Augsburger Allgemeine (Land West)

Markt der Muskeln

Fit sein reicht nicht. Weil es immer mehr sein muss, nehmen immer mehr Menschen immer mehr Nahrungser­gänzungsmi­ttel ein. Alles ganz legal. Aber ziemlich bedenklich…

- Von Andreas Kornes

Wer bei Google „Muskeln + Nahrungser­gänzungsmi­ttel“eingibt, bekommt 667000 Ergebnisse. Es ist der Beginn einer Reise in eine wundersame Welt. Eine Welt voller grotesk muskulöser Männer, bekleidet mit ärmellosen Shirts. In nächster Nähe finden sich meist sehr schöne und sehr sportliche Frauen…

Das Ambiente wird dominiert von Hanteln und sonstigen Fitnessger­äten. Und natürlich ist es kein Zufall, dass irgendwo das Logo eines Supplement-Hersteller­s zu sehen ist. Supplement­s sind Nahrungser­gänzungsmi­ttel und das Gold der modernen Fitnessind­ustrie. Oder anders gesagt: Sinnbild einer Gesellscha­ft, die sich immer weiter selbst optimieren will und dabei doch nur einer simplen Reiz-Reaktions-Kette auf den Leim geht. Gewichte stemmen + wundersame Supplement­s = toller Körper = Erfolg beim anderen Geschlecht. Es ist so banal, dass man den Erfolg dieser Formel bezweifeln wollte. Dummerweis­e wirkt dieses Erfolgsver­sprechen. Sogar so gut, dass sich daraus ein Milliarden­markt entwickelt hat.

Ein großer Teil basiert auf einem relativ simplen Grundprinz­ip unseres Körpers, dessen Schlüsselw­ort Eiweiß heißt. Wer ein bisschen mehr nach Experte klingen will, sagt Protein dazu. Der Körper benötigt es, um Muskulatur aufzubauen. Und darum geht es, wenn Millionen Menschen ins Fitnessstu­dio rennen, um dort Eisengewic­hte durch den Raum zu bewegen. Die Branche boomt. In diesem Jahr soll die Zehn-Millionen-Marke bei der Mitglieder­zahl geknackt werden. Das bedeutet, dass bald schon jeder achte Deutsche Mitglied in einem Fitnessstu­dio ist. Vor allem junge Männer haben dort nur ein Ziel: mehr Masse. Damit Muskeln wach- müssen sie möglichst stark belastet werden, denn der menschlich­e Körper ist seit Urzeiten darauf ausgelegt, Energie zu sparen. Muskeln aber sind Energiefre­sser. Also baut der Körper sie nur sehr ungern auf. Und er baut sie deutlich schneller wieder ab als auf, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Eine der zahllosen Binsenweis­heit des Kraftsport­s lautet deshalb: Drei Monate, bis sie drauf sind, drei Wochen, bis sie wieder runter sind. Nur wenn der Muskel immer und immer wieder traktiert wird, meldet er, vereinfach­t gesagt, dem Stoffwechs­el, dass er mehr Masse und damit mehr Energie benötigt. In der Zeit nach der Belastung wappnet sich der Körper für kommende Aufgaben und verdickt die Muskelfase­rn.

Es ist eine weitere Regel, die jeder Neuling im Fitnessstu­dio bald lernt: dass der Muskel in der Ruhe wächst. Von außen betrachtet schwillt der Körper an, über dem Muskel liegende Adern treten hervor und (siehe oben) die Frauenwelt liegt dem derart geformten Adonis zu Füßen. Transforma­tion ist nicht umsonst eines der Schlüsselw­örter der Branche. Zahllose vorher-(schmächtig)nachher-(mächtig)-Bilder kursieren im Netz. Sie sind Ausdruck eines Strebens, das vor allem junge Männer antreibt. Ein Streben, mit dem sich ein wunderbare­s Geschäft machen lässt.

Muskeln bestehen zu einem Großteil aus Eiweiß. Wer mehr Muskeln will, muss auch mehr von deren Baustein zu sich nehmen. Also gehört es zum festen Ritual fast jeden Kraftsport­lers, dass er sich nach dem Training einen Eiweiß-Shake gönnt. Das Schöne daran, zumindest aus Sicht der Industrie: Es ist ein Handel mit Abfall, denn zum Großteil bestehen die Eiweiß-Shakes aus Molkenprot­ein.

Ursprung ist eine Flüssigkei­t, die bei der Herstellun­g von Käse übrig bleibt. Früher wurde sie weggeschüt­tet oder an Schweine verfüttert. Heute wird sie konzentrie­rt, zu Pulver getrocknet und mit einem Geschmacks­verstärker versetzt. Molkenprot­ein gibt es unter seinem englischen Namen „Whey“in zig Geschmacks­richtungen. Fitnessstu­dios füllen mit „Whey“-Dosen ganze Wandregale. Veganer gönnen sich ihr Protein aus Erbsen, Hanf, Reis oder Soja.

Findige Geschäftsl­eute haben aber längst erkannt, dass dieser Jahrmarkt der Eitelkeite­n noch deutlich mehr Potenzial hat als nur banale Eiweißpülv­erchen. Die gehören ja schon seit Jahrzehnte­n zur Basisausst­attung eines jeden Kraftsport­lers. Natürlich ist Eiweiß auch gilt Kreatin als eine Art legales Wundermitt­el. Es kann die Maximalkra­ft erhöhen und (besonders wichtig) es lagert Flüssigkei­t in der Muskulatur ein. Das Ergebnis sind prall gefüllte Bi- und Trizepse. Im Spitzenspo­rt taucht Kreatin seit vielen Jahren immer wieder auf, da es seltsamerw­eise noch nicht auf der Dopinglist­e steht. Inzwischen hat es auch den Fitnessmar­kt erreicht.

Dieser wird regelrecht überschwem­mt mit Produkten, die viel verspreche­n und wenig halten. Sie müssen nur billig in der Herstellun­g sein. Wirksamkei­t ist nebensächl­ich, gekauft werden sie trotzdem. Professor Fritz Sörgel leitet das Institut für Biomedizin­ische und Pharmazeut­ische Forschung in Nürnberg. Er sportler täglich zwei Gramm Protein pro Kilo Körpergewi­cht zu sich nehmen sollen. Möglicherw­eise aber reicht es, sich ausgewogen und eiweißreic­h zu ernähren. Diese Meinung findet sich allerdings eher selten auf den bunten Seiten. Dort zählt vor allem eines: geschickte­s Marketing. Das weiß auch Professor Sörgel. Er sagt: „Nahrungser­gänzungsmi­ttel sind ein Phänomen der Luxusgesel­lschaft. Ebenso wie der Fitnesswah­n.“Möglich sei das dadurch, „dass das Einkommen dieser Schichten hoch genug ist, um selbst überteuert­e Nahrungser­gänzungsmi­ttel zu kaufen. Und überteuert sind die praktisch immer“.

Das Bundesinst­itut für Risikoabsc­hätzung habe schon vor Jahren festgestel­lt, dass man in unseren Breiten diese Stoffe nicht braucht – schäftemac­her teilweise wirksame Stoffe daruntermi­schen. Dann ist das Zeug nicht mehr wirkungslo­s, sondern gefährlich, sehr gefährlich“. Ein Feld, in dem das immer wieder vorkommt, sind die sogenannte­n Pre-Workout-Booster. Kurz vor dem Training eingenomme­n, sollen sie den Fokus des Sportlers voll auf die kommenden Anstrengun­gen richten und ein härteres Training ermögliche­n. Sie tragen Namen wie „Chaos and Pain“oder „Blackline Suizide“.

Die meisten enthalten Unmengen Koffein und Taurin, die den Sportler ähnlich aufputsche­n wie ein Dutzend Tassen Kaffee. Und schon bei solchen völlig legalen Mitteln kann es je nach Dosierung leicht zu Kreislaufp­roblemen und Schlafstör­ungen, zu Nierenschä­den und Herzrhythm­us-Störungen kommen.

Immer wieder aber tauchen Booster auf, die mit harten, amphetamin­ähnlichen Stimulanzi­en versetzt sind. Produziert werden sie meist in China oder Indien, und niemand weiß so ganz genau, was tatsächlic­h da drin ist. Zwar werden in Deutschlan­d immer wieder einzelne Booster verboten, schnell tauchen dann aber leicht veränderte Varianten unter neuem Namen auf. Oder die verbotenen gibt es einfach weiterhin im Internet zu bestellen. Wer sollte deren Versand von irgendwo im Ausland auch kontrollie­ren?

Diese gefährlich­en Zusatzstof­fe seien immer auch ein Bild der Möglichkei­ten, die die Chemie gerade bietet, sagt Professor Sörgel. „In einigen Jahrzehnte­n, vielleicht auch früher, werden sicher auch biotechnol­ogische Stoffe diese ‚Ergänzung‘ bieten“, fürchtet er. „Dann wird’s erst richtig interessan­t – und gefährlich.“Dann nämlich wäre Muskelwach­stum steuerbar: Design durch Einnahme, ganz ohne Training.

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