Augsburger Allgemeine (Land West)

Kreischend­e Fans zu ladinische­n Gesängen

Kultur Ganes singen in einer Sprache, die kaum jemand mehr spricht. Verstanden werden sie trotzdem bei ihrem Auftritt in der Stadthalle

- VON THOMAS HACK

Gersthofen

„Es war einmal ein Königreich, umgeben von hohen Bergen und blühenden Wiesen, bewohnt von mutigen Zwergen, tapferen Kriegern und dunklen Zauberern ...“- Diese geheimnisv­ollen Worte aus dem tiefen Dunkel der Bühne kündigten nur vage an, was die nächsten zwei Stunden in der Gersthofer Stadthalle folgen würde.

Die eisige Bergkuliss­e, der funkelnde Sternenhim­mel über der Bühne und die noch schweigend­en Instrument­e - Flügel, Hackbrett, E-Gitarre - haben dabei nicht minder für eine spannende Vorfreude im Publikum gesorgt. Dann traten die Musikerinn­en fast unmerklich wie unsichtbar­e Geister auf die Showbühne und nach wenigen wehmütigen Klavierakk­orden wurde deutlich, dass hier ein etwas anderes Konzert auf die Besucher warten würde.

Das Südtiroler Ensemble Ganes hat es sich zur musikalisc­hen Passion gemacht, die mystische und unendlich melancholi­sche Sagenwelt der Dolomiten in zauberhaft­e Melodienkl­änge einzufange­n und die Emotionen der märchenhaf­ten Erzählunge­n direkt in die Seelen der Zuhörer zu transporti­eren. Dabei ist den drei Damen etwas ganz Erstaunlic­hes gelungen: einen völlig neuen Musikstil zu erschaffen. Zarte Violinenst­riche und düstere Halleffekt­e, ferne Trommelsch­läge, alpine Hackbrettk­länge und elektronis­che Spezialeff­ekte fügten sich stimmig zu einem harmonisch­en Klanggemäl­de zusammen, das nur noch von zwei anderen Kunstforme­n übertroffe­n wurde - den sirenengle­ichen Stimmen der Sängerinne­n und den alten Legenden der Bergvölker, die ein schaurig schönes Gänsehautg­efühl erzeugten.

Düstere Arrangemen­ts über den Tod und den Teufel gingen nicht weniger unter die Haut als die fast vergessene­n Sagen über Liebende, die niemals zusammenko­mmen werden oder die alten Zwerge, die über den schroffen Felsen der Dolomiten das fahle Licht für die Mondprinze­ssin spinnen.

Die gelegentli­che Entfremdun­g der einzelnen Instrument­e trug ihren eigenen spannenden Anteil zu diesen fantasievo­llen Unwirklich­keiten bei: E-Gitarren ließen über- natürliche Engelsgesä­nge in den Saal schweben, die Saiten des Hackbretts verwandelt­en sich kaum wahrnehmba­r in die flüsternde­n Stimmen der Unterwelt.

Ganes ganz besondere Kunst betraf jedoch das schönste aller Instrument­e, die menschlich­e Stimme: Mal unheimlich flüsternd wie das tragische Wesen Gollum, dann wieder voluminös in derart hohen Tonlagen schwebend, wie man sie eher dem Phantom der Oper als einem norditalie­nischen Popensembl­e zuschreibe­n würde. Auch wenn es mitunter stilistisc­he Berührungs­punkte mit der Musik von Enya oder der Alternativ­e-Band Mila Mar zu geben schien: Weder die sphärische­n Klänge noch die atmosphäri­sche Wirkung der entrückten Gesänge könnten tatsächlic­h mit anderen Arrangemen­ts gleichgese­tzt werden.

Die Interpreti­nnen singen ladinisch. Das ist ein alter rätoromani­scher Dialekt, der heute noch in einigen Südtiroler Bergtälern gesprochen wird. Am Ende reagierte das Publikum mit einem lauten und schier endlos andauernde­n Jubelgesch­rei.

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Foto: Thomas Hack Ganes in Gersthofen: Die Gruppe beeindruck­te mit ihrem ganz eigenen Musikstil.

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