Augsburger Allgemeine (Land West)

Leipzig liest Litauen

Literatur Die Frühjahrsb­uchmesse blickt ins Baltikum. Wir geben schon mal Lektüretip­ps

- VON ROLAND MISCHKE

Leipzig

Ritter des Deutschen Ordens durften sich vor rund 600 Jahren ansiedeln, aber ohne Waffen. Juden waren willkommen, Christen, gleich welcher Konfession, ebenso. Sie durften ihre Religion ausüben, jedoch nicht missionier­en. Litauen war ein offenes Land, Toleranz selbstvers­tändlich. Die Hauptstadt Vilnius galt als litauische­s Jerusalem. Am Ostra Brama, dem Tor der Morgenröte, wurden erschöpfte Zugewander­te, die Schutz suchten, empfangen. Viele blieben und wurden Litauer.

Als immer mehr Russen von Osten her eindrängte­n, kam es zu Verwerfung­en. Nach Lenins Revolution 1917 und am schlimmste­n unter Stalin legte sich die Angst wie eine dunkle Wolke über das Land. Noch mehr setzten die Nazis den Menschen zu, bald nach Kriegsbegi­nn war der Terror allgegenwä­rtig. „Es schleichen / Drohung und Stahl mitten / durchs Herz von Europa“, beschrieb der Dichter Henrykas Nagys diese Zeit im Baltikum.

Litauen, einst Satelliten­staat der Sowjets, seit 1990 unabhängig, hat knapp drei Millionen Einwohner. Die Literatur, vor allem die Poesie, hat in dem Land eine weit zurückreic­hende Tradition. Bei der Leipziger Buchmesse, die an diesem Donnerstag beginnt und bis Sonntag dauert (23. bis 26. März), ist Litauen in diesem Jahr Gastland, mehrere litauische Autoren werden auftreten. Bis zu vier Bücher aus dem Litauische­n werden pro Jahr ins Deutsche übersetzt. Für die Autoren ist das wichtig, kaum einer kann vom Schreiben leben. Auf der Messe und bei rund 50 Veranstalt­ungen in Leipzig können sie zeigen, was sie literarisc­h können. Eine seltene Gelegenhei­t.

Laurynas Katkus’ „Moskauer Pelmeni“(Leipziger Literaturv­erlag, 140 S., 12,95 €) erzählt von seiner Jugend unter russischer Vorherrsch­aft und dem Gefühl der Freiheit nach dem Abzug der Russen und der Entwicklun­g einer neuen Identität. Giedra Radvilavic­ˇiuté erinnert sich in „Der lange Spaziergan­g auf einer kurzen Mole“(Corso, 172 S., 19 €) an Unrechtsta­ten in der Besatzungs­zeit und an die Empfindung, „dass ein Mensch früher zu leben aufhört, als er stirbt“. Eugenijus Alisˇanka, der mit seinen Eltern nach Sibirien verbannt worden war, berichtet autobiogra­fisch und in großartige­r Sprache in „Risse“, einem Essayband (Klak, 272 S., 16,90 €), von der Demütigung. Die Kunsthisto­rikerin Undiné Radzevicˇi­uté beschreibt in „Fische und Drachen“(Residenz, 400 S., 24 €), was Okkupation, Repression und Patriotism­us mit Menschen machen. Eine wunderbare Geschichte, bereits in mehrere Sprachen übersetzt.

Die litauische ist mit der deutschen Literatur verbunden, ein Teil des Landes gehörte einige Zeit zu Preußen. Der deutsche Dichter Johannes Bobrowski kam aus dem Litauische­n. In Vilkyskiai, mitten in der Provinz, haben die Litauer ein Bobrowski-Museum eingericht­et. In Nida auf der Kurischen Nehrung verbrachte Thomas Mann mit seiner Familie drei Sommer, das Haus erwarb er, nachdem er den Literaturn­obelpreis erhalten hatte. Für ihn und Bobrowski war Litauen ein Sehnsuchts­land.

 ?? Foto: dpa ?? Kleines Land mit lebendiger Kultur: Szene aus dem litauische­n Kaunas.
Foto: dpa Kleines Land mit lebendiger Kultur: Szene aus dem litauische­n Kaunas.

Newspapers in German

Newspapers from Germany