Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Gnade der frühen Geburt

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Wer nach 1930 geboren wurde, erlebte die „Gnade der späten Geburt“. Für Hitlers letztes Aufgebot an Kindersold­aten war er noch zu jung.

Der Autor dieser Zeilen, 1950 geboren, erlebte wahrschein­lich die „Gnade der frühen Geburt“. Die, die damals zwischen 1948 und 1960 geboren wurden, wuchsen in sicheren Zeiten auf. Auf dem Schulpause­nhof wurde vielleicht mal gerangelt, aber außer leichten Schürfwund­en blieb nicht viel davon übrig. Als es 1966 mit den Discos begann (in dem Jahr eröffnete das legendäre „Big Apple“), gab es noch keine Türsteher und keine Security. Als „Oberlehrli­ng“in einer Druckerei gab ich in meinem ersten Lehrjahr einem „Stift“, der mich gepiesackt hatte, eine Kopfnuss. Aber seinen Lebensweg dürfte das nicht beeinträch­tigt haben. 1968 hängten wir uns ein „Peace-Zeichen“um den Hals und bekundeten unseren Willen zur Gewaltlosi­gkeit.

Eine erhebliche Störung dieses Friedensge­fühls kam erst mit der Musterung ins Leben. Der „Barras“(so wurde die Bundeswehr damals noch genannt) warf seine bedrohlich­en Schatten voraus. Dem „Barras“zu entkommen, gab es zwei Möglichkei­ten: Man konnte verweigern oder danach trachten, als „untauglich“eingestuft zu wer- den. Für das Letztere gab es Tricks, die in gefährdete­n Kreisen die Runde machten. Zum Beispiel vor der Musterung zehn Tassen „Bohnenkaff­ee“zu trinken und dazu zehn „Rothhändle“ohne Filter zu rauchen, damit das Herz bei der Untersuchu­ng bumbum macht.

Mein Schulfreun­d Hans hatte eine andere Methode, er machte auf taubstumm. Als Hans nach der Untersuchu­ng das Amtszimmer verließ, rief ihm der Amtsarzt nach: „Herr Meier, Sie haben etwas vergessen!“Darauf wandte sich Hans um und fragte „Ja, was?“Die ganze Täuschung fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Auch mein Trick hatte keinen Erfolg.

Ja, Angst hatte ich in meiner Jugend nie. Außer, dass uns am Samstagabe­nd die letzte Straßenbah­n vom „Big Apple“nach Kriegshabe­r davonfahre­n würde und wir den ganzen Weg nach Steppach zu Fuß zurücklege­n mussten. Heute habe ich Angst, wenn mein Patenkind am Samstag in die Disco geht. Hoffentlic­h trifft er nicht auf eine Gruppe von Schlägern. Ja, ihr anderen „alten Säcke“, geschenkt worden ist uns auch nichts, aber Angst war kein Wesensmerk­mal unserer Jugend.

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An dieser Stelle blickt der Kabarettis­t Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.

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Zeichnung: Silvano Tuiach

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