Augsburger Allgemeine (Land West)
Hausarzt bekam Patienten nie zu Gesicht
Prozess Ein Mediziner, der 60 Kunden eines Pflegedienstes „betreute“, hat bereits 50 000 Euro Schadensersatz und eine Geldauflage bezahlen müssen. Er ist einer von mehreren Angeklagten
Hat ein Hausarzt mitgemacht bei angeblichen betrügerischen Abrechnungen eines ambulanten Pflegedienstes? Dieser Frage ging gestern ein Schöffengericht unter Vorsitz von Stefan Lenzenhuber im derzeit laufenden Prozess gegen zwei Verantwortliche des Unternehmens nach. Der Pflegedienst, so der Vorwurf von Anklägerin Andrea Hobert, soll Krankenkassen und das Sozialamt der Stadt Augsburg um insgesamt 160000 Euro betrogen haben, indem fiktive Leistungen abgerechnet worden waren.
Der Mediziner, 53, so viel steht aufgrund seiner Aussage fest, hat den Patienten des Pflegedienstes, zumeist russische Immigranten, Medikamente verordnet, obwohl er sie bis auf wenige Ausnahmen nie persönlich zu Gesicht bekommen hatte. Dafür hat er büßen müssen. Ein Verfahren wegen Betrugs gegen ihn war gegen eine Geldauflage von 25000 Euro eingestellt worden.
Außerdem hat er den Schaden, den er durch sein Verhalten bei den Kassen angerichtet hat, wieder gutmachen müssen. Insgesamt hat er rund 50 000 Euro bezahlt. „Es tut mir leid, mein Fehler war, dass ich bei den 60 Patienten bis auf wenige Ausnahmen keine Hausbesuche gemacht habe.“
Er habe der angeklagten Pflegedienstleiterin, (Verteidiger: Wilhelm Seitz) voll vertraut, die Verordnungen in seiner Praxis angefordert habe. Er kannte die 39-Jährige von ihrer früheren Tätigkeit in einem Pflegeheim her als eine „ausgesprochen gewissenhafte Pflegerin“. „Sie hat mich gefragt, ob ich Patien- ten des Pflegedienstes übernehme, die den Arzt wechseln wollten. Das habe ich gemacht.“
Er habe sich dann auf die von der Angeklagten vorgelegten Befunde, Arztbriefe oder Protokolle von Blutzuckertests verlassen und die Rezepte dann unterschrieben. Warum er nach einem Arztwechsel auch neue Diagnosen wie Diabetes bei Patienten gestellt habe, die er gar nicht untersucht hatte, konnte er nicht sagen. Er habe nie „Argwohn“gehabt.
Auch bei anderen Pflegediensten laufe es so. Eine private Freundschaft zu der Pflegedienstleiterin oder dem mitangeklagten Geschäftsführer, 35, (Verteidiger: Walter Rubach) habe nicht bestanden, beteuerte der Hausarzt.
Möglicherweise werden im weiteren Verlauf des Prozesses auch Mitschnitte der Kripo von Telefongesprächen zwischen den Angeklagten und Patienten vorgespielt, bei denen Anweisungen zu deren Verhalten gegeben worden sein sollen. Die abgehörten Gespräche fanden aber zeitlich erst nach den zur Last gelegten Betrugstaten statt, die jetzt vor dem Schöffengericht verhandelt werden.
Ins Visier der Justiz ist auch ein weiterer russischer Pflegedienst aus Augsburg wegen mutmaßlicher Abrechnungsbetrügereien geraten. Angeklagt vor einem Schöffengericht sind die beiden Geschäftsführerinnen des ambulanten Unternehmens sowie vier Pflegekräfte.
Auch zahlreiche weitere Mitarbeiterinnen müssen sich in weiteren Verfahren wegen Beihilfe verantworten. Termine für die Prozesse stehen noch nicht fest.