Augsburger Allgemeine (Land West)
Luther Serie
Bei den Karmelitern wehte der neue Geist
Als der Augustinermönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablass-Handel publizierte, blieb sein Protest in der Kaufmannsstadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigkeit zu rechtfertigen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. Martin Luther kam zu einem alten Bekannten, als er am 7. Oktober 1518 im Karmeliterkloster St. Anna einkehrte. Prior Johannes Frosch hatte seit 1514 in Wittenberg studiert, war dort 1516 unter dem Vorsitz Luthers Lizenziat geworden und sollte Ende 1518 in Wittenberg auch zum Doktor promoviert werden. Sie waren fast gleich alt, Luther
im Jahr 1483 geboren, Frosch um 1480. Sehr wahrscheinlich hatten sie sich als junge Burschen schon auf der Universität Erfurt kennengelernt.
Im Augsburger Kloster St. Anna konnte sich der Wittenberger Professor unter seinesgleichen fühlen. Die Karmeliter legten Wert auf eine gediegene akademische Bildung der Mönche. St. Anna war damals eine im gehobenen Bürgertum gefragte Kirche. Hier richteten patrizische Familien ihre Gedenkstätten ein, ließen ihre Angehörigen bestatten, stifteten Jahrtage und „ewige“Messen. Im Jahr 1503 zählte der Konvent 21 Mönche und war im Besitz einer stattlichen Bibliothek. Bevor Johannis Fortis 1497 als Prior nach Augsburg kam, lehrte er an der Wiener Universität und brachte von dort weitere 90 Titel mit.
Allerdings kam Luther im Oktober 1518 nicht zum Studienaufenthalt nach Augsburg. Noch am Tag seiner Ankunft ließ er sich ungeachtet seines angegriffenen gesundheitlichen Zustands bei dem päpstlichen Gesandten Kardinal Cajetan melden. Was dann geschah, schilderte Luther später in einer Tischrede: „Er (Cajetan) schickt einen Ritter als Gesandten zu mir und ruft mich zu sich. Ich wäre wahrhaftig gekom- men, aber die, denen ich anbefohlen war, verboten mir, dass ich ja keinen Fuß aus dem Kloster setzte, wenn sie selbst es mir nicht befählen.“
Sein Kurfürst Friedrich „hatte beschlossen, dass ich zum Kardinal nur mit kaiserlichem freien Geleit gehen sollte; das konnte ich drei Tage lang nicht erreichen“. Denn Kaiser Maximilian befand sich zur Entspannung nach dem Reichstag auf der Jagd. Tags darauf kam allerdings aus dem Gefolge Cajetans schon mal der Italiener Urban von Serralonga „und will mich überreden, dass ich käme“. Natürlich damit Luther dem Kardinal nachgebe und seine Thesen gegen den Ablass widerrufe. Aber wiederum rieten ihm seine wohlwollenden Beschützer davon ab. Luther: Sie sagten, „ich kennte die Italiener nicht, man dürfe ihnen nicht blindlings trauen. Daher hielt ich mich zurück…“
Prior Johannes Frosch konnte er trauen. Jener sympathisierte früh mit Luthers neuem theologischen Gedankengut. „Man kann und muss bei St. Anna mit einer Predigtgemeinde rechnen, die sich in den Jahren 1522/23 um Frosch etabliert hatte. Dass er gut ankam, zeigt sich allein schon darin, dass die Opfergelder flossen“, schreibt der Historiker Prof. Rolf Kießling. Zusammen mit den Prädikanten Urbanus Rhegius, der schon von der Domkanzel predigte, und Stefan Agricola bildete Frosch seit 1523 in St. Anna ein Dreigestirn der reformatorischen Predigt. Die „drei Doktoren“standen früh „fest auf des Luthers Seite“, wie Chronist Wilhelm Rem überlieferte – zum Missfallen von Bischof Christoph von Stadion.
Sie fanden eine aufgeschlossene Hörerschaft, zumal Augsburg seit 1518 zu einem zentralen Markt für reformatorisch-lutherische Frühdrucke wurde. Der Forscher HansJörg Künast schätzt, dass bis 1525 in elf Augsburger Druckereien schon „weit über eine Million“Flugschriften hergestellt wurden. Allein von Luthers Schriften erschienen insgesamt 424 Ausgaben. Als um die Jahreswende 1524/25 Urbanus Rhegius begann, im lutherischen Geist deutsche Vorlesungen über den Römerbrief und andere Paulus-Briefe in St. Anna zu halten, kam es dem Chronisten Clemens Sender „wie auf der hohen Schule“vor. Dazu seien „vil frauen und mann“geströmt.