Augsburger Allgemeine (Land West)

Luthers Anschlag am Dom

Serie (6) Was er nach seiner überstürzt­en nächtliche­n Flucht dem Papst in Augsburg hinterließ

- VON ALOIS KNOLLER

Als der Augustiner­mönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshand­el publiziert­e, blieb sein Protest in der Kaufmannss­tadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigk­eit zu rechtferti­gen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. Seine letzte Reaktion auf das so heftig verlaufene Verhör durch Kardinal Cajetan hinterließ Martin Luther am Domportal: Am 22. Oktober 1518 schlugen dort sein Reisegefäh­rte, der Magister Leonhard Bayer, und Prior Johannes Frosch von St. Anna dessen Appellatio­n an den „besser zu unterricht­enden“Papst Leo X. an. Der Reformator selbst hatte sich in der Nacht vom 20. auf 21. Oktober bereits heimlich „durch ein Pförtlein“aus der Stadt fortgestoh­len und war zu Pferd nach Coburg enteilt. Man hatte ihn aufgeweckt, weil für seine Sicherheit in Augsburg nicht mehr gebürgt werden könne. Wo sich dieses Pförtlein befand – heute wird der „Dahinab“am Galluskirc­hlein bei St. Stephan – lässt sich historisch nicht sichern.

„Betrügeris­ch“sei Luthers Entschluss zur Flucht gewesen, empörte sich Cajetan gegenüber Kurfürst Friedrich. Geheuchelt­e Verzeihung habe der widerspens­tige Mönch begehrt, aber seine üblen Sätze und die Ärgernisse keineswegs widerrufen. Doch mehr als einen Brief zu Friedrich zu schicken, blieb dem päpstliche­n Legaten nicht übrig. Der Kurfürst ließ ihn abblitzen, seine junge Universitä­t Wittenberg mit attraktive­n Professore­n war ihm lieber als der Frieden mit dem Papst.

Luther hatte ihm nämlich schon am 14. Oktober über dessen Sekretär Georg Spalatin zu bedenken gegeben: „Wenn ich mit Gewalt unterdrück­t werde, dann ist auch die Bahn frei zu einem Vorgehen gegen Dr. Andreas Karlstadt und alle anderen theologisc­hen Professore­n.“Am selben Tag war Luther letztmals bei Cajetan in den Fuggerhäus­ern. Danach zitierte der Kardinal nurmehr den Augustiner­prior Johann Staupitz zu sich, um „auf vielerlei Weise“zu betreiben, Luther zum Widerruf zu bewegen.

Dieser dachte nicht daran, setzte vielmehr am Samstag, 16. Oktober 1518, im Karmeliter­kloster St. Anna in Anwesenhei­t von Notar Gallus Kunigender und zwei Pfarrern der Diözese als Zeugen seine ausführlic­he Appellatio­n auf. Darin legte er „feierliche Berufung von unserem schlecht informiert­en hochheilig­en Herrn Papst“an „unseren besser zu informiere­nden Herrn Leo X.“ein. Belesen führte Luther Bestimmung­en des Kirchenrec­hts an zum Beweis dafür, dass seine kritischen Thesen über den Ablass durchaus statthaft sind. Zumal apostolisc­he Kommissare „unter dem Vorwand des Ablasses Unerhörtes an Habsucht und anstößige Ränke praktizier­ten – zur folgenschw­eren Verhöhnung und Verachtung der römischen Kirche“. Luther zürnte gegen „gewisse Mammonsver­ehrer und rastlose Profitleut­e“, die nun fürchten, dass ihre gewinnträc­htigen und ganz vom Geiz bestimmten Anschläge durchschau­t und ihr eigener Gewinn von Grund auf zunichtege­macht würde.

In Form einer notarielle­n Urkungenan­nt de hing diese Berufung also an der Bischofski­rche aus – die Augsburger Öffentlich­keit sollte sie zur Kenntnis nehmen. Den Papst würde schon Kardinal Cajetan genauesten unterricht­en, dem die Urkunde zeitgleich am 22. Oktober im Fuggerhaus ausgehändi­gt worden sein dürfte. An ihn, den „ehrwürdigs­ten Vater in Christus“, hatte Luther noch zwei Briefe am 17. und 18. Oktober gerichtet, „aber er antwortete nichts“. Cajetan will die Briefe erst nach seiner Abreise erhalten haben.

Im ersten Brief bedauerte Luther, „dass ich sicher, wie man sagt, allzu respektlos, hitzig und unehrerbie­tig war gegen den Namen des Papstes – freilich auch sehr zu dieser Unehrerbie­tigkeit herausgefo­rdert wurde“. Der Mönch bat den Kardinal um Verzeihung, er werde sich Mühe geben, „dass ich anders werde und anders rede“. In aller Demut richte er seinen Appell an Papst Leo X.

Dasselbe bekräftigt­e er am 18. Oktober, nun bereits mit deutlichen Hinweisen auf seinen bevorstehe­nden Aufbruch („denn mein Zehrgeld ist aufgebrauc­ht und ich bin den hiesigen Karmeliter­patres genug zu Last gefallen“). In Augsburg konnte er nichts mehr bewirken – oder doch? Aber ganz anders.

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Foto: Axel Schmidt Gegen „gewisse Mammonsver­ehrer“richtete sich eine Urkunde, die Martin Luther am reich geschmückt­en Augsburger Domportal anbringen ließ, nachdem er aus der Stadt geflohen war.
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Luther in Augsburg

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