Augsburger Allgemeine (Land West)
Diabetiker wird auf der Autobahn schwarz vor Augen
Prozess Vor Gericht wird dem jungen Mann Fahrlässigkeit vorgeworfen. Hätte er den Schock vorhersehen müssen?
Günzburg Es ist einer dieser ganz heißen Tage im Juni 2016, als ein 22-Jähriger aus dem Landkreis Günzburg nach der Arbeit gegen 17 Uhr in sein Auto steigt. Der Schweiß läuft ihm herunter, er schiebt es auf das Wetter. Dass es nicht nur an der Hitze liegt, merkt der junge Mann aber bald. Als er auf der A 8 Richtung München unterwegs ist, wird dem Diabetiker auf einmal schwarz vor Augen. Mitten im Berufsverkehr fällt sein Blutzucker in den Keller. Auf Höhe der Rastanlage Leipheim fährt er einem vorausfahrenden Auto auf. In Schlangenlinien, teilweise über drei Spuren hinweg, fährt der Mann weiter. Ein Lastwagenfahrer kann nur durch eine Vollbremsung einen Zusammenstoß mit dem Auto vermeiden, das plötzlich seine Spur kreuzt. Kurz nach der Anschlussstelle Günzburg kracht der quasi fahrerlose Wagen in die Leitplanke.
So listet die Anklage die Geschehnisse an diesem Sommertag auf. Der schmächtige junge Mann, der mit schwarz umrandeter Brille und dunklem Kurzhaarschnitt vor dem Günzburger Amtsgericht sitzt, kann sich daran kaum erinnern. Ihm wird Gefährdung des Straßenverkehrs vorgeworfen. Seit 2009 weiß er, dass er an Diabetes mellitus Typ 1, einer angeborenen Form der Zuckerkrankheit, leidet. Deshalb, so argumentiert die Staatsanwaltschaft, hätte er erkennen müssen, dass eine Unterzuckerung droht und er nicht fahrtüchtig ist. „Ich habe mich gut gefühlt“, widerspricht der Angeklagte den Vorwürfen. Die typischen Symptome wie Herzrasen, Zittern und eben Schweißausbrüche, habe er nicht wahrgenommen. Zudem habe er nach dem Mittagessen ganz normal Insulin gespritzt.
Ein Gutachten, das Richter Raphael Ruisinger vorliest, kommt zu einem anderen Schluss. Demnach hätte der Angeklagte als „erfahrener“Diabetiker die Symptome erkennen müssen. Eine Unterzuckerung kündige sich in der Regel über mehrere Minuten hinweg an. Bei den geringsten Anzeichen hätte er vor der Fahrt seinen Insulinspiegel messen müssen. Für die Staatsanwältin ist das der Anlass, dem Mann Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Zumal er sich, wie er vor Gericht zugibt, nie über die Gefahren von Diabetes am Steuer informiert hat. „Ich habe nicht gewusst, dass so schlimme Sachen passieren können.“
Der Schock war offensichtlich heilsam. Nach dem Unfall begab sich der zurzeit arbeitslose Mann in Behandlung, machte eine intensive Diabetiker-Schulung. Der TÜV bescheinigt ihm grundsätzliche Fahrtauglichkeit, wie Verteidiger Thomas Maurer betont. Zudem bekomme sein Mandant demnächst ein neuartiges Warngerät, finanziert von der Krankenkasse. Es misst ständig den Blutzuckerspiegel und schickt eine Warnung an bis zu fünf Handys, wenn der Wert in den kritischen Bereich geht.
Diese Mühen berücksichtigt Richter Ruisinger bei seinem Urteil. Dass es vor dem Unfall keinerlei Vorwarnungen gegeben hat, das glaubt Ruisinger dem Angeklagten nicht. Zudem hätte er sich besser über Gefahren informieren müssen. Dass bei dem Unglück nichts Schlimmeres passiert ist, sei großes Glück gewesen, sagt der Richter. Er folgt der Forderung der Staatsanwaltschaft und verhängt eine Geldstrafe in Höhe von 1500 Euro. Außerdem darf der Mann noch ein halbes Jahr lang keinen neuen Führerschein beantragen. Den hatte er nach dem Unfall im vergangenen Sommer abgeben müssen. Anwalt Maurer, der einen Freispruch gefordert hat, will in der Sache in Berufung gehen.