Augsburger Allgemeine (Land West)
Hat jemand was gesagt?
Zu den größten Schreckensszenarien für einen Sportler von Rang gehört neben der Steuerprüfung und der Schambeinentzündung das offen gesprochene Wort im Dienst. Es könnte ja einer aus dem Heer der weltweit agierenden Lippenleser die Botschaft entschlüsseln, auf die gegnerische Trainerbank funken oder anderntags einer Boulevardzeitung verkaufen. Um das zu verhindern, hält sich jeder, der sich von einer Kamera beobachtet glaubt, im Gespräch mit dem Mitspieler die Hand vor den Mund. Und sei es auch nur, dass er wissen möchte, wie es eigentlich in der Partie steht, oder wie lange sie noch dauert. Wer sicher gehen möchte, nimmt beide Hände. Fachterminus: Zehnerkette.
Die Hand-vor-den-MundÜbung ist inzwischen die geschmeidigste aller Sportlerbewegungen. Ein Reflex, dem sich der Profi auch nicht mehr entziehen kann, wenn er morgens den Platzwart grüßt.
Weil immer weniger nach außen dringt, bleibt den Journalisten nur noch zu vermuten, was hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Versuchen wir also aus einem x-beliebigen Spiel des FC Bayern, Mitte der zweiten Halbzeit, zwischen den Fingern von Arturo Vidal und Philipp Lahm zu lesen.
Vidal: Ist das heute wieder langweilig. Nächstes Mal nehm’ ich mir was zum Lesen mit.
Lahm: Arturo. Reiß dich zusammen. Spiel dauert 90 Minuten. Vorher nix gewonnen. Vidal: Was läuft Abend? Lahm: Schwiegereltern zu Besuch. Und bei Dir?
Vidal: Kommen Amigos. Wir gehen aufs Oktoberfest. Lahm: Jetzt ist kein Oktoberfest. Vidal: Egal. Dann in Spielbank. Lahm: Du weißt schon, dass morgen Training ist. Vidal: Bis dahin bin ich zurück. Lahm: Vorsicht, Kamera! Vidal: Muchas gracias, Kumpel. Volle Deckung.