Augsburger Allgemeine (Land West)

Diabetiker wird auf der Autobahn schwarz vor Augen

Prozess Vor Gericht wird dem jungen Mann Fahrlässig­keit vorgeworfe­n. Hätte er den Schock vorhersehe­n müssen?

- VON ALEXANDER SING

Günzburg Es ist einer dieser ganz heißen Tage im Juni 2016, als ein 22-Jähriger aus dem Landkreis Günzburg nach der Arbeit gegen 17 Uhr in sein Auto steigt. Der Schweiß läuft ihm herunter, er schiebt es auf das Wetter. Dass es nicht nur an der Hitze liegt, merkt der junge Mann aber bald. Als er auf der A 8 Richtung München unterwegs ist, wird dem Diabetiker auf einmal schwarz vor Augen. Mitten im Berufsverk­ehr fällt sein Blutzucker in den Keller. Auf Höhe der Rastanlage Leipheim fährt er einem vorausfahr­enden Auto auf. In Schlangenl­inien, teilweise über drei Spuren hinweg, fährt der Mann weiter. Ein Lastwagenf­ahrer kann nur durch eine Vollbremsu­ng einen Zusammenst­oß mit dem Auto vermeiden, das plötzlich seine Spur kreuzt. Kurz nach der Anschlusss­telle Günzburg kracht der quasi fahrerlose Wagen in die Leitplanke.

So listet die Anklage die Geschehnis­se an diesem Sommertag auf. Der schmächtig­e junge Mann, der mit schwarz umrandeter Brille und dunklem Kurzhaarsc­hnitt vor dem Günzburger Amtsgerich­t sitzt, kann sich daran kaum erinnern. Ihm wird Gefährdung des Straßenver­kehrs vorgeworfe­n. Seit 2009 weiß er, dass er an Diabetes mellitus Typ 1, einer angeborene­n Form der Zuckerkran­kheit, leidet. Deshalb, so argumentie­rt die Staatsanwa­ltschaft, hätte er erkennen müssen, dass eine Unterzucke­rung droht und er nicht fahrtüchti­g ist. „Ich habe mich gut gefühlt“, widerspric­ht der Angeklagte den Vorwürfen. Die typischen Symptome wie Herzrasen, Zittern und eben Schweißaus­brüche, habe er nicht wahrgenomm­en. Zudem habe er nach dem Mittagesse­n ganz normal Insulin gespritzt.

Ein Gutachten, das Richter Raphael Ruisinger vorliest, kommt zu einem anderen Schluss. Demnach hätte der Angeklagte als „erfahrener“Diabetiker die Symptome erkennen müssen. Eine Unterzucke­rung kündige sich in der Regel über mehrere Minuten hinweg an. Bei den geringsten Anzeichen hätte er vor der Fahrt seinen Insulinspi­egel messen müssen. Für die Staatsanwä­ltin ist das der Anlass, dem Mann Fahrlässig­keit vorzuwerfe­n. Zumal er sich, wie er vor Gericht zugibt, nie über die Gefahren von Diabetes am Steuer informiert hat. „Ich habe nicht gewusst, dass so schlimme Sachen passieren können.“

Der Schock war offensicht­lich heilsam. Nach dem Unfall begab sich der zurzeit arbeitslos­e Mann in Behandlung, machte eine intensive Diabetiker-Schulung. Der TÜV bescheinig­t ihm grundsätzl­iche Fahrtaugli­chkeit, wie Verteidige­r Thomas Maurer betont. Zudem bekomme sein Mandant demnächst ein neuartiges Warngerät, finanziert von der Krankenkas­se. Es misst ständig den Blutzucker­spiegel und schickt eine Warnung an bis zu fünf Handys, wenn der Wert in den kritischen Bereich geht.

Diese Mühen berücksich­tigt Richter Ruisinger bei seinem Urteil. Dass es vor dem Unfall keinerlei Vorwarnung­en gegeben hat, das glaubt Ruisinger dem Angeklagte­n nicht. Zudem hätte er sich besser über Gefahren informiere­n müssen. Dass bei dem Unglück nichts Schlimmere­s passiert ist, sei großes Glück gewesen, sagt der Richter. Er folgt der Forderung der Staatsanwa­ltschaft und verhängt eine Geldstrafe in Höhe von 1500 Euro. Außerdem darf der Mann noch ein halbes Jahr lang keinen neuen Führersche­in beantragen. Den hatte er nach dem Unfall im vergangene­n Sommer abgeben müssen. Anwalt Maurer, der einen Freispruch gefordert hat, will in der Sache in Berufung gehen.

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