Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Horrortrip nach Europa
Lesung Der Eritreer Zekarias Kebraeb erzählt in Welden von seiner Flucht und seinem Heimatland. So reagieren die Zuhörer
Welden
Für die Holzwinkelgemeinde Welden ist diese Lesung etwas Besonderes. Denn denkt man sich die Begriffe Literatur und Welden, so kommt normalerweise als nächster Gedanke gleich der an Ludwig Ganghofer heraus. An Ganghofer, der in Welden seine Kindheit verlebte und der dem Ort mit seinen Erinnerungen ein literarisches Denkmal setzte. Nun, auch die Lesung im Markttreff hatte jugendliche Lebenserinnerungen zum Thema. Allerdings nicht die des bekannten Heimatdichters, sondern die eines Ex-Flüchtlings, dessen Weg nach Deutschland ganze vier beschwerliche Jahre dauerte.
Der Markttreff ist sehr gut besucht. Vorne am Tisch sitzt Zekarias Kebraeb. Der junge Mann stellt sich erst einmal vor. Mit gerade 17 Jahren hat er sich 2001 auf die Flucht aus seiner von Krieg, Hunger und Diktatur gezeichneten Heimat Eritrea gemacht. Seine lange Geschichte auf dem Weg nach Europa steht stellvertretend für viele. Darum hat Kebraeb gemeinsam mit der Autorin Marianne Moesle 2011 aus ihr ein Sachbuch gemacht. Er ist mittlerweile eine wichtige Stimme der Opposition für Eritrea, macht Oppositionsradio und hält Vorträge über fundamentale Flüchtlingsrechte bei der europäischen Grenzschutzagentur Frontex.
Heute aber ist Kebraeb speziell nach Welden gekommen, um den Menschen hier von seinen Erlebnissen als Flüchtling zu berichten und sich ihren Fragen zu stellen. Erstaunlich viele sind der Einladung zu dieser Lesung gefolgt, welche die Volkshochschule Augsburger Land und der Helferkreis „Füreinander“gemeinsam veranstalten. Es sind Leute vom Helferkreis und einige Flüchtlinge darunter – Welden hat ziemlich viele Flüchtlinge aus Eritrea aufgenommen – aber auch „normale“Einheimische und die beiden amtierenden Bürgermeister von Welden und Bonstetten. Sie alle lauschen ganz still und gespannt der warmen Stimme von Kebraeb. Der da einfach nur sitzt, Ausschnitte aus seinem Buch „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn“vorliest und dazwischen immer wieder Hintergrundinformationen einstreut. So zum Beispiel, dass in Eritrea nach 30 Jahren Krieg noch immer der militärische Ausnahmezustand herrscht. Dass keine Oppositionsparteien zur Wahl zugelassen werden. Dass Eritrea in Sachen Pressefreiheit den weltweit letzten Platz gleich hinter Nordkorea einnimmt.
Die Strapazen und grausigen Szenen seines Horrortrips nach Europa, quer durch die Wüste und über das stürmische Mittelmeer – sie passen eigentlich gar nicht in die gepflegte Holzwinkel-Idylle. So tun sich die betroffenen Zuhörer nach der Lesung zuerst einmal schwer, tiefer gehende Fragen zu stellen. Doch dann reißen diese Fragen gar nicht mehr ab: „Wie bewerten Sie als Flüchtling die Rolle der Schlepper?“, „Haben Sie sich zu Beginn der Flucht ihr späteres Leben in Europa so vorgestellt, wie es jetzt ist?“Es sind vor allem ganz persönliche Fragen, die geäußert werden. Kebraeb geht auf alle ein, gibt souverän Auskunft, nimmt kein Blatt vor den Mund.
Am Schluss der Veranstaltung gönne ich mir auch ein Exemplar seines Buches, mit persönlicher Widmung. „Wer sich bewegt, kann etwas bewegen“. Was für ein schöner Satz.