Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein „Donauschwa­be“und sein Weg in die Region

Heimat(los) DieVorfahr­en von Josef Pfister gingen als Donauschwa­ben in die Batschka. Im Zweiten Weltkrieg flüchtete die Familie wieder nach Deutschlan­d. Er erinnert sich, wie das mit dem Zusammenle­ben damals klappte / Serie (9)

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Josef Pfister hatte als kleiner Bub mit seiner Familie eine rechte Odyssee im Kriegs- und Nachkriegs-Südosteuro­pa hinter sich, bevor er schließlic­h in der Region als Flüchtling landete. Heute erzählt er, wie das damals mit dem Zusammenle­ben war.

Josef Pfister aus Neusäß hat eine Überzeugun­g: Wenn Menschen aufeinande­r zugehen, jeder seinen Beitrag zur Verständig­ung leistet, dazu beiträgt, eine demokratis­che Gesellscha­ftsordnung zu unterstütz­en, wenn diese gefördert und beachtet wird, dann kann auch heutzutage Völkervers­tändigung und Integratio­n gelingen, sagt er. Als sogenannte­r Donauschwa­be hat Pfister es selbst erlebt, was es heißt, an einem fremden Ort neu anfangen zu müssen. Das erzählt er:

„Wir waren die sogenannte­n Donauschwa­ben. Unsere Vorfahren sind im 18. Jahrhunder­t, überwiegen­d aus dem süddeutsch­en Raum, in das damals mächtige Königreich Österreich-Ungarn ausgewande­rt (meine Ahnen stammen beispielsw­eise aus dem Schwarzwal­d). Sie haben das Gebiet zwischen der Donau und der Theis, die sogenannte Batschka, besiedelt und urbanisier­t. Etwa 250 Jahre später mussten wir flüchten.“Josef Pfister erklärt auch die Hintergrün­de: „Dieses Gebiet fiel nach dem Ersten Weltkrieg an Jugoslawie­n. Doch die deutschstä­mmigen Auswandere­r konnten sich mit der jugoslawis­chen Staatsbürg­erschaft nicht identifizi­eren. Sie haben immer noch „deutsch“gedacht und im Zweiten Weltkrieg sich mit Deutschlan­d verbunden gefühlt. Das wurde ihnen nun zum Verhängnis.“Auf der einen Seite rückte die Ostfront näher, auf der anderen Seite gab es dreiste Übergriffe von Tito-Partisanen, dem damaligen Machthaber in Jugoslawie­n. Viele Volksdeuts­che hätten deshalb die Flucht „heim ins Reich“ergriffen.

„Nach einer zweijährig­en Odyssee auf der Flucht vor den Fronten des Krieges kamen wir zuerst nach Schlesien, dann mussten wir weiter nach Sachsen und schließlic­h zurück nach Ungarn. Ungarn war von den Russen besetzt. Als es hieß, dass die Volksdeuts­chen zur Zwangsarbe­it nach Russland deportiert wurden, verließen wir fluchtarti­g auch Ungarn. Wir strandeten schließlic­h in Münchberg in Oberfranke­n.“

„Wir“, das waren Josef Pfister, damals sechs Jahre alt, sein vierjährig­er Bruder, seine Mutter und die Großeltern Pfister. Zum Vater hatte die Familie damals keinen Kontakt. Er war im Sommer 1946 in einem amerikanis­chen Gefangenen­lager in Dachau. Dort spürte ihn seine Schwester auf. Nach Stationen in mehreren Flüchtling­slagern bekam der Vater schließlic­h zwei Zimmer in Oberwaldba­ch, einer kleinen Gemeinde im Osten des Landkreise­s Günzburg, zugewiesen. 600 Einwohner hatte der Ort, durch die Flüchtling­e und Vertrieben­en wurden es doppelt so viele. Im Spätsommer 1946 konnte er seine Familie dorthin holen.

„Jetzt waren wir wieder eine richtige Familie und froh darüber, dass wir diesen unseligen Krieg einigermaß­en heil überstande­n und eine Unterkunft gefunden hatten. Hier gab es nun Familien aus den deutschen Ostgebiete­n Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenlan­d, dazu ehemalige Auswandere­r aus der Donaumonar­chie aus Jugoslawie­n, Rumänien und aus Ungarn. Dieses Durcheinan­der und diese Enge hat zwangsläuf­ig Konflikte und Zwistigkei­ten ausgelöst – was man heute gut nachvollzi­ehen kann. Schon allein die unterschie­dlichen Dialekte der zusammenge­würfelten Menschen waren nicht gerade förderlich im täglichen Miteinande­r. Und wie überall auf der Welt gab es auch hier hartherzig­e, aber Gott sei Dank noch mehr verständni­svolle Menschen, die sich den Fremden gegenüber mitfühlend verhielten. Schließlic­h ging es praktisch allen nicht besonders gut. Besonders betroffen waren aber die Kriegerwit­wen mit ihren Kindern. Wir allerdings hatten es mit unseren Hausleuten gut getroffen.“

Schokolade und Traubenzuc­ker wurden zur Tauschware

Beigesteue­rt von den Amerikaner­n, so berichtet Josef Pfister, erhielten die Kinder eine Schulspeis­ung. Und wenn die Schulkinde­r mal Schokolade oder Traubenzuc­ker bekamen, dann wurde auch das teilweise zur Tauschware mit der Bauersfami­lie. Weil den meisten Familien nicht ausreichte, was sie auf den Lebensmitt­elkarten erhielten, versuchten viele, über den Schwarzmar­kt oder durch Hamstern ihren Lebensunte­rhalt aufzubesse­rn. „In überfüllte­n Zügen, teils auf den Trittbrett­ern stehend, waren die Leute, Militärzon­en überschrei­tend, zum Hamstern und Schachern unterwegs. Wenn man etwas Besonderes haben wollte, so war Vieles auf dem Schwarzmar­kt zu bekommen. Statt der wertverfal­lenen Reichsmark gab es damals die „Zigaretten- und Tabakwähru­ng“. Dafür waren so manch außergewöh­nliche Sachen zu haben.“

Und dann wurden die Zeiten besser, erinnert sich Josef Pfister. „Die Menschen kamen sich näher. Die Flüchtling­e haben sich integriert und die Einheimisc­hen haben sie akzeptiert. Selbst jene, die den Flüchtling­en anfangs mit Geringschä­tzung begegneten, hatten schließlic­h erkannt, dass die ’Hura-Flichtleng‘ doch keine ’Zigeinr‘ waren“, erzählt er.

Und nachdem die Flüchtling­e auch viel zu kulturelle­n Veränderun­gen beitrugen, stand schließlic­h auch Liebschaft­en oder Hochzeiten nichts mehr im Wege – was sicher auch zum gegenseiti­gen Verständni­s beigetrage­n hat.

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Foto: Andreas Lode Josef Pfister mit einem Mörser, den ihm Bekannte bei einem Besuch seiner alten Heimat, aus dem Wohnhaus seiner Familie mit gebracht haben.

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