Augsburger Allgemeine (Land West)
Spiel und Spaß mit einem Schwergewicht
Serie Unsere Fitness-Reihe ist wieder da. Zum Auftakt der dritten Staffel testet Christoph Frey einen Ball, der schon ganze Schülergenerationen und gestandene Sportler ins Schwitzen gebracht hat. Dabei hat dieser harte Hund ganz weiche Seiten
Es ist Fastenzeit, der Frühling kommt, und sie ist wieder da: unsere Serie „Fit wie ein Turnschuh“. Im Selbstversuch testen wir in den kommenden Wochen verschiedene Möglichkeiten, sich fit zu halten, und geben anhand unserer dabei gesammelten Erfahrungen Tipps. Zum Auftakt der dritten Staffel geht es um die Begegnung mit einem Ball, den viele schon als Schüler kennen und
fürchten gelernt haben. Gersthofen Diese Geschichte braucht einen Quälix. Ohne geht es nicht. Das glaubten auch die Chefs jener hoch bezahlten ProfiFußballer, denen ihr Übungsleiter Felix „Quälix“Magath mittels Medizinbällen Beine machte. Die Fernsehnation sah’s mit Wohlgefallen, und so mancher dachte mit leichtem Schaudern an die eigene Schulzeit zurück, als er selbst unter der Last eines unförmigen braunen Lederballs ächzte. Mein Quälix an diesem Tag heißt Sven Biesinger. Der ehemalige Football-Profi bei den Königsbrunn Ants ist Personal-Fitness-Trainer. Er trainiert Leistungssportler ebenso wie übergewichtige Sofa-Athleten, die etwas ändern möchten. Zu seinen Schützlingen zählen auch die U-19-Paintball-Nationalmannschaft und die Fußballer des TSV Gersthofen. Zu Übungen mit Medizinbällen hatte Biesinger in seiner Schulzeit durchaus ein gespaltenes Verhältnis – seinem Grinsen auf die entsprechende Frage nach zu schließen. Doch zwischen damals und heute sei ein riesengroßer Unterschied, versichert der Trainer. „Heutzutage hat man ganz andere Übungen.“Der Quälix ist also Geschichte, und auch die Bälle haben sich verändert. Es gibt sie aus Kunststoff ebenso wie aus Leder, es gibt sie groß, klein, weich, hart und in den verschiedensten Gewichtsklassen. Das Gerät ist ein echter Allrounder und fühlt sich in der Turnhalle ebenso zu Hause wie auf der Wiese
oder im Wohnzimmer (siehe grauer Kasten).
Erfunden haben soll den schweren Ball, der statt Luft Kork oder Heu enthalten kann, ein Boxtrainer in New York im 19. Jahrhundert. Der schleuderte rund zehn Kilo schwere Bälle nach seinen Kämpen, um deren Reaktion und Schnellkraft zu trainieren. Wer zu langsam war, bekam einen schmerzhaften Treffer ab. Weil Übungen mit dem Ball der Gesundheit dienen sollten, bekam das Monstrum alsbald den Titel „medicine ball“verliehen.
In Deutschland begann sein Siegeszug als Medizinball nach dem Ersten Weltkrieg. Sportlehrer und Autoren waren ganz begeistert von dem dicken Ding, das Athleten formen half. In jeder deutschen Familie müsse es zum Zwecke der körperlichen Ertüchtigung einen Platz haben, schrieb gar ein glühender Verehrer des Medizinballs.
In deutschen Schulturnhallen eroberte sich der Dicke jedenfalls für lange Jahre einen Stammplatz und sorgte dort reihenweise für verstauchte Finger und blaue Flecken. Sogar ins Museum hat er es geschafft. Im Medizinhistorischen Museum zu Ingolstadt war dem Medizinball vor einigen Jahren eine Sonderausstellung gewidmet – schließlich setzten ihn schon früh Krankenhäuser für Leibesübungen ein. Heutzutage heißt das RehaSport.
Lange könnte ich mit Coach Biesinger noch über die Historie des Medizinballs theoretisieren, doch der Mann ist mehr an praktischen Ergebnissen interessiert. „Der da erschlägt dich nicht gleich.“Mit diesen Worten drückt mir Biesinger eine große rote Kunstleder-Kugel in die Arme. Rund drei Kilo schwer, handelt es sich um einen sogenannten Softball. Medizinbälle unterscheiden sich nicht nur nach Gewicht, sondern auch in Größe und Beschaffenheit. Manche rollen und springen tatsächlich ein bisschen so wie ein mit Luft gefüllter Ball, andere wiederum bleiben reglos am Boden liegen wie ein Möbelstück.
Ich nenne meinen Ball im Stillen „Bulli“. Ich glaube nämlich, es hilft, seinem Quälgeist einen Namen zu geben. So der Anonymität entrissen, verliert er etwas von seinem Schrecken. Tatsächlich sind Bulli und ich schnell ziemlich beste Freunde, was vor allem an Bulli liegt. Der macht es einem nämlich nicht allzu schwer, mit ihm warm zu werden. Zu Beginn lasse ich die Kugel um den Kopf kreisen, es folgen die ersten Kniebeugen, Stoß- und Wurfübungen sowie Sprünge mit dem Ball im Gepäck.
Schnell wird der große Vorteil des Medizinballs klar: Mit ihm können Freizeitsportler genauso trainieren wie echte Profis. Oft reicht eine geringfügige Veränderung der Übung, und aus dem weichen Bulli wird ein harter Hund, in kurzer Zeit brennen die Muskeln und rinnt der Schweiß, Spaß macht es aber dennoch. Denn die Bewegungsabläufe sind leicht zu erlernen. Überdies gibt es viele Übungen, die mit Partner funktionieren und ausgesprochen spielerisch daherkommen.
Wer will, kann auch den Nachwuchs mit einbinden. Da der Medizinball für Kinder zu schwer ist, können diese die Übungen zum Beispiel mit einem Fußball oder Basketball mitmachen. Und wenn der Junior dann zu sehr über Papas roten Kopf frotzelt, kann man ja mal schnell die Bälle tauschen. Mal sehen, wer dann noch lacht ...
An die 100 verschiedene Übungen hat Biesinger im Repertoire: Mal dient der Ball dabei als Gewicht, mal als Fitness-Möbel, auf dem sich Liegestütze oder Dips vollführen lassen. Weil die Arbeit mit dem Ball oft verschiedene Muskelgruppen auf einmal beansprucht, ist sie in den Augen des Trainers ein ideales Training für den Alltag vieler Menschen, auch wenn sie keine hoch bezahlten Fußballer sind, denen ein Quälix Beine macht.
Fazit: Mir hat die Arbeit mit dem Ball richtig Spaß gemacht. Richtig ver wendet, ist er kein Monstrum aus dem Museum, sondern ein zeitgemäßes und preiswertes Fitnessgerät – wobei ein wenig Anleitung vom Profi für Einsteiger sicherlich nicht verkehrt ist. Falls Sie Würfe machen, achten Sie auf Sicherheitsabstand zu Ihren Mitmenschen oder wertvollem Mobi liar. Ich hätte im Studio ums Haar un seren Fotografen „erlegt“.