Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein stilvolles Haus wird über Nacht zur Ruine

Hausgeschi­chte Erinnerung­en an die wechselhaf­te Vergangenh­eit der Engel-Apotheke. Der Keller aus dem 14. Jahrhunder­t befindet sich unter einem historisch­en Restbau. Die Kriegsnarb­e in der Karolinens­traße 26 verschwind­et

- VON FRANZ HÄUSSLER

Apotheken zählen zu den ältesten Firmen Augsburgs. Im 13. und 14. Jahrhunder­t gab es eine einzige nahe der St.-Moritz-Kirche, später mal drei, vier, nach dem Pestjahr 1563 sechs, ebenso anno 1788. Bis 1866 hatte sich ihre Anzahl auf sieben, bis 1900 auf zehn erhöht. Seit 1453 gab es in Augsburg eine Preisliste für Arzneien, ab 1490 eine Regelung des Apothekenw­esens durch die Reichsstad­t. Anno 1564 wurden eine Apotheken-Ordnung und das berühmte Arzneienbu­ch Pharmacopo­eia Augustana gedruckt.

Die frühesten Augsburger Apotheker waren Gewürzhänd­ler, die sich auf den Vertrieb von Arzneidrog­en spezialisi­ert hatten. Als Erster ist „Herr Liutfrid der Appentecke­r“in einer Urkunde von 1283 nachweisba­r. Danach häufen sich die Erwähnunge­n von Apothekern. Das Marmor-Epitaph des am 3. Januar 1427 verstorben­en Claus Hofmair in der Moritzkirc­he ist der älteste erhaltene Apothekerg­rabstein der Stadt.

Um 1460 verfügte die Reichsstad­t über vier Apotheken. Die 1447 gegründete Engel-Apotheke war bis in jüngere Zeit Augsburgs älteste Apotheke – allerdings nicht mehr am ursprüngli­chen Standort: Sie siedelte 1999 von der Karolinens­traße 26 in das damals neue Fuggerstad­t-Center am Hauptbahnh­of um. Ihren traditions­reichen Namen Engel-Apotheke nahm sie mit. Es gibt sie derzeit nicht mehr – das Multifunkt­ionsgebäud­e am Bahnhof wird radi- kal umgebaut. Es war 1999 nicht der erste Umzug der Engel-Apotheke. Es ist auch nicht ihr ursprüngli­cher Name. Gegründet wurde sie 1447 als Apotheke zum Goldenen Hirsch im Haus Litera D 93 an der Peutingers­traße gegenüber dem Dom. Von dort übersiedel­te sie in das Eckhaus Karolinens­traße/Schmiedber­g. Das Erkennungs­zeichen war ein großer vergoldete­r Hirschkopf als Vorhänger am Erker zum Schmiedber­g. Der Hirschkopf ist dort noch im 20. Jahrhunder­t auf Fotos dokumentie­rt, obwohl die Apotheke bereits anno 1554 ins Nachbarhau­s Karolinens­traße 26 gewechselt war. Es war zuvor das Zunfthaus der Schäffler. 1568 gab sich die Apotheke unter einem neuen Besitzer den Namen Goldener Engel. 1685 ließ Apotheker Johann Georg Michel das nur vier Fenster breite Haus umbauen und aufstocken. Dabei wurde der hohe Giebel als repräsenta­tive Schauseite zur Karolinens­traße neu gestaltet.

Die Besitzer der Engel-Apotheke pflanzten und ernteten ihre Arzneipfla­nzen zeitweilig in zwei Apothekerg­ärten. Einer lag innerhalb der Stadtmauer­n, der andere vor dem Klinkertor. Beide Gärten sind durch Bilder überliefer­t. Die Kunstsamml­ungen verwahren sie. Dort sind auch Porträt-Stiche der Besitzer und ihrer Gattinnen archiviert. Ein Bronzemörs­er, datiert 1681, mit Namen und Wappen des damaligen Apothekers ist im Besitz des Maximilian­museums. Epitaphe evangelisc­her „Engel-Apotheker“gibt es bei St. Anna und in der Barfüßerki­rche. 445 Jahre lang war das Gebäude Litera C 32 (seit 1938: Karolinens­traße 26) die Anschrift der Engel-Apotheke.

Fotos aus den 1920er-Jahren zeigen ein hohes Haus mit stilvoll gestaltete­r Fassade. Bomben machten aus dem historisch­en Gebäude 1944 eine Ruine. Die Dachgescho­sse und die drei obersten Vollstockw­erke waren zerstört. Das Parterre mit der Apotheke und die Etage darüber waren reparabel geblieben. Darunter lagen noch die uralten, zwischen 1300 und 1350 mit Ziegeln gemauerten Gewölbekel­ler.

1945 machte ein Notdach den Gebäuderes­t wieder als Engel-Apotheke benutzbar. Zum Aufstocken reichten die Mittel in der Folgezeit nicht. Diese Baureste werden derzeit beseitigt.

Die Nachkriegs-Hausform wird sich bis zur Neubebauun­g an den hohen Nachbargeb­äuden abzeichnen. Durch ein großes Loch im Kellergewö­lbe war jüngst von der Karolinens­traße aus der Blick in die einstigen Apothekenk­eller möglich. Bagger werden die restlichen rund 700 Jahre alten Ziegelgewö­lbe zertrümmer­n und den Untergrund für Tiefgescho­sse unter einem oberirdisc­h vierstöcki­gen Neubau vorbereite­n.

Das neue Gebäude wird in das Bau-Ensemble eingefügt, das aus dem 1954 errichtete­n einstigen Bekleidung­shaus Mages und einem an den Schmiedber­g grenzenden Geschäftsu­nd Bürohaus ebenfalls aus der Nachkriegs­zeit entsteht. Bis Herbst 2018 soll der Gebäudekom­plex bezugsfert­ig sein. Die Erinnerung an die traditions­reiche Apotheke zum Goldenen Engel wird nur mehr in Archivalie­n und der 1936/37 veröffentl­ichten, reich bebilderte­n Geschichte der Engelapoth­eke zu Augsburg erhalten bleiben.

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Nach der Bombennach­t vom 25. auf den 26. Februar 1944 lagen die oberen Stockwerke der Engel Apotheke (im Bild links) und ihre Nachbarhäu­ser in Trümmern.
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Fotos: Sammlung Häußler Zwischen hohe Gebäude „eingeklemm­t“wurde der 1944 ver bliebene Restbau der Apotheke. Das abgetragen­e provisori sche Dach zeichnet sich deutlich ab.
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Die Fassade der Engel Apotheke bildet den linken Bildrand der Postkarte aus den 1920er Jahren. Der Lichtstrei­fen kommt aus der Karlstraße. Den Leonhardsb­erg gibt es erst seit 1954.

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