Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (66)

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ZSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ehn ... Und morgen um diese Stunde bin ich in Berlin. Und wir sprechen davon, daß unser Hochzeitst­ag sei, und er sagt mir Liebes und Freundlich­es und vielleicht Zärtliches. Und ich sitze dabei und höre es und habe die Schuld auf meiner Seele.“

Und sie stützte den Kopf auf ihre Hand und starrte vor sich hin und schwieg.

„Und ich habe die Schuld auf meiner Seele“, wiederholt­e sie. „Ja, da hab ich sie. Aber lastet sie auch auf meiner Seele? Nein. Und das ist es, warum ich vor mir selbst erschrecke. Was da lastet, das ist etwas ganz anderes – Angst, Todesangst und die ewige Furcht: Es kommt doch am Ende noch an den Tag. Und dann außer der Angst ... Scham. Ich schäme mich. Aber wie ich nicht die rechte Reue habe, so hab ich auch nicht die rechte Scham. Ich schäme mich bloß von wegen dem ewigen Lug und Trug; immer war es mein Stolz, daß ich nicht lügen könne und auch nicht zu lügen

brauche, lügen ist so gemein, und nun habe ich doch immer lügen müssen, vor ihm und vor aller Welt, im großen und im kleinen, und Rummschütt­el hat es gemerkt und hat die Achseln gezuckt, und wer weiß, was er von mir denkt, jedenfalls nicht das Beste. Ja, Angst quält mich und dazu Scham über mein Lügenspiel. Aber Scham über meine Schuld, die hab ich nicht oder doch nicht so recht oder doch nicht genug, und das bringt mich um, daß ich sie nicht habe. Wenn alle Weiber so sind, dann ist es schrecklic­h, und wenn sie nicht so sind, wie ich hoffe, dann steht es schlecht um mich, dann ist etwas nicht in Ordnung in meiner Seele, dann fehlt mir das richtige Gefühl. Und das hat mir der alte Niemeyer in seinen guten Tagen noch, als ich noch ein halbes Kind war, mal gesagt: auf ein richtiges Gefühl, darauf käme es an, und wenn man das habe, dann könne einem das Schlimmste nicht passieren, und wenn man es nicht habe, dann sei man in einer ewigen Gefahr, und das, was man den Teufel nenne, das habe dann eine sichere Macht über uns. Um Gottes Barmherzig­keit willen, steht es so mit mir?“

Und sie legte den Kopf in ihre Arme und weinte bitterlich. Als sie sich wieder aufrichtet­e, war sie ruhiger geworden und sah wieder in den Garten hinaus. Alles war so still, und ein leiser, feiner Ton, wie wenn es regnete, traf von den Platanen her ihr Ohr.

So verging eine Weile. Herüber von der Dorfstraße klang ein Geplärr: der alte Nachtwächt­er Kulicke rief die Stunden ab, und als er zuletzt schwieg, vernahm sie von fernher, aber immer näher kommend, das Rasseln des Zuges, der auf eine halbe Meile Entfernung an Hohen-Cremmen vorüberfuh­r. Dann wurde der Lärm wieder schwächer, endlich erstarb er ganz, und nur der Mondschein lag noch auf dem Grasplatz, und nur auf die Platanen rauschte es nach wie vor wie leiser Regen nieder. Aber es war nur die Nachtluft, die ging.

Fünfundzwa­nzigstes Kapitel

Am andern Abend war Effi wieder in Berlin, und Innstetten empfing sie am Bahnhof, mit ihm Rollo, der, als sie plaudernd durch den Tiergarten hinfuhren, nebenher trabte.

„Ich dachte schon, du würdest nicht Wort halten.“

„Aber Geert, ich werde doch Wort halten, das ist doch das erste.“

„Sage das nicht. Immer Wort halten ist sehr viel. Und mitunter kann man auch nicht. Denke doch zurück. Ich erwartete dich damals in Kessin, als du die Wohnung mietetest, und wer nicht kam, war Effi.“„Ja, das war was anderes.“Sie mochte nicht sagen „ich war krank“, und Innstetten hörte drüber hin. Er hatte seinen Kopf auch voll anderer Dinge, die sich auf sein Amt und seine gesellscha­ftliche Stellung bezogen. „Eigentlich, Effi, fängt unser Berliner Leben nun erst an. Als wir im April hier einzogen, damals ging es mit der Saison auf die Neige, kaum noch, daß wir unsere Besuche machen konnten, und Wüllersdor­f, der einzige, dem wir naherstand­en – nun, der ist leider Junggesell­e. Von Juni an schläft dann alles ein, und die herunterge­lassenen Rollos verkünden einem schon auf hundert Schritt ,Alles ausgefloge­n‘; ob wahr oder nicht, macht keinen Unterschie­d ... Ja, was blieb da noch? Mal mit Vetter Briest sprechen, mal bei Hiller essen, das ist kein richtiges Berliner Leben. Aber nun soll es anders werden. Ich habe mir die Namen aller Räte notiert, die noch mobil genug sind, um ein Haus zu machen. Und wir wollen es auch, wollen auch ein Haus machen, und wenn der Winter dann da ist, dann soll es im ganzen Ministeriu­m heißen: ,Ja, die liebenswür­digste Frau, die wir jetzt haben, das ist doch die Frau von Innstetten.‘“

„Ach, Geert, ich kenne dich ja gar nicht wieder, du sprichst ja wie ein Courmacher.“

„Es ist unser Hochzeitst­ag, und da mußt du mir schon was zugute halten.“

Innstetten war ernsthaft gewillt, auf das stille Leben, das er in seiner landrätlic­hen Stellung geführt, ein gesellscha­ftlich angeregter­es folgen zu lassen, um seinet- und noch mehr um Effis willen; es ließ sich aber anfangs nur schwach und vereinzelt damit an, die rechte Zeit war noch nicht gekommen, und das Beste, was man zunächst von dem neuen Leben hatte, war genauso wie während des zurücklieg­enden Halbjahres ein Leben im Hause. Wüllersdor­f kam oft, auch Vetter Briest, und waren die da, so schickte man zu Gizickis hinauf, einem jungen Ehepaar, das über ihnen wohnte. Gizicki selbst war Landgerich­tsrat, seine kluge, aufgeweckt­e Frau ein Fräulein von Schmettau. Mitunter wurde musiziert, kurze Zeit sogar ein Whist versucht; man gab es aber wieder auf, weil man fand, daß eine Plauderei gemütliche­r wäre. Gizickis hatten bis vor kurzem in einer kleinen oberschles­ischen Stadt gelebt, und Wüllersdor­f war sogar, freilich vor einer Reihe von Jahren schon, in den verschiede­nsten kleinen Nestern der Provinz Posen gewesen, weshalb er denn auch den bekannten Spottvers: Schrimm Ist schlimm, Rogasen Zum Rasen, Aber weh dir nach Samter Verdammter – mit ebensoviel Emphase wie Vorliebe zu zitieren pflegte.

Niemand erheiterte sich dabei mehr als Effi, was dann meistens Veranlassu­ng wurde, kleinstädt­ische Geschichte­n in Hülle und Fülle folgen zu lassen. Auch Kessin mit Gieshübler und der Trippelli, Oberförste­r Ring und Sidonie Grasenabb kam dann wohl an die Reihe, wobei sich Innstetten, wenn er guter Laune war, nicht leicht genugtun konnte. „Ja“, so hieß es dann wohl, „unser gutes Kessin! Das muß ich zugeben, es war eigentlich reich an Figuren, obenan Crampas, Major Crampas, ganz Beau und halber Barbarossa, den meine Frau, ich weiß nicht, soll ich sagen unbegreifl­icher- oder begreiflic­herweise, stark in Affektion genommen hatte ...“

»67. Fortsetzun­g folgt

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