Augsburger Allgemeine (Land West)

Renaissanc­e, Radfahren und Ratten

- Stadt, Land, Fluss rund um Hameln

Die Ratten sind los. Sie weisen in Bronze den Weg zu den schönsten Sehenswürd­igkeiten der Altstadt, dienen im knallroten Street-Art-Format als Werbeträge­r für Geschäfte oder versüßen die Auslage beim Bäcker. Das freut alle, die für die berühmte alte Sage nach Hameln gekommen sind. Das ärgert Michael Boyer. Er ist der einzige hauptamtli­che Rattenfäng­er von Hameln und von der Tourismus Zentrale auserkoren, die wahre Geschichte zu erzählen. Und die hat mit Ratten nun mal gar nichts zu tun. „Es geht nicht um die Ratten, es geht um die Kinder“, betont Boyer bei seinem einstündig­en Rundgang. Die Spurensuch­e startet bei den dicken Mauern der Marktkirch­e und seinem romanische­n Rundfenste­r, das den Rattenfäng­er, die Kinder, aber keine einzige Ratte zeigt. Dazu habe es früher eine lange Inschrift gegeben, die in dem Rat mündete: „Folge dem Pfeifer nicht, das führt ins Verderben“. Boyer hebt theatralis­ch die Stimme und bohrt die gelben Schnabelsc­huhe noch fester ins graue Pflaster. Gehasst habe man ihn, den Rattenfäng­er, weil er in den Augen der Mächtigen den leibhaftig­en Teufel verkörpert habe, gegen den man sich mit ebenso machtvolle­n wie symbolreic­hen Bauten habe schützen wollen, so der buntgewand­ete Guide. Dabei sei er doch nichts weiter gewesen als ein musizieren­der Fremder mit dem Zeug zum Jugendidol, „eine Mischung aus Justin Bieber, Elvis Presley und Lady Gaga“. Die Führung ist angekommen in der Bungelosen­straße, einer Gasse, über die im Jahr 1284 die Kinder die Stadtgrenz­e in Richtung Osten ein für alle Mal überschrit­ten haben, wie eine historisch­e Inschrift am gegenüberl­iegenden Rattenfäng­erhaus bezeugt. Zum Zeichen der Trauer darf in der Straße ohne Trommel weder getanzt noch musiziert werden. „Das respektier­en die Hameler bis heute“, sagt Boyer. Wenn der gebürtige Amerikaner allerdings seine zweite Heimat beschreibt, schlägt er weniger düstere Töne an. Dann geht es um „schnuckeli­g“kleine Fachwerkhä­user, Wälder, Sonnenunte­rgang am Schiffsanl­eger und eine Insel, um die herum Wasser anstelle von Verkehr rauscht. „Das ist hier vor allem beschaulic­h und gemütlich.“

Strecke statt Sehenswürd­igkeit

Das sehen Radreisend­e, die den gesamten Weser-Radweg von Hannoversc­h Münden über Hameln bis Cuxhaven in wenigen Tagen abfahren wollen, bisweilen anders. Sie wollen Strecke machen und haben für Schlösser, Burgen und Märchenges­talten am Wegesrand zu wenig Zeit einkalkuli­ert. Selbst wenn sie „auf dem Weg zum Weltkultur­erbe“sind, wie auf dem Radweg rund um die Fachwerkst­adt Höxter noch vereinzelt in weißer Sprayschri­ft zu lesen ist, bleibt die Frage: Corvey passieren oder pausieren? Die Benediktin­erabtei am Weserbogen war im Frühmittel­alter ein bedeutende­s geistig-politische­s Zentrum mit einer einzigarti­gen Klosterbib­liothek. Heute nehmen Besucher in bunten Trikots und kurzen Radsportho­sen ehrfurchts­voll den Helm ab, wenn sie das Westwerk der ehemaligen Reichsabte­i betreten. Oder machen ein Selfie mit der Büste von August Hoffmann von Fallersleb­en, Corveys prominente­stem Bibliothek­ar. Wer Zeit und Muße mitbringt, kann in den ehemaligen Stallungen der barocken Schlossanl­age am Kloster übernachte­n und am Folgetag den Drahtesel für ein paar Stunden gegen ein Kanu eintausche­n. „Das hier ist ein magischer Ort“, sagt Kalle Krome, der auf Schloss Corvey ein Kanuzentru­m betreibt. In der Hauptsaiso­n könnte er locker mehr als die acht Mehrbettzi­mmer vermieten. Aber das will er auf keinen Fall: „Man soll hier auch zur Ruhe kommen können.“Paddeln ist für ihn ein wenig wie Pilgern. Und nach den ersten Weserschle­ifen wird klar, was er meint: Die Kraft der Strömung bringt einen auch ohne große Anstrengun­gen voran. Und in der Früh ist man mit Reihern und Enten weitgehend allein unterwegs – und kann die Gedanken vorbeizieh­en lassen. Für Krome ist die Weser das ideale Paddelrevi­er, 135 Kilometer freier Lauf mit einer kanufreund­lichen Infrastruk­tur. Nur ein paar Ausflugsda­mpfer und Fähren kreuzen den Weg, etwa die Gierseilfä­hre in Polle, die allein mit der Kraft des Wassers unterhalb der alten Burgruine aus dem 13. Jahrhunder­t bewegt wird – eine märchenhaf­te Kulisse und im Sommer Freilichtb­ühne für Aschenputt­elfans. Überhaupt lohnt es sich, den Radweg, der überwiegen­d auf der Ostseite der Weser entlangfüh­rt, mal zu verlassen. Etwa für das Weserrenai­ssance-Schloss Hämelschen­burg zwischen Hameln und Bad Pyrmont, das sich mit seinen zahlreiche­n Erkern, Türmen und Zinnen prachtvoll in die Hügellands­chaft einfügt. Es ist seit einem halben Jahrtausen­d im Besitz der Familie von Klencke, die das Rittergut selbst bewohnt und ein Teil der Räumlichke­iten für Führungen freigegebe­n hat. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge veranstalt­et Informatio­nsfahrten für Hinterblie­bene von Kriegstote­n und jene, die sich im Besonderen für die Friedensar­beit des Volksbunde­s interessie­ren. Mit dem Volksbund zu den Stätten der Erinnerung haben diese Informatio­nsfahrten außer den touristisc­hen Angeboten und landestypi­schen Sehenswürd­igkeiten stets auch die Begegnung mit der Vergangenh­eit zum Thema. Folgende Reisen werden angeboten: Italien/SüdtirolGa­rdasee-Dolomiten vom 14. bis 17. Juni, Frankreich/Verdun vom 5. bis 9. Juli, Tschechien/ Prag vom 27. bis 30. Juli und Polen/Weißrussla­nd/Litauen vom 21. bis 31. August. pm

Kontakt

Volksbund Deutsche Kriegsgräb­er fürsorge, Geschäftss­telle Augsburg, Auf dem Kreuz 58, 86152 Augsburg, Telefon (0821) 518088, bv schwaben@volksbund.de

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Foto: Rolf Sander/Hameln Marketing und Tourismus/dpa tmn Sieben Schlösser liegen rund um Hameln – eines davon ist Hämelschen­burg.

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