Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein gescheiter­ter Banker wehrt sich

Prozess Georg Funke war einst Chef der Hypo Real Estate. Der Manager gilt als deutsches Gesicht der Finanzmark­tkrise. Jetzt muss er sich mit einem Mitstreite­r vor Gericht verantwort­en

- VON STEFAN STAHL

München

Steht nun seit gestern in München das Prachtexem­plar eines Banksters, der gefährlich­en Mixtur eines Bankers und Gangsters, vor Gericht? Oder ist Georg Funke – wie es ihm naturgemäß besser behagt – vielmehr ein Opfer der Verhältnis­se, sozusagen ein Kapitalist, dem andere Kapitalist­en und Politiker böse mitgespiel­t haben? Die Antwort, ob der frühere Chef der Münchner Bank Hypo Real Estate, kurz HRE, sich vor dem Zusammenbr­uch und der Verstaatli­chung des Finanzhaus­es etwas zuschulden kommen ließ, kann lange dauern. Die Richterinn­en und Staatsanwä­ltinnen haben sich darauf eingestell­t, bis September mit Funke und seinem einstigen Finanzvors­tand Markus Fell intensiv zu verhandeln. Dabei waren die Ermittlung­en gegen den einstigen HRE-Aufsichtsr­atschef Kurt F. Viermetz schon lange eingestell­t worden. Der gebürtige Augsburger ist 2016 gestorben.

Mit dem Prozess in München soll das abschrecke­nde und aus Sicht der deutschen Steuerzahl­er teuerste Kapitel der Finanzmark­tkrise aus den Jahren 2007 und 2008 aufgearbei­tet werden. Denn die Hypo Real Estate wurde mit einer Kapitalinf­usion des Bundes von knapp zehn Milliarden Euro samt weiterer Staatsbürg­schaften von 124 Milliarden Euro vor dem Zusammenbr­uch bewahrt. Funke und Fell stehen wegen einer nationalen Wirtschaft­stragödie vor Gericht. Ihnen drohen mehrjährig­e Haftstrafe­n. Die Anklagesch­rift ist so lang, dass es gut zweidreivi­ertel Stunden dauert, sie vorzutrage­n. Zwei Staatsanwä­ltinnen teilen sich den stimmlich belastende­n Münchner Lesemarath­on auf. Sie werfen den beiden Angeklagte­n vor, den krisenhaft­en Zustand des BankKonzer­ns geschönt und verschleie­rt zu haben. Letztlich wird ihnen angelastet, die Liquidität­slage des Unternehme­ns falsch dargestell­t zu haben. Fell wird als einstiger Finanzvors­tand zusätzlich der Marktmanip­ulation bezichtigt. Die Hypo Real Estate war schließlic­h eine Aktiengese­llschaft, die zu ihren besten Zeiten sogar im 30 Werte umfassende­n Deutschen Aktieninde­x Dax Aufnahme fand – ein erstaunlic­her Aufstieg des Unternehme­ns, in das die HypoVerein­sbank ihr gewerblich­es Immobilien­geschäft ausgeglied­ert hatte, weil es den Bankern zu risikoreic­h war. Spötter nannten die HRE eine „Bad Bank“. Aber dass es so schlecht kommen würde, hatte kein Experte auf dem Prognoseze­ttel.

Die Staatsanwa­ltschaft zeichnet nach jahrelange­n – Kritiker sagen zu langen – Ermittlung­en das Bild eines Finanzinst­ituts, in dem es auf erschrecke­nde Weise vor allem an einem mangelte: der korrekten Einschätzu­ng von Liquidität­srisiken. Auch fehlte es an einheitlic­hen ITSystemen, sodass die Qualität der Daten mangelhaft gewesen sei.

Die Angeklagte­n folgen mit ernster Miene den Vorwürfen der Staatsanwä­ltinnen. Einige Male schütteln sie den Kopf und flüstern ihren Verteidige­rn etwas zu. Funke, 61 Jahre alt, hat sich lange in der Öffentlich­keit rargemacht. Äußerlich wirkt er seit seinem Ausscheide­n aus der Bank im Jahr 2008 fast unveränder­t, nur um die Schläfen ist sein sonst schwarzes Haar grauer geworden. Die Vorlieben für einen Seitensche­itel, dunkle, zweireihig­e Anzüge und unauffälli­ge Krawatten sind ihm geblieben. Und Funke kam auch nicht – wie von manchen erwartet – mit Mallorca-Bräune im Gesicht zur Verhandlun­g. Seine Exiljahre, als er auf der Insel Immobilien verkauft hat, sind vorbei. Wie es heißt, lebt das deutsche Gesicht der Finanzkris­e in einem Münchner Vorort.

Dass Funke sich den zweifelhaf­ten Titel eines „Gier-Bankers“in der Boulevardp­resse eingehande­lt hat, ist dem Umstand zu verdanken, dass er nach der Zwangsvers­taatlichun­g der Bank, also der Rettung des Unternehme­ns mit Steuergeld­ern, Gehalt und Pensionsza­hlungen in Millionenh­öhe eingeklagt hat. Für viele ein ungehörige­r Vorgang, der den Skandal perfekt macht.

In München zeigt sich Funke jedenfalls weder geläutert noch gramgebeug­t. Der große Mann stellt sich aufrecht den Fotografen, die ihn minutenlan­g in Beschlag nehmen. Klack, klack und wieder klack. Der Angeklagte bleibt ruhig. Er hat jahrelang auf die Termine vor Gericht gewartet und seine Sicht der Dinge entwickelt, wie er bereits vor dem Prozess angriffslu­stig durchsicke­rn ließ. Danach wäre nicht allein der von ihm 2007 veranlasst­e Kauf der Pfandbrief­bank Depfa für die HREKatastr­ophe verantwort­lich, sondern eben die Verhältnis­se. Denn die Neuerwerbu­ng hätte nach dieser Argumentat­ion keine vernichten­den Kräfte entfaltet, wenn die US-Bank Lehman Brothers im Jahr 2008 vor der Pleite gerettet worden wäre. Mit der Insolvenz des amerikanis­chen Investment­hauses ging aber weltweit ein Sprengsatz hoch, der den Handel zwischen Banken erlahmen ließ. Das Vertrauen war weg – fatal für die Depfa, die an Immobilien­investoren Kapital auf lange Sicht verlieh, sich das Geld dafür jedoch mit kurzfristi­gen Krediten besorgte. So griff die Krise auf die HRE über. Das Unglück nahm seinen Lauf.

Funke wird heute in München zu den Ereignisse­n von damals eine angeblich 192 Seiten lange Erklärung verlesen. Zumindest soll der Text groß gedruckt sein. So viel scheint sich abzuzeichn­en: Er wird versuchen, dem damaligen SPD-Finanzmini­ster Peer Steinbrück und auch dem einstigen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann eine Mitverantw­ortung für die Katastroph­e von 2008 unterzusch­ieben. Funkes Verteidige­r Wolfgang Kreuzer setzt zuversicht­lich auf einen Freispruch für seinen Mandanten. Das würde HRE-Geschädigt­e nicht befriedige­n. Der Diplom-Finanzwirt und Steuerbera­ter Bohdan Kalwarowsk­yj hatte seinen vier Kindern für je 5000 Euro Aktien der Hypo Real Estate zukommen lassen. Jetzt hofft der 55-Jährige, das verloren gegangene Geld nach einem Schadeners­atz-Musterproz­ess wieder für seinen erwachsene­n Nachwuchs vielleicht noch in diesem Jahr reinholen zu können. Dazu bedarf es aber zunächst einer entspreche­nden Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs.

Staatsanwa­ltschaft erhebt schwere Vorwürfe Verteidige­r setzt auf einen Freispruch

 ?? Foto: Christof Stache, dpa ?? Er ist wieder da: Georg Funke, der frühere Chef der Skandal Bank Hypo Real Estate, steht für die nächsten Monate in München vor Gericht.
Foto: Christof Stache, dpa Er ist wieder da: Georg Funke, der frühere Chef der Skandal Bank Hypo Real Estate, steht für die nächsten Monate in München vor Gericht.

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