Augsburger Allgemeine (Land West)
Ärger um Liebesspiel vor der Kirche
Prozess Zuschauer filmten die Szene, die sich in Kriegshaber abspielte. Warum deshalb aber kein Urteil gefällt wird
Es war am helllichten Tag, als sich ein Mann und eine Frau mitten auf dem Gehweg der Ulmer Straße in Kriegshaber dem oralen Liebesspiel hingaben – vor den Augen etlicher Zuschauer, die das Geschehen mit ihren Smartphones filmten. Was einige Passanten ärgerte, war die Tatsache, dass die ungewöhnliche Szene direkt vor der katholischen Kirche „Heiligste Dreifaltigkeit“über die Bühne ging. Der Vorfall brachte den Mann und die Frau nun vor Gericht.
An jenem Frühlingstag 2016 hatte ein Rentner, 72, zufällig aus dem Badezimmerfenster seiner Wohnung geschaut. „Ich sah, wie der Mann offenbar betrunken umkippte und mit dem Rücken auf dem Gehweg lag. Es sah aus, als wolle er seine Ruhe haben und schlafen. Doch dann machte sich die blonde Frau über ihn her“, schildert der Zeuge im Prozess der Richterin Kerstin Wagner seine Beobachtungen. „Die blonde Frau hat dem Mann die Hose geöffnet. Sie hat ihn dann wiederbelebt“, beschreibt der Zeuge die Szene aus seiner Sicht. Der Rentner nimmt den Angeklagten sogar noch in Schutz: „Er kann am wenigsten dafür“.
Ob er sich denn geekelt habe, ob er danach habe schlecht schlafen können, ob es irgendwie negative Folgen für ihn gehabt habe, will die Richterin aus gutem Grund wissen. „Ich fand das halt nicht in Ordnung, so mitten auf der Straße“, antwortet der Rentner, der damals über Notruf 110 die Polizei alarmiert hatte. Die Beweisführung bei der Straftat „Erregung öffentlichen Ärgernisses“(Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) ist nämlich nicht ganz einfach. Einmal muss der Täter vorsätzlich – also in der Absicht – handeln, Zuschauer zu „belästigen“. Zum anderen müssen sich Zeugen eben auch subjektiv ernsthaft belästigt, innerlich „verletzt“, fühlen.
Das Gericht musste im Fall des öffentlichen oralen Liebesspiels nicht tiefer in die Materie einstei- gen. Denn Staatsanwältin Julia Scholz hatte gegen den Angeklagten, 40, noch weitere Vorwürfe in petto. So war er mehrmals in der Szene beim Oberhauser Bahnhof mit größeren Mengen Ersatzdrogen erwischt worden, die er – so die Anklage – hatte verkaufen wollen. Und nach der Aktion vor der Kirche in Kriegshaber hatte er einer Polizeistreife bei der Festnahme erheblichen Widerstand geleistet. Im Hinblick auf die für diese Straftaten zu erwartende Strafe stellte das Gericht das Verfahren um den Sex auf dem Gehweg ein.
Der Angeklagte (Verteidigerin: Catharina Müller), seit seiner Kindheit alkohol- und drogenabhängig, will überhaupt keine Erinnerung mehr an den Vorfall haben. „Ich bin erst in der Polizeizelle aufgewacht, wusste nicht, wo ich überhaupt bin“. Unisono auch die Aussage seiner damaligen Freundin, 26, der „blonden Frau“, die vor Gericht ebenfalls aufgrund von Drogenkonsum eine fehlende Erinnerung geltend macht: „Ich hatte nur Lichtblicke im Streifenwagen und in der Zelle“. Auch gegen die Frau ist das Verfahren inzwischen aus demselben Grund wie bei dem Angeklagten eingestellt worden. Das Gericht schnürt letztlich ein Gesamtpaket und verurteilt den 40-Jährigen wegen Widerstands und Drogenhandels zu einem Jahr Gefängnis.