Augsburger Allgemeine (Land West)
Feuilleton
Albert Schmids Vorleserei
Am Anfang stand nicht das Wort, sondern der Saal – der Ballettsaal im Kulturhaus Abraxas, der für Albert Schmid „den Charme der 50er Jahre ausstrahlt“. Hier würde er gerne einmal eine Veranstaltung machen, dachte sich der 62-Jährige. Und weil sich bei dem ehemaligen Buchhändler dann doch immer wieder alles um das Wort dreht, sollte es eine „Vorleserei“sein, wie er sie seit gut sieben Jahren schon in der Stadtbücherei von Schwabmünchen anbietet. Außerdem hätten Ballett und Literatur durchaus auch Gemeinsames: nämlich die Fähigkeit, das Schwere leicht erscheinen zu lassen. Große Überzeugungsarbeit für seine Idee musste Albert Schmid beim Leiter des Kulturhauses Abraxas, Gerald Fiebig, nicht leisten. „Der wollte das offenbar noch mehr als ich“, sagt er.
Mit Vorlesen wollen Albert Schmid und seine Mitstreiter Birgit Baur-Müller, Gabriela Graf-Braune und Rainer Braune das Publikum für Bücher begeistern und Schmid hat die Erfahrung gemacht: „Sich vorlesen zu lassen kommt immer mehr in Mode, da fliegen die Texte nicht so vorbei, weil das laute Lesen viel langsamer ist“, sagt Schmid und erzählt, dass bis ins 19. Jahrhundert das laute Lesen viel gebräuchlicher war, als es heute ist. Er selbst geht auf darin, dem Text eines Anderen seine Stimme zu leihen. Eine Art Rollenspiel sei es für ihn, ein „Erzählen mit Gehhilfe“. Als Buchhändler habe er es immer wieder erlebt, dass nicht jeder gute Schreiber auch ein guter Leser sei. „Autoren sind oft zu scheu, um ihre eigenen Bücher gut vorzutragen“, hat er festgestellt. Einen Text zu gestalten, also Pausen zu machen, Betonungen zu setzen, mit der Stimme zu variieren, darauf komme es beim guten Vorlesen ebenso an wie die richtige Balance zu finden. „Man darf nicht zu sehr auf die Tube drücken“, findet Schmid, das nehme dem Wort die Wirkung.
Aber Albert Schmid ist nicht nur ein begeisterter Vorleser, sondern auch ein ebensolcher Zuhörer. In der Kindheit waren es die Andersen-Märchen, die ihm seine Schwester vorlas und bei denen er „Rotz und Wasser heulen“musste. Heute sind es Radio-Sendungen denen er lauscht: der „Sonntagsbeilage“im Bayerischen Rundfunk oder dem Schriftsteller Michael Köhlmeier im Österreichischen Rundfunk. In den beiden hat er Vorbilder gefunden - nicht nur für seinen Vortrag, sondern auch für das Konzept seiner eigenen Veranstaltungen: „Schräge Texte abseits des Literaturkanons, weil viele Bücher nach einem halben Jahr zu Unrecht einfach in der Versenkung verschwinden.“
So waren beim ersten Abend im Abraxas in der vergangenen Woche etwa Elisabeth Tova Bayleys „Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“oder der Briefroman „Annuschka Blume“zu hören. Ans 19. Jahrhundert fühlt man sich erinnert, als Albert Schmid einige Passagen daraus vorliest, dabei stammt das Buch aus dem Jahr 2010 und ist geschrieben von der jungen Ukrainerin Masrjana Gaponenko, die mit 20 nach Deutschland auswanderte. Das erzählt Schmid seinen Zuhörern allerdings erst, nachdem er schon einiges vorgelesen hatte, denn „ich will, dass die Leute unbeeinflusst und ohne Erwartungshaltung zuhören.“Mit den poetischen Briefen der Lehrerin Annuschka und des Weltenbummlers Pjiotr im Ohr stellt sich jene Stille im Ballettsaal ein, in der jeder der rund 60 Zuhörer seinen eigenen Bildern im Kopf nachhängt. Für Albert Schmid ist es der Moment, in dem er weiß, dass sich seine Begeisterung für ein Buch auf seine Zuhörer übertragen hat. OTermine
Die Vorleserei im Ballettsaal des Abraxas findet noch drei mal statt: am 15. März, am 12. April und am 17. Mai jeweils um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos, Karten gibt es unter Tel. 0821/3246355.