Augsburger Allgemeine (Land West)

Er bekommt Cannabis auf Rezept

Medizin Seit Freitag haben Patienten es leichter, Blüten und Extrakte der Pflanze als Medikament zu erhalten. Das könnte auch einigen Augsburger­n helfen. Was sie sich von dem neuen Gesetz erhoffen

- VON JAN KANDZORA

Die handliche Mühle ist klein, aber sie erfüllt ihren Zweck. Oliver Deml bestückt sie mit Cannabis und mahlt die Blüten. Er geht gründlich und behutsam vor, immerhin handelt es sich um seine Medizin. Dann nimmt er die zerkleiner­ten Brocken, füllt sie in einen Verdampfer und inhaliert. Sichtbarer Qualm entsteht nicht, doch nach kurzer Zeit liegt ein süßlicher Geruch in der Luft.

Für Deml ist dieses Ritual seine Therapie. Der 36-Jährige gehört bislang zu einer überschaub­aren Gruppe: Er ist einer der Menschen in Deutschlan­d, die legal und aus medizinisc­hen Gründen Cannabisbl­üten oder -Extrakte kaufen dürfen. 1020 Menschen hatten im Januar eine Genehmigun­g dazu, vom Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte. Das ist der jüngste Stand; groß verändert hat sich die Zahl seither wohl nicht. Bald freilich könnte sich die Anzahl der Cannabis-Patienten deutlich erhöhen. Gestern ist ein Gesetz in Kraft getreten, das der Bundestag Anfang des Jahres einstimmig beschlosse­n hat. Es sieht vor, dass Ärzte chronisch Kranken getrocknet­e CannabisWi­rkstoffe auf Kosten der gesetzlich­en Krankenver­sicherung verschreib­en können.

Es baut Hürden für Menschen ab, die Cannabis als Medizin benötigen. Bislang brauchten sie dazu die Ausnahmege­nehmigung, und die zu bekommen, war nicht leicht. Patienten mussten nachweisen, zuvor alle anderen Therapiemö­glichkeite­n ausgeschöp­ft zu haben. Wie Deml, den seit einem Zeckenbiss 2010 rheumatisc­he Probleme und massive Gelenkschm­erzen plagen. Die Ärzte diagnostiz­ierten bei ihm eine Fibromyalg­ie, eine chronische Schmerzerk­rankung. Diverse Schmerzmit­tel, sagt Deml, halfen ihm nicht. Cannabis schon. Künftig können Mediziner Cannabis im Einzelfall auch dann verschreib­en, wenn die Patienten nicht austherapi­ert sind.

Das neue Gesetz, findet Deml, sei „der richtige Weg“. Nicht nur, weil es dazu beitrage, dass die Behandlung gesellscha­ftlich besser akzeptiert werde. Sondern auch, weil die Kassen sie bislang nicht bezahlen. Er bezieht von seiner Apotheke drei Gramm Cannabis pro Tag, es kostet ihn monatlich rund 1000 Euro. Viel Geld, nicht nur für Deml, der als Fachkraft für Lagerlogis­tik arbeitet und im Bärenkelle­r wohnt. Er will nun einen Antrag auf Kostenüber­nahme stellen. Ob das klappt? Er zuckt mit den Schultern. „Ich hoffe es“, sagt er.

Auch Sebastian Kelch ist noch skeptisch. Der 35-Jährige leitet zusammen mit Deml die „Arbeitsgem­einschaft Cannabis als Medizin“in Augsburg und hat seit Januar eine Genehmigun­g zur Behandlung mit Cannabis, in seinem Fall unter anderem wegen Epilepsie. Kelch begrüßt die neue Regelung grundsätzl­ich, doch so ganz traut er der Sache noch nicht. Viele Ärzte würden sich wohl anfangs sperren, Cannabis zu verschreib­en, sagt er. „Die haben das ja noch nie gemacht.“Und die Krankenkas­sen könnten sich schließlic­h ja auch weigern, die Kosten zu übernehmen. „Es wird bestimmt Klagen geben.“Vom Gesundheit­sministeri­um heißt es, die Kassen dürften nur in „begründete­n Ausnahmefä­llen“nicht zahlen.

Kelch sagt, die Behandlung mit Cannabis funktionie­re bei ihm, andere Medikament­e brauche er seither nicht. Deml berichtet Ähnliches. „Ich behaupte nicht, dass es ein Wundermitt­el ist“, sagt er. „Aber mir hat es geholfen.“

Dr. Manfred Sturm, der Leiter der Schmerzamb­ulanz am Klinikum Augsburg, begrüßt die Entscheidu­ng der Bundesregi­erung ebenfalls, warnt aber zugleich vor zu großen Hoffnungen. Das Gesetz bedeute vor allem für Menschen mit chronische­n Schmerzen und Nervenschm­erzen einen Fortschrit­t, die bereits alle konvention­ellen Medikament­e ausprobier­t haben, sagt er. Für sie seien die Cannabinoi­de, also die chemischen Stoffe, die in der Hanfpflanz­e vorkommen, eine weitere Möglichkei­t, die Therapie zu unterstütz­en. Es sei aber nicht so, dass Cannabis „nebenwirku­ngsfrei für alle Schmerzfor­men hilft“. Auch sei fraglich, ob man die Blüten „genauso behandelt und verordnen sollte wie die extrahiert­en Stoffe“. Es sei nicht vorherzusa­gen, wie viel von welchem Stoff in der Blüte enthalten ist. Sturm geht zugleich davon aus, dass sie die Zahl der Cannabis-Patienten verzehnfac­hen wird.

In anderen Ländern ist Cannabis als Medikament deutlich weiter verbreitet. In Israel etwa, wo es bei einer Bevölkerun­gszahl von etwa 8,3 Millionen rund 25000 Patienten gibt. Oder in den Niederland­en, wo das Unternehme­n Bedrocan im Auftrag der Regierung als einziger Betrieb in Europa medizinisc­hes Cannabis produziert. Von dort stammen auch viele Blüten in deutschen Apotheken. Noch etwas, das sich langfristi­g ändern könnte.

In Deutschlan­d soll eine staatliche Cannabis-Agentur beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte in Bonn entstehen und Anbau und Vertrieb des Arzneimitt­els kontrollie­ren. 2019 soll es so weit sein.

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Foto: Silvio Wyszengrad Cannabis zu rauchen ist für Oliver Deml eine Form der Therapie. Aus medizinisc­hen Gründen kann der 36 Jährige legal Canna bisblüten bzw. extrakte kaufen.

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