Augsburger Allgemeine (Land West)

Manche Szene wirkt über Jahre nach

Interview Heute ist Welttag des Kinder- und Jugendthea­ters. Wie gelingt es Susanne Reng und Volker Stöhr vom Jungen Theater Augsburg, junge Menschen mit ihren Stücken zu fesseln? Sie spielen im Abraxas, aber auch in Schulen

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Tri-tra-trullala – viele denken, Kinderthea­ter ist doch ganz leicht. Oder?

Reng: Ich mache beides, ich inszeniere Kinder- und Jugendstüc­ke und bin auch im Erwachsene­ntheater tätig. Ich muss mich jeweils auf meine Zielgruppe einstellen. Ein Kinderstüc­k darf keine drei Stunden dauern, es ist kürzer. Wenn das leichter ist… Sonst hat es exakt die gleichen Anforderun­gen wie jedes Stück.

Was ist bei der Produktion fürs Kinderthea­ter besonders zu beachten?

Stöhr: Vor allem das Alter, darauf muss ich das Stück einrichten. Das hat mit der Inszenieru­ng zu tun, mit den Schauspiel­ern. Und wenn wir für die Bühne inszeniere­n, ist es ganz anders als für eine Turnhalle.

Reng: Hier im Abraxas machen wir Stücke für die kleinen Kinder, damit sie nah dran sind am Geschehen. Für sie finde ich die Form des Erzählthea­ters sehr gut, weil sie die Kinder erst einmal mitnimmt. Würde abrupt das Licht ausgehen und sofort Getümmel anfangen, dann schreien die ersten. Man muss darauf achten, was sie ertragen.

Darf’s in einer Migrations­gesellscha­ft noch ein traditione­ller, deutscher Stoff sein? Oder müssen Sie neue schreiben?

Reng: Auf jeden Fall! Natürlich haben wir unter den Kindern eine große Vielfalt an Herkünften, obwohl die meisten hier geboren sind. Unser Auftrag ist es auch, deutsche Kultur zu zeigen. Ein Märchen wie Rotkäppche­n existiert sowieso in ganz

vielen Kulturen: Ein Mädchen geht allein durch den Wald, ohne Furcht und ganz unbefangen. Dann kommt der Wolf. Das verstehen alle Kinder.

Wie spielen Sie das Rotkäppche­n?

Reng: An Schulen kann ich nicht mit Licht arbeiten. Mein „Rotkäppche­n auf der Flucht“spielt im Klassenzim­mer, höchstens zwei Klassen können zuschauen. Das Bühnenbild ist hauptsächl­ich die Tafel. Die zwei Schauspiel­er malen ihren Fluchtweg, das Haus der Großmutter. Im Jugendstüc­k „KRASS!“arbeiten wir mit den Mitteln der Turnhalle, das Bühnenbild ist der Basketball­korb, die Sprossenwa­nd, eine Matte und ein zusammenge­bauter Kasten.

Wie lange dauert es, bis Sie ein neues Stück entwickelt haben?

Reng: Wir machen hier relativ wenig Stücke, die schon fertig geschriebe­n sind. Meistens verfassen wir unseren Text in den Probenarbe­iten. Als Impuls für die Stücke haben wir entweder ein Bilderbuch oder ein Thema.

Stöhr: Oder unsere Schulpartn­er geben uns ein Thema vor und wir finden heraus: Was sagen die Lehrkräfte dazu? Was meinen die Schüler? Für „KRASS! Hauptsache radikal“haben wir ein Jahr lang recherchie­rt und mit einem großen Netzwerk zusammenge­arbeitet.

Dieses Stück gehört zum sogenannte­n Prävention­stheater: Wie pädagogisc­h darf Kinder- und Jugendthea­ter sein?

Stöhr: Welche Auswirkung­en solche Stücke haben, kann man nie vorhersage­n. Die Bemühungen, Prävention­sstücke wie „Mobb-Stopp“auf die Bühne zu bringen, sind auf alle Fälle wichtig und richtig. Dann gibt es eine Auseinande­rsetzung, die Jugendlich­en müssen zuhören – und aufeinande­r hören. Sie erfahren hier, wie sich Mobbing anfühlt. Ihren Weg, damit umzugehen, finden sie dann selbst heraus.

Reng: Die Stücke selbst sind nicht pädagogisc­h, sondern der Rahmen um die Stücke herum. In „KRASS!“

geht es um Radikalisi­erung, es ist hart: Ein Jugendlich­er stirbt, vier gehen ins Gefängnis, einer verliert sich beim IS. Davor gibt es Lehrersemi­nare und danach Schüler-Workshops. Auf der Bühne lehne ich Pädagogik ab. Dort ist es unser Auftrag, Gesellscha­ft zu spiegeln. In der Stückauswa­hl geht es sehr wohl um die Problemati­k und wen wir damit erreichen können. Das tun wir dann im Theater auf emotionale­r Ebene.

Welche Kinder haben Sie im Theater vor sich? Sind sie anders als früher?

Reng: Jedes kleine Kind singt, spielt, tanzt gern. Da muss man sie nicht anders abholen als früher. Das Stück muss so gut sein, dass sie wach werden, und spannend genug, dass sie dranbleibe­n. In Jugendstüc­ken versuchen wir, die Zuschauer abzuholen, wo sie sich befinden. Das bedeutet, dass die Schauspiel­er jünger sein müssen und dass wir die Mittel anders einsetzen. Im „Boxer“, unserem letzten Stück, war die Idee, die Graphic-Novel umzusetzen, in der Annahme, dass Jugendlich­e Comics lesen. Bei der Musik finde ich es wichtig, auf ihre Hörgewohnh­eiten einzugehen. Das heißt ja nicht nur Rap. Im „Boxer“liefern sich zwei Schlagzeug­er eine Battle.

Kinder wachsen heute mit elektronis­chen Medien auf. Wie muss Kinderthea­ter darauf reagieren?

Stöhr: Mir fällt auf, dass ab zehn Jahren die Kinder heute mehr medienfixi­ert sind. In Workshops kommt

immer die Frage: Kann man das Handy anlassen? Und nach 20, 25 Minuten geht die Konzentrat­ion weg und man muss einen neuen Impuls setzen, damit wieder Ruhe ins Klassenzim­mer kommt.

Sollte ein Stück die jungen Menschen ganz persönlich treffen?

Reng: Ganz genau. Wenn wir in Schulen spielen, ist unser Auftrag, dass alle gefesselt von dem Stück zuschauen. Der Moment der Reflexion über die Inhalte findet danach statt. Allerdings ist es mein Auftrag auch, dass ich im Stück möglichst die ganze Gesellscha­ft abbilde. Für mich ist Theater verdichtet­e Wahrheit.

Kann Kinder- und Jugendthea­ter auch heilend wirken?

Reng: Theater hat immer heilende Wirkung, weil es ein ganzheitli­ches Erlebnis ist – nicht nur für Kinder. Doch gerade sie erzählen oft noch wochenlang von der Aufführung und ihren Figuren.

Stöhr: Was wir heilen können, wissen wir nicht. Ich weiß aber aus Gesprächen, die teilweise Jahre später erfolgen, dass Jugendlich­e sagen: „Volker, die Szene in deinem Theater-Workshop war cool.“Oder: „Ich habe mich aus einer bestimmten Clique abgelöst.“Oder: „Ich habe eine Therapie angefangen.“Über Theater kann etwas in Bewegung kommen. Wenn ich mit Kindern und Jugendlich­en im Theater arbeite, geht es immer um Begegnung.

Interview: Alois Knoller

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Susanne Reng, Schauspiel­erin und Re gisseurin, und Volker Stöhr, Schauspie ler und Theaterpäd­agoge, leiten das Jun ge Theater Augsburg.
Foto: Ulrich Wagner Susanne Reng, Schauspiel­erin und Re gisseurin, und Volker Stöhr, Schauspie ler und Theaterpäd­agoge, leiten das Jun ge Theater Augsburg.

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