Augsburger Allgemeine (Land West)

Fatale Fehler am „schwarzen Montag“

Verkehr Bei der Unfallseri­e auf der Autobahn hat sich das individuel­le Unvermögen der Verkehrste­ilnehmer summiert – mit schrecklic­hen Folgen

- VON HEIKE SCHREIBER

Günzburg Werner Schedel hatte sich so gefreut. Erst kürzlich hatte der Leiter der Autobahnpo­lizei Günzburg die Unfallzahl­en des vergangene­n Jahres zusammenge­rechnet und stolz festgestel­lt, dass 2016 kein Autofahrer auf der A8 ums Leben gekommen war. Vor allem die baulichen Maßnahmen haben in Schedels Augen gegriffen, der durchgehen­de Seitenstre­ifen sei eine extreme Verbesseru­ng. Nur drei Wochen später ist das positive Bild dahin. Am Montagmorg­en kamen bei einem tragischen Unfall bei Leipheim ausgerechn­et auf dem Seitenstre­ifen zwei junge Menschen ums Leben (wir berichtete­n). Das Fatale: In der Folge ereigneten sich jeweils am Stauende zwei weitere schwere Unfälle, jeweils von Lastwagen verursacht.

Der „schwarze Montag“, wie ihn Werner Schedel nannte, begann um sieben Uhr morgens: Eine 31-Jährige und ihr 28 Jahre alter Begleiter hatten wegen einer Reifenpann­e auf dem Seitenstre­ifen gehalten. Dabei hätten vermutlich weder er noch seine Begleiteri­n Warnwesten getragen, auch sei kein Warnblinke­r eingeschal­tet oder ein Warndreiec­k aufgestell­t gewesen. Der Mann wollte wohl gerade den Ersatzreif­en montieren, als ein Sattelzug das Fahrzeug streifte und die beiden Personen frontal erfasste. Die jungen Rumänen waren sofort tot.

dieses tragischen Unfalls rät der Leiter der Autobahnpo­lizei dringend davon ab, Pannen auf der Autobahn selbst beheben zu wollen. „Das ist unverantwo­rtlich. Die eigene Sicherheit geht immer vor“, betont Schedel. Sein Stellvertr­eter Herbert Bregenzer spricht gar von einer „Todsünde“. Wer glaube, der Seitenstre­ifen sei ein geschützte­r Bereich, irre sich gewaltig. Bei einer Panne müssten Fahrer und weitere Insassen umgehend den Warnblinke­r einschalte­n, das Fahrzeug verlassen, Warnwesten anziehen, in mindestens 200 Meter Entfernung zur Unfallstel­le ein Warndreiec­k aufstellen und sich selbst sofort hinter der Leitplanke in Sicherheit bringen und den Pannendien­st oder die Polizei alarmieren.

Dass in der Folge am Montag zwei weitere schwere Unfälle jeweils am Stauende passierten, kann Schedel nicht ganz nachvollzi­ehen. „Wir haben auf allen Medien auf die Situation hingewiese­n. Wenn man da unaufmerks­am ist und den Stau übersieht, da hält sich mein Verständni­s in Grenzen.“Die Polizei könne nicht mehr tun, als die Autofahrer rechtzeiti­g zu warnen. Die Autobahnbe­treiberges­ellschaft Pansuevia stelle zudem Warnfahrze­uge mit Blinklicht auf.

Verursache­r waren in allen drei Fällen Lastwagen, die Ursache war wohl jeweils Unaufmerks­amkeit. Herbert Bregenzer warnt jedoch davor, jetzt sämtliche Lkw-Fahrer „über einen Kamm zu scheren“. Auch Kleinwagen­fahrer würden häufiger ein Stauende übersehen. „Wo Menschen sind, passieren Feh- ler“, so Bregenzer. Das Ende eines Staus sei grundsätzl­ich eine große Gefahrenst­elle. Ob die Lastwagen zu schnell unterwegs waren, könne er nicht sagen. Generell werte die Polizei aber nach Unfällen die digitalen Fahrtensch­reiber aus.

Ein weiteres Problem, mit dem Polizei, Rettungskr­äfte, Feuerwehr und Autobahnme­isterei immer wieder bei Unfällen zu kämpfen haben: Sie kommen kaum zur Unfallstel­le durch, da die Verkehrste­ilnehmer keine funktionie­rende Rettungsga­sse bilden. Dies hatten Rettungskr­äfte auch am Montag wieder zu spüren bekommen. Günzburgs KomAngesic­hts mandant Christian Eisele berichtete nach dem tödlichen Unfall bei Leipheim: „Das erste Fahrzeug fährt durch, dann wird die Gasse geschlosse­n, und das zweite Einsatzfah­rzeug muss sich wieder den Weg bahnen. Wir mussten stark runterbrem­sen. Das ist ärgerlich.“Bei diesem Unfall hatte auch Pansuevia Probleme mit der Rettungsga­sse. „Die Feuerwehr hat sie für uns mit freigemach­t“, berichtete Geschäftsf­ührer Robert Schmidt. Beim zweiten Unfall „ging es dann“.

Beim dritten Unfall, bei dem ein Transporte­r am Stauende zwischen Zusmarshau­sen und Burgau ein Auto sowie einen Silo-Lastwagen gestreift und sich eine Tonne Körnermais aus dem geplatzten Behälter auf die A 8 ergossen hatte, gab es laut Polizei wieder keine Rettungsga­sse. Es dauerte, bis Reinigungs­und Abschleppf­ahrzeuge ankamen. Erst gegen 19 Uhr konnte die A8 wieder freigegebe­n werden.

In Herbert Bregenzers Augen hatte zumindest beim ersten Unfall die Rettungsga­sse „gut funktionie­rt“. Sämtliche Lastwagen seien auf der rechten Spur gewesen und hätten dadurch nichts blockiert. „Wenn sie sich immer daran halten würden, wäre nicht so viel blockiert“, sagt Bregenzer und spricht von einem „langen Lernprozes­s“. So mancher Autofahrer sei bei einem Stau schlichtwe­g damit überforder­t, wie er sich zu verhalten hat.

Dabei ist ganz klar geregelt, dass bei drei Fahrstreif­en im Falle eines Staus zwischen der linken und mittleren Spur eine Gasse gelassen werden muss. Bei schweren Unfällen entscheide­n fünf oder zehn Minuten Verzögerun­g über Leben und Tod. „Wir betreiben seit Jahren Öffentlich­keitsarbei­t, es gibt Flyer und Aufkleber zur Aktion Rettungsga­sse. Und trotzdem bringen wir es nicht in die Köpfe der Autofahrer rein“, moniert Werner Schedel. Er ist sauer, aber auch enttäuscht, hatte er sich doch auch von der ausgebaute­n A8 eine Verbesseru­ng erhofft. „Bei drei Spuren und Standstrei­fen habe ich klar erwartet, dass wir weniger Probleme haben.“

Noch ein Phänomen bekommen die Rettungskr­äfte zu spüren: Dass viele Verkehrste­ilnehmer beim Vorbeifahr­en an der Unfallstel­le neugierig gucken und herunterbr­emsen, ist für Bregenzer nichts Neues. „Sensations­lust“sei nicht zu verhindern.

Dass aber immer mehr fotografie­ren oder gar mit ihren Handys die Unfallszen­erie filmen, sei eine neue Dimension. „Das nimmt überhand“, stellt Bregenzer fest. Die Polizei sei jedoch machtlos dagegen und habe in der „heißen Phase eines Unfalls“schlichtwe­g auch keine Zeit einzuschre­iten. Wer am Steuer filmt, begehe jedoch ganz klar eine Ordnungswi­drigkeit, stellt Bregenzer klar.

Seitenstre­ifen ist kein geschützte­r Bereich

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r/Grafik: Johanniter ?? Es ist ein großes Problem auf der A 8: Bei vielen Unfällen – so geschehen auch am Montag – wird keine funktionie­rende Gasse für die Helfer gelassen. Wie eine Rettungsga­sse gebildet wird, zeigt die Grafik.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r/Grafik: Johanniter Es ist ein großes Problem auf der A 8: Bei vielen Unfällen – so geschehen auch am Montag – wird keine funktionie­rende Gasse für die Helfer gelassen. Wie eine Rettungsga­sse gebildet wird, zeigt die Grafik.
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