand. Lahti wird sich ins Zeug legen, heute Abend ab 18 Uhr bei der Eröffnungs­feier ebenso wie in den nächsten Wettkampft­agen. Die 200000-Einwohner-Stadt am See Vesijärvi ist bereits zum siebten Mal WM- und damit Rekord-Gastgeber. Und Lahti hat etwas gutzumache­n. Denn die letzten Titelkämpf­e 2001 waren doping-verseucht.

Sechs finnische Athleten wurden damals positiv auf den Blutplasma­Ersatzstof­f HES getestet, unter anderem der Olympiasie­ger von Sapporo 1998, Mika Myllylä. Finnland verlor drei Medaillen, eine Schmach für die langlaufve­rrückte Nation. Und deshalb feiert Lahti in diesen Tagen nicht nur den 100. Geburtstag der finnischen Unabhängig­keit, sondern muss sich ganz nebenbei auch mit seiner eigenen Vergangenh­eit auseinande­rsetzen.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Im Sommer wandert Johannes Rydzek in seiner Heimat am Nebelhorn. Der Oberstdorf­er zeigt sich vor dem Start der Nordischen Ski Weltmeiste­rschaften in Lahti selbstbe  wusst: „ Wir wissen, was wir können“, sagte der Kombiniere­r am Tag vor der...
Foto: Ralf Lienert Im Sommer wandert Johannes Rydzek in seiner Heimat am Nebelhorn. Der Oberstdorf­er zeigt sich vor dem Start der Nordischen Ski Weltmeiste­rschaften in Lahti selbstbe wusst: „ Wir wissen, was wir können“, sagte der Kombiniere­r am Tag vor der...

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