Augsburger Allgemeine (Land West)
Kreischende Fans zu ladinischen Gesängen
Kultur Ganes singen in einer Sprache, die kaum jemand mehr spricht. Verstanden werden sie trotzdem bei ihrem Auftritt in der Stadthalle
Gersthofen
„Es war einmal ein Königreich, umgeben von hohen Bergen und blühenden Wiesen, bewohnt von mutigen Zwergen, tapferen Kriegern und dunklen Zauberern ...“- Diese geheimnisvollen Worte aus dem tiefen Dunkel der Bühne kündigten nur vage an, was die nächsten zwei Stunden in der Gersthofer Stadthalle folgen würde.
Die eisige Bergkulisse, der funkelnde Sternenhimmel über der Bühne und die noch schweigenden Instrumente - Flügel, Hackbrett, E-Gitarre - haben dabei nicht minder für eine spannende Vorfreude im Publikum gesorgt. Dann traten die Musikerinnen fast unmerklich wie unsichtbare Geister auf die Showbühne und nach wenigen wehmütigen Klavierakkorden wurde deutlich, dass hier ein etwas anderes Konzert auf die Besucher warten würde.
Das Südtiroler Ensemble Ganes hat es sich zur musikalischen Passion gemacht, die mystische und unendlich melancholische Sagenwelt der Dolomiten in zauberhafte Melodienklänge einzufangen und die Emotionen der märchenhaften Erzählungen direkt in die Seelen der Zuhörer zu transportieren. Dabei ist den drei Damen etwas ganz Erstaunliches gelungen: einen völlig neuen Musikstil zu erschaffen. Zarte Violinenstriche und düstere Halleffekte, ferne Trommelschläge, alpine Hackbrettklänge und elektronische Spezialeffekte fügten sich stimmig zu einem harmonischen Klanggemälde zusammen, das nur noch von zwei anderen Kunstformen übertroffen wurde - den sirenengleichen Stimmen der Sängerinnen und den alten Legenden der Bergvölker, die ein schaurig schönes Gänsehautgefühl erzeugten.
Düstere Arrangements über den Tod und den Teufel gingen nicht weniger unter die Haut als die fast vergessenen Sagen über Liebende, die niemals zusammenkommen werden oder die alten Zwerge, die über den schroffen Felsen der Dolomiten das fahle Licht für die Mondprinzessin spinnen.
Die gelegentliche Entfremdung der einzelnen Instrumente trug ihren eigenen spannenden Anteil zu diesen fantasievollen Unwirklichkeiten bei: E-Gitarren ließen über- natürliche Engelsgesänge in den Saal schweben, die Saiten des Hackbretts verwandelten sich kaum wahrnehmbar in die flüsternden Stimmen der Unterwelt.
Ganes ganz besondere Kunst betraf jedoch das schönste aller Instrumente, die menschliche Stimme: Mal unheimlich flüsternd wie das tragische Wesen Gollum, dann wieder voluminös in derart hohen Tonlagen schwebend, wie man sie eher dem Phantom der Oper als einem norditalienischen Popensemble zuschreiben würde. Auch wenn es mitunter stilistische Berührungspunkte mit der Musik von Enya oder der Alternative-Band Mila Mar zu geben schien: Weder die sphärischen Klänge noch die atmosphärische Wirkung der entrückten Gesänge könnten tatsächlich mit anderen Arrangements gleichgesetzt werden.
Die Interpretinnen singen ladinisch. Das ist ein alter rätoromanischer Dialekt, der heute noch in einigen Südtiroler Bergtälern gesprochen wird. Am Ende reagierte das Publikum mit einem lauten und schier endlos andauernden Jubelgeschrei.