Augsburger Allgemeine (Land West)

Er war der wahre König des Rock’n’Roll

Nachruf Chuck Berry, der jetzt mit 90 Jahren in die himmlische Ruhmeshall­e seiner Musik einzieht, hat die Rolling Stones ebenso wie die Beatles beeinfluss­t – und blieb stets das Gegenbild eines großen Konkurrent­en

- VON RUPERT HUBER

Bei alten Rock ’n’ Rollern ist es wie bei den oft zitierten Soldaten, die angeblich nicht sterben, sondern dahinwelke­n, aber unvergesse­n bleiben. Genauso ist es bei Chuck Berry, von dem viele sich fragten: Ja, lebt der noch?

Geht man in einen Rock’n’-Roll-Club, tanzen 20-Jährige zu „Sweet Little Sixteen“, „Maybellene“und „Roll Over Beethoven“, als gäbe es kein Morgen. Wobei das Morgen ein Gestern ist, an das sich die Boys mit Haargel und die Girls mit den Pferdeschw­änzen natürlich nicht erinnern können. Auch an Chuck Berry nicht, der nicht bloß die Songs geschriebe­n und gesungen, sondern auch einen eigenartig­en Gitarrenst­il entwickelt hat.

Jener Chuck Berry hat es geschafft, so alt zu werden, wie es wenigen Rockmusike­rn vergönnt ist. Mit 90 Jahren ist er jetzt in seinem Haus in Wentzville bei St. Louis im US-Bundesstaa­t Missouri verstorben. Schon länger hatte er sich zurückgezo­gen aus dem Geschäft, das schon lange nicht mehr seines war. Und auch zuvor musste er über Jahrzehnte hinweg halt das spielen, was die Leute hören wollten: „Nadine“, „Promised Land“oder „Little Queenie“.

Man musste schon froh sein, wenn er mal, wie erlebt, in den 80er Jahren eine Dreivierte­lstunde lang spielte, inklusive des Watschelga­ngs, der als „Duck Walk“sein Kennzeiche­n war. Die Gage, die er sich schon vor dem Auftritt auszahlen ließ, holte er meist im Koffer ab, wie die üppige Legende des wortkargen Musikers sagt.

Zu oft war der kreativste aller Rock-’n’-Roll-Musiker schon reingelegt worden, in Spelunken und Honky-Tonks. Die Enttäuschu­ng blieb an dem am 18. Oktober 1926 in einem Elendsvier­tel von St. Louis geborenen schwarzen Musiker seit der Jugend hängen. Der ungewollte Zweikampf zwischen dem jungen weißen Elvis Presley und dem genialen schwarzen Songschrei­ber Berry ging, wie in den 50er Jahren erwartet, zugunsten von Elvis aus. Der war kein Songautor, sah aber gut aus, ließ das Becken kreisen und machte die seichten Kinofilme, zu denen ihn sein Manager Tom Parker verdonnert­e. Da nutzte es nichts, dass Berry in den 50ern mit „School Days“den Nerv der Teenager inhaltlich besser traf.

Und nicht nur das: Seine meisterhaf­ten Texte, die Kritiker sogar mit Bob Dylans Lyrik verglichen, schafften es, dass Amerika-begeistert­e deutsche Jugendlich­e sich plötzlich auf der Landkarte der Vereinigte­n Staaten auskannten: „Pittsburgh, PA“oder „Norfolk, Virginia“führten uns in der Fantasie an Tankstelle­n und in Eisenbahn-Wartesäle und machten Lust auf das damals für viele unerreichb­are Land im Westen der Welt.

Das mag heute simpel klingen, und Chuck Berrys Songs waren von Wiederholu­ngen nicht frei. Trotzdem sind seine Gitarren-Intros legendär. Am schönsten wohl bei „Johnny B. Goode“, das die Karriere eines Country-Jungen beschreibt, Gitarre spielen konnte, als würde eine Glocke klingen.

Eher wie Alarmglock­en hörten sich die Nachrichte­n an, die aus dem kriminelle­n Milieu stammten. Als Teenager hatte er wegen verschiede­ner Vergehen mehrere Jahre in Jugendhaft verbracht. 1961 wurde er erneut verhaftet und kam für anderthalb Jahre hinter Gitter, weil er eine 14-Jährige über die Grenze zweier Bundesstaa­ten gebracht hatte. Kritiker sprachen von einem rassistisc­hen Urteil. Der Fund von Drogen und mit Minderjähr­igen gedrehten Pornos in seinem Haus sowie Steuerhint­erziehung brachten ihm erneut Ärger mit der Justiz ein.

Die britische Szene interessie­rte sich mehr für den Musiker Chuck Berry. Die Beatles lieferten eine starke Version von „Rock And Roll Music“ab und machten „Roll Over Beethoven“in Deutschlan­d bekannt. The Animals holten „Sweet Little Sixteen“aus der Schublade, was Jahre zuvor schon die Beach Boys als „Surfin’ USA“mit neuem Text zum Hit gemacht hatten.

Für den Rolling-Stones-Gitarriste­n Keith Richards ist Chuck Berry ein Idol. Noch heute erkennt man die aus kantigen Riffs herausgesc­hälten Gitarren-Einsprengs­el bei den Stones, die zu Berry gehören wie die besagten Intros, die der Meister in seinem typischen Sound zelebriert­e, indem er zwei Saiten zugleich anspielte.

Bis heute beginnen unzählige Bands ihre Rock-’n’-Roll-Numder mern mit Chuck Berrys TempoEinle­itung. Dabei hatte der Rocker schon immer gerne Country-Gitarrenli­nien und Blues-Elemente eingebaut. Nachzuhöre­n bei dem wenig gespielten Stück „Have Mercy Judge“, einem Blues, der das klassische Schema konterkari­ert.

Die Ehrungen kamen spät: Der Grammy für sein Lebenswerk im Jahr 1985, und die Aufnahme in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame im selben Jahr stellten nun auch offiziell Berrys Bedeutung heraus.

Für dieses Jahr hatte der Veteran ein neues Album angekündig­t, das seiner Frau Toddy gewidmet ist. Fast 70 Jahre waren die beiden verheirate­t. Und allen Fans, die gerne ein Gitarrist wie Johnny B. Goode wären, ist zu wünschen, dass ihr Name, wie im Song, in Neonlichte­rn vor der Konzerthal­le aufleuchte­t.

Wiederholt gab es Ärger mit der Justiz

 ?? Foto: imago/Zuma Press ?? Spreiz die Beine, zeig, dass du einen Körper und eine Gitarre hast: Rock ’n’ Roller Chuck Berry in Aktion.
Foto: imago/Zuma Press Spreiz die Beine, zeig, dass du einen Körper und eine Gitarre hast: Rock ’n’ Roller Chuck Berry in Aktion.

Newspapers in German

Newspapers from Germany