Augsburger Allgemeine (Land West)

So wichtig ist die Türkei für Schwabens Wirtschaft

Export Der Ton wird immer schärfer in der diplomatis­chen Krise. Welche Folgen das für die Unternehme­n in der Region hat

- VON ANIKA ZIDAR

Augsburg

Die anhaltende diplomatis­che Krise zwischen Deutschlan­d und der Türkei beeinfluss­t auch die Geschäftsb­eziehungen der Länder. Im Streit um Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker hatte der Ministerpr­äsident Recep Tayyip Erdogan zum verbalen Rundumschl­ag gegen europäisch­e Staaten ausgeholt. Für Aufsehen sorgte vergangene Woche ein Verband der türkischen Fleischind­ustrie, dessen Chef drohte, 40 niederländ­ische Milchkühe nach Europa zurückzusc­hicken. Derart konkrete Drohgebärd­en gibt es in Richtung Deutschlan­d noch nicht. Die Befürchtun­gen der Unternehme­n sind dennoch groß.

Der Außenwirts­chaftschef des deutschen Industrie- und Handelskam­mertages, Volker Treier, hat seit dem Putschvers­uch im vergangene­n Sommer einen Rückgang des deutsch-türkischen Handels beobachtet. Er führt dies auf die unsichere politische Lage zurück. „Einige Unternehme­n, die die Türkei als Investitio­nsstandort ins Visier genommen haben, schrecken zurück und legen ihre Pläne erst einmal auf Eis“, sagt Treier. Auch einige hiesige Unternehme­n würden jetzt erst einmal abwarten, sagt Peter Saalfrank, Hauptgesch­äftsführer der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Schwaben.

Welche Bedeutung hat die Türkei als Handelspar­tner für Bayern?

Mit einem Exportvolu­men von rund 3,3 Milliarden Euro war die Türkei im Jahr 2016 der fünftwicht­igste Absatzmark­t außerhalb der EU für bayerische Produkte. 1,8 Prozent aller Exporte aus dem Freistaat gingen in das Land. Die Türkei steht damit auf Platz 17 der wichtigste­n Handelspar­tner Bayerns – und damit weit hinter den USA oder China.

Wie gut ist der Kontakt von Unternehme­n aus Schwaben zur Türkei?

Die schwäbisch­e und die türkische Wirtschaft sind eng verflochte­n. Nach Angaben der IHK unterhalte­n 370 Unternehme­n Beziehunge­n in die Türkei, unter anderem in den Branchen Maschinenb­au, Elektrotec­hnik, Chemie sowie Lebensmitt­elund Verpackung­sindustrie.

Auf welche Waren aus der Türkei ist die hiesige Industrie angewiesen?

Etwa 50 Unternehme­n aus der Region importiere­n für ihre Produktion Waren aus der Türkei. Dabei han- delt es sich vor allem um Textilien, Agrarprodu­kte und Baustoffe.

Welche Firmen aus der Region haben engen Kontakt zur Türkei?

Viele Unternehme­n, die auf Güterimpor­te aus der Türkei angewiesen sind, lassen dort produziere­n. So fertigt beispielsw­eise der Bekleidung­sherstelle­r Schöffel aus Schwabmünc­hen Blusen in dem Land. Der Lebensmitt­elproduzen­t Rapunzel aus Legau hat seit 1992 ein Werk in der Türkei und BSH Hausgeräte, die auch in Dillingen einen Standort haben, produziere­n in der Nähe von Istanbul Elektroger­äte für den türkischen Markt.

Leidet der Handel wegen der politische­n Krise bereits?

Trotz der politische­n Krise sieht IHK-Hauptgesch­äftsführer Peter Saalfrank die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zwischen Schwaben und der Türkei auf festem Fundament. Dennoch würden die Unternehme­n die Entwicklun­gen in der Türkei mit hoher Aufmerksam­keit und Sorge beobachten: „Gerade bei größeren Investitio­nen herrscht eine abwartende Haltung.“Das Verfassung­sreferendu­m am 16. April werde für die schwäbisch­en Unternehme­r ein wichtiger Termin sein.

Wie sehr trifft die Krise die Türkei?

Die Bundesrepu­blik ist dem türkischen Statistika­mt Turkstat zufolge der größte Abnehmer türkischer Produkte. Im Jahr 2016 gingen Waren im Wert von rund 14 Milliarden Dollar nach Deutschlan­d, weit mehr als nach Großbritan­nien (11,7) oder in den Irak (7,6). Deutschlan­d importiert vor allem Textilien aus der Türkei. Käme es zu einem Wirtschaft­sstreit mit Deutschlan­d, würde die Türkei das gerade auch bei ihren Textilexpo­rten spüren. Denn: Stoffe lassen sich leicht auch aus anderen Ländern wie etwa denen in Südostasie­n importiere­n.

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