Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum schläft mein Kind einfach nicht ein?

Familie Eltern von Babys sind oft verzweifel­t, übernächti­gt und ratlos. Familienbe­raterin Marion Hirsekorn gibt Tipps

- VON ANGELA DAVID

Neusäß Die Bücher zum Thema „Babys und Schlafen“füllen meterlange Regale im Buchhandel, eins unter dem drastische­n Titel „Verdammte Scheiße, schlaf ein!“Ein umstritten­er Ratgeber, aber ein Bestseller, ist auch „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Aber wie? Darum geht es in einem Vortrag, den die erfahrene Früherzieh­ungsberate­rin Marion Hirsekorn am morgigen Dienstag in Neusäß hält. Sie ist seit fast 20 Jahren Expertin für frühkindli­che Entwicklun­g, hält Vorträge, gibt Kurse und begleitet Familien in schwierige­n Phasen. Dazu kam die 53-jährige Pädagogin und Mutter zweier erwachsene­r Kinder durch ihre eigene Tochter: „Sie war ein Schreikind, das jeden Abend erst einmal eineinhalb Stunden gebrüllt hat, bevor es eingeschla­fen ist.“

Hirsekorn kennt also die Nöte vieler Eltern und weiß, welche Blüten der Kampf um ein paar Stunden Schlaf manchmal treibt. Während sinnloses Spazierenf­ahren mit dem Auto oder stundenlan­ges Herumtrage­n in der Wohnung noch harmlos sind, greifen neuerdings manche schon zu Medikament­en, um das Kind ruhig zu stellen. „Davon halte ich überhaupt nichts“, sagt Marion Hirsekorn erwartungs­gemäß, „denn Eltern sollten ihre Kinder bei ihren Einschlafs­chwierigke­iten unterstütz­en.“Es sei zu beobachten, dass zunehmend erreicht werden soll, „dass das Kind immer Ruhe gibt“, sein Weinen wird als Störung empfunden. Dabei dient es dem Abbau von Stresshorm­onen. Außerdem beseitigen Medikament­e nicht die Ursache. Damit kommt die Familienbe­raterin zu den drängendst­en Fragen: ● Warum kann mein Kind nicht ein schlafen? Das Kind wird oft zu spät hingelegt, die ersten Signale des Babys werden übersehen: Meidung von Blickkonta­kt, fahrige Bewegungen, übers Ohr und über die Haare streichen, Quengeln. „Manche Eltern geben dann noch mehr Reize, tragen das Kind herum, dadurch wird das Einschlafe­n noch schwerer“, so Hirsekorn. Besonders sei es wichtig, dass der Tag langsam ausklingt, es immer etwa zur selben Zeit ins Bett geht. „Das ist besonders schwierig, wenn abends der Papa heimkommt, eine halbe Stunde bevor das Baby schlafen sollte, und dann noch gespielt wird.“Und ab dem Alter von sechs Monaten sollte es ein festes Einschlafr­itual geben, damit das Baby weiß, was als nächstes kommt. Hilfreich ist auch eine ruhige, abgedunkel­te Umgebung und möglichst immer der gleiche Schlafplat­z. ● Und wenn das Kind trotzdem nicht einschläft und weint? „Die Eltern müssen lauschen lernen“, sagt die Pädagogin. Quengelt das Kind oder ist es wirklich in Not? Lieber erst einmal ein paar Minuten abwarten, bevor man reagiert, und dann stufenweis­e vorgehen: ins Zimmer gehen, mit dem Kind in einem beruhigend­en „Singsang“sprechen, zunächst ohne Körperkont­akt – abwarten. Dann die Hand auf die Brust legen, vielleicht die Arme des Babys anlegen, falls es rudert – abwarten. Zuletzt einen Schnuller anbieten (nicht reinstopfe­n!). „Damit sind schon mindestens zehn Minuten vergangen, in denen das Baby Gelegenhei­t hatte, sich selbst zu beruhigen“, und zwar in der beruhigend­en Gegenwart der Mutter oder des Vaters. Das ist dann auch der Unterschie­d zum „Ferbern“(nach dem Autor von „Jedes Kind kann schlaabend­s fen lernen“). Nach jener Methode verlassen die Eltern das Zimmer und lassen das Kind allein. „Man sollte aber nicht nach der Uhr reagieren, sondern nach der Befindlich­keit des Kindes“, meint Hirsekorn. Trotzdem sollte man bedenken: Eigenregul­ation kann man erst von Babys ab etwa sechs Monaten erwarten. ● Hat der Vater schlechter­e Chancen? Nicht, wenn er auch eine echte Bindungspe­rson für das Kind ist und viel Zeit mit ihm verbringt. Entscheide­nd ist, dass er das Kind trösten kann. Manche schicken besonders in der Abstill-Phase eher den Vater. Obwohl es auch dann wichtig ist, dass die Mütter bewusst die Grenze ziehen und diesen wichtigen

Entwicklun­gsschritt gemeinsam mit dem Kind „durchstehe­n“. ● Warum sind viele Probleme haus

gemacht? Das Kind schreit, die Eltern verfallen in Aktionismu­s. „Babys lernen schnell, dass sie etwas bewirken können“, erklärt Hirsekorn. „Zum Beispiel: Ich wache auf und weine – Mama kommt und gibt mir eine Flasche/Schnuller/nimmt mich in den Arm. Das ist super, aber die falsche Antwort.“Eltern bieten oft viel zu viel an und sorgen für weitere Reize. So entstehe ein Teufelskre­is, denn das Kind meint, das müsse immer so sein und fordert das künftig vehement ein. Dabei laufe das Gehirn des Kindes vor allem in der Phase großer Entwicklun­gsschritte (krabbeln, laufen, Zahnen, feste Nahrung) auf Hochtouren, manchmal auch nachts. Da braucht es eigentlich nur das Signal: Ich weiß, du hast gerade viel zu verarbeite­n, ich bin da. Viele unterschät­zen auch die Übertragun­g eigener Gefühle auf das Kind: „Die Nervosität der Eltern überträgt sich auf das Baby, es übernimmt dann die Kontrollfu­nktion nach dem Motto: Wenn die Mama so ist, kann irgendwas nicht stimmen.“Ein Klassiker ist auch: Kind schläft im Arm ein, sobald man es hinlegt, wacht es wieder auf und schreit. „Wer voller Anspannung, mit angehalten­em Atem das Kind ablegt, wird oft scheitern“, so die Beraterin, denn das Kind spürt sofort, dass da was nicht stimmt. Lieber für einen klaren Abschied sorgen, am besten im Wachzustan­d. ● Wie kann sich etwas ändern, wenn man schon monatelang alles „falsch“gemacht hat? „Man muss innerlich die Kraft dazu haben und absolut überzeugt davon sein, nun dringend etwas ändern zu wollen und damit dem Kind auch nichts Schlechtes anzutun“, sagt Marion Hirsekorn. Wenn man fest entschloss­en ist und eine gute, sichere Bindung zu seinem Kind hat, dauert die Umstellung nach ihrer langjährig­en Erfahrung dann meistens nur drei bis vier Nächte. »Aufgefalle­n O Informatio­nsabend „Rund ums Schlafen bei Kindern“mit Marion Hir sekorn am Dienstag, 21. März, um 20 Uhr in der Begegnungs­stätte St. Ägidius, Bgm. Kaifer Straße 6, in Neusäß. Veran stalter ist die AWO Neusäß, der Abend ist kostenlos. I Infos über die Referentin unter www.hirsekorn.net

 ?? Symbolfoto: detailblic­k foto, Fotolia ?? Das Kind schreit und will einfach nicht einschlafe­n. Was tun? Die Pädagogin Marion Hirsekorn gibt bei einem Vortrag in Neusäß Tipps.
Symbolfoto: detailblic­k foto, Fotolia Das Kind schreit und will einfach nicht einschlafe­n. Was tun? Die Pädagogin Marion Hirsekorn gibt bei einem Vortrag in Neusäß Tipps.
 ??  ?? Marion Hirsekorn
Marion Hirsekorn

Newspapers in German

Newspapers from Germany