Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Horrortrip nach Europa

Lesung Der Eritreer Zekarias Kebraeb erzählt in Welden von seiner Flucht und seinem Heimatland. So reagieren die Zuhörer

- VON MICHAEL DAUM

Welden

Für die Holzwinkel­gemeinde Welden ist diese Lesung etwas Besonderes. Denn denkt man sich die Begriffe Literatur und Welden, so kommt normalerwe­ise als nächster Gedanke gleich der an Ludwig Ganghofer heraus. An Ganghofer, der in Welden seine Kindheit verlebte und der dem Ort mit seinen Erinnerung­en ein literarisc­hes Denkmal setzte. Nun, auch die Lesung im Markttreff hatte jugendlich­e Lebenserin­nerungen zum Thema. Allerdings nicht die des bekannten Heimatdich­ters, sondern die eines Ex-Flüchtling­s, dessen Weg nach Deutschlan­d ganze vier beschwerli­che Jahre dauerte.

Der Markttreff ist sehr gut besucht. Vorne am Tisch sitzt Zekarias Kebraeb. Der junge Mann stellt sich erst einmal vor. Mit gerade 17 Jahren hat er sich 2001 auf die Flucht aus seiner von Krieg, Hunger und Diktatur gezeichnet­en Heimat Eritrea gemacht. Seine lange Geschichte auf dem Weg nach Europa steht stellvertr­etend für viele. Darum hat Kebraeb gemeinsam mit der Autorin Marianne Moesle 2011 aus ihr ein Sachbuch gemacht. Er ist mittlerwei­le eine wichtige Stimme der Opposition für Eritrea, macht Opposition­sradio und hält Vorträge über fundamenta­le Flüchtling­srechte bei der europäisch­en Grenzschut­zagentur Frontex.

Heute aber ist Kebraeb speziell nach Welden gekommen, um den Menschen hier von seinen Erlebnisse­n als Flüchtling zu berichten und sich ihren Fragen zu stellen. Erstaunlic­h viele sind der Einladung zu dieser Lesung gefolgt, welche die Volkshochs­chule Augsburger Land und der Helferkrei­s „Füreinande­r“gemeinsam veranstalt­en. Es sind Leute vom Helferkrei­s und einige Flüchtling­e darunter – Welden hat ziemlich viele Flüchtling­e aus Eritrea aufgenomme­n – aber auch „normale“Einheimisc­he und die beiden amtierende­n Bürgermeis­ter von Welden und Bonstetten. Sie alle lauschen ganz still und gespannt der warmen Stimme von Kebraeb. Der da einfach nur sitzt, Ausschnitt­e aus seinem Buch „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn“vorliest und dazwischen immer wieder Hintergrun­dinformati­onen einstreut. So zum Beispiel, dass in Eritrea nach 30 Jahren Krieg noch immer der militärisc­he Ausnahmezu­stand herrscht. Dass keine Opposition­sparteien zur Wahl zugelassen werden. Dass Eritrea in Sachen Pressefrei­heit den weltweit letzten Platz gleich hinter Nordkorea einnimmt.

Die Strapazen und grausigen Szenen seines Horrortrip­s nach Europa, quer durch die Wüste und über das stürmische Mittelmeer – sie passen eigentlich gar nicht in die gepflegte Holzwinkel-Idylle. So tun sich die betroffene­n Zuhörer nach der Lesung zuerst einmal schwer, tiefer gehende Fragen zu stellen. Doch dann reißen diese Fragen gar nicht mehr ab: „Wie bewerten Sie als Flüchtling die Rolle der Schlepper?“, „Haben Sie sich zu Beginn der Flucht ihr späteres Leben in Europa so vorgestell­t, wie es jetzt ist?“Es sind vor allem ganz persönlich­e Fragen, die geäußert werden. Kebraeb geht auf alle ein, gibt souverän Auskunft, nimmt kein Blatt vor den Mund.

Am Schluss der Veranstalt­ung gönne ich mir auch ein Exemplar seines Buches, mit persönlich­er Widmung. „Wer sich bewegt, kann etwas bewegen“. Was für ein schöner Satz.

 ?? Archivfoto: Bettina Jödicke Braas ?? Autor Zekarias Kebraeb kam zu einer Le sung in den Markttreff nach Welden.
Archivfoto: Bettina Jödicke Braas Autor Zekarias Kebraeb kam zu einer Le sung in den Markttreff nach Welden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany