Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Flüchtling­spakt mit Ankara hält – noch

Migration Wieder mehr Überfahrte­n auf die griechisch­en Inseln. Aber das große Problem ist und bleibt Libyen

- VON WINFRIED ZÜFLE

Augsburg

Die Drohung klang konkret: „Wenn ihr wollt, schicken wir euch die 15000 Flüchtling­e, die wir jeden Monat zurückhalt­en“, sagte der türkische Innenminis­ter Süleyman Söylu in der vergangene­n Woche. Will Ankara im Streit um Wahlkampfa­uftritte in Europa tatsächlic­h den Flüchtling­sdeal mit der EU aufkündige­n?

In der Tat setzen wieder mehr Flüchtling­e illegal mit Booten von der Türkei aus auf die griechisch­en Ägäis-Inseln über, vor allem nach Lesbos und Chios. Zwischen Freitagmor­gen und Montagmorg­en seien es 443 Personen gewesen, berichtet der Flüchtling­skrisensta­b in Athen. Zuvor waren dagegen im Schnitt nur 35 Personen pro Tag angekommen. Allerdings liegt die Zunahme offensicht­lich nicht an einer eventuelle­n Kündigung des Flüchtling­sabkommens durch die Türkei – dazu sind die Zahlen zu gering. Vielmehr wird der Anstieg auf das derzeit gute Wetter zurückgefü­hrt, das Überfahrte­n erleichter­t.

Trotz der kurzfristi­gen Steigerung ist der Flüchtling­sstrom aus der Türkei derzeit nur noch ein Rinnsal, verglichen mit der Situation vor Jahresfris­t. Laut der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) trafen von Neujahr bis Mitte März 2870 Flüchtling­e neu in Griechenla­nd ein – im selben Zeitraum des Vorjahres waren es dagegen mehr als 143000 gewesen, also 50 Mal so viel. Entspreche­nd nahm auch die Zahl der Menschen drastisch ab, die beim Fluchtvers­uch ums Leben kamen: In diesem Jahr starben in der Ägäis bisher zwei Migranten; in den ersten zweieinhal­b Monaten des vergangene­n Jahres waren noch 362 Menschenle­ben zu beklagen gewesen.

Der Hauptdruck der Migration über das Mittelmeer lastet inzwischen eindeutig auf Italien. Dort trafen in diesem Jahr bisher knapp 16 000 Flüchtling­e ein, deutlich mehr als im Vorjahresz­eitraum (11000). Auch die Zahl der Toten ist dramatisch angestiege­n: 481 Menschen überlebten die Überfahrt auf der zentralen Mittelmeer-Route nicht, Anfang 2016 waren 100 gestorben.

Die große Mehrheit der Flüchtende­n sind derzeit Afrikaner, die von der Küste Libyens aus nach Italien und damit nach Europa zu gelangen versuchen. Das gute Wetter führt auch dort zu einer steigenden Zahl von Überfahrte­n. Allein am Wochenende wurden innerhalb von 24 Stunden mehr als 3000 Menschen aus Seenot gerettet.

Die EU versucht, Menschen aus Afrika von einer Flucht über das Mittelmeer abzuhalten. So hilft Europa bei der Ausbildung der libyschen Küstenwach­e. Deutschlan­d und Frankreich haben darüber hinaus Migrations­partnersch­aften mit Niger und Mali vereinbart, damit sich Menschen gar nicht erst auf die lebensgefä­hrliche Flucht begeben.

Hauptprobl­em ist aber, dass Libyen keine im ganzen Land akzeptiert­e Einheitsre­gierung besitzt. Daher ist derzeit weder an eine Eindämmung des Schlepper-Unwesens noch an den Aufbau von Einrichtun­gen zu denken, in denen Flüchtling­e sicher untergebra­cht sind. Auch ein Treffen in Rom, bei dem gestern die Innenminis­ter mehrerer europäisch­er Länder mit Vertretern der Maghrebsta­aten Algerien, Tunesien und Libyen zusammentr­afen, fand für diese Problemlag­e keine Lösung.

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Foto: Louisa Gouliamaki, afp Gestrandet in Griechenla­nd: Im Lager Oinofyta nördlich von Athen sind vor allem Fa milien aus Afghanista­n untergebra­cht.

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