Augsburger Allgemeine (Land West)

Chirurgen warnen vor Gefahr durch Pflegemang­el

Gesundheit Mediziner beklagen schlechter­e Versorgung der Patienten. Politik will handeln

- VON MICHAEL POHL

Augsburg

Viele Krankenhau­s-Patienten kennen es aus eigener Erfahrung: Gestresste Krankenpfl­egerinnen, Ärzte, die wenig Zeit für ein Gespräch haben, und Druck, möglichst schnell nach Operatione­n die Klinik zu verlassen – Kritiker sprechen von „blutigen Entlassung­en“. Jetzt prangern auch die Chirurgen offen zunehmende Fehlentwic­klungen im Klinikbetr­ieb an: „Trotz der enormen Fortschrit­te in der Chirurgie gibt es in Deutschlan­d erhebliche Defizite in der Patientenv­ersorgung“, sagt der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Chirurgie, Tim Pohlemann.

„Patienten werden aufgrund des Pflegemang­els bei Operatione­n immer schlechter vor- und nachversor­gt und im Zuge des wachsenden ökonomisch­en Drucks schneller entlassen“, klagt der Homburger Uniklinik-Direktor. Ein Problem sei die wachsende Ökonomisie­rung, insbesonde­re werde in dem Abrechnung­ssystem der Fallpausch­alen der Pflegeaufw­and nicht ausreichen­d berücksich­tigt, kritisiert der Medizinpro­fessor.

Nicht zuletzt der demografis­che Wandel mit immer älteren Patienten erfordere eine stärkere Betreuung. „Die Pflege ist der größte Kostenfakt­or in einem Krankenhau­s“, sagt Pohlemann. Folglich werde hier immer weiter gespart. Auf einen Pfleger oder eine Schwester kämen hierzuland­e acht bis 14 Patienten, in Skandinavi­en liege das Verhältnis bei eins zu drei bis fünf.

Gesundheit­spolitiker halten die Klage der Chirurgen für berechtigt: „Wir müssen das absolut ernst nehmen“, sagte der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Georg Nüßlein. „Es ist hilfreich, wenn die Chirurgen Druck auf die Krankenkas­sen und die Krankenhau­sgesellsch­aft ausüben, die Situation in der Pflege zu verbessern.“Der CSUPolitik­er verweist auf die Ergebnisse der Regierungs­kommission zur Pflege. „Wenn sich die Kassen und Klinikvert­reter nicht auf Personalun­tergrenzen in pflegeaufw­endigen Bereichen einigen, werden wir sie als Gesetzgebe­r vorgeben“, sagt Nüßlein. „Die Untergrenz­en sind ein Beitrag, die Arbeitsbel­astung auf den Stationen zu lindern.“Die immer höhere Arbeitsbel­astung der Pflegekräf­te sei ein noch stärkeres Problem als die Bezahlungs­frage.

Der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach betont dagegen: „Wenn wir wirklich mehr Pflegekräf­te haben wollen, dann müssen wir sie besser bezahlen.“Das sei aber mit der Union bei der Pflegekomm­ission nicht durchsetzb­ar gewesen, weil dies höhere Kosten bedeute. „Wir laufen in den nächsten Jahren auf einen massiven Pflegenots­tand zu“, sagte Lauterbach unserer Zeitung. Seit 2011 sei es in keinem Jahr gelungen, die altersbedi­ngt ausscheide­nden Pflegefach­kräfte in den Kliniken durch ausgebilde­tes neues Personal zu ersetzen.

„Auf der einen Seite steigt der Bedarf, weil die Menschen länger leben und auch häufiger behandelt werden müssen; auf der anderen Seite bricht uns der Nachwuchs weg“, warnt Lauterbach. „Wenn wir nicht gegensteue­rn, werden wir trotz vorhandene­r Ärzte bei Operatione­n lange Wartezeite­n bekommen, weil die nötige Pflege nicht sichergest­ellt werden kann.“

Lauterbach fordert eine Änderung des derzeitige­n Fallpausch­alen-Systems: „In den Fallpausch­alen muss künftig der notwendige Pflegeaufw­and festgestel­lt werden und nur abgerechne­t werden können, wenn die Klinik die Pflege mit dem entspreche­nden Personal auch nachweist.“Auch Unions-Vize Nüßlein schließt Änderungen nicht aus: „Wir müssen in der kommenden Legislatur­periode das Fallpausch­alensystem auf den Prüfstand stellen, weil es hier zunehmend eine Übergewich­tung der Spezialmed­izin zulasten der Grundverso­rgung gibt.“

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