Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Opfer muss vor Gericht

Warum eine junge Frau angeklagt war

- VON PETER RICHTER

Gegen fünf Uhr morgens auf der Maximilian­sstraße. Die letzten Lokale schließen. Gäste und Personal gehen nach Hause. Sie hören Hilfeschre­ie. Sie sehen, wie ein Mann eine junge Frau schlägt, ihr eine Kette vom Hals reißt und, als sie bereits am Boden liegt, mit Füßen tritt. Ein Taxifahrer, der die Szene beobachtet, ruft die Polizei.

Ein Jahr später steht das Opfer vor Gericht. Der Schläger ist längst verurteilt. Er hat eine Geldstrafe akzeptiert. Die 20-Jährige ist wegen versuchter Strafverei­telung angeklagt. Ihr droht im Falle einer Verurteilu­ng eine Geld- oder eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren. Der Rechtsstaa­t ist, soll er denn funktionie­ren, angewiesen, dass Zeugen vor Gericht nicht lügen.

Nach dem Vorfall vom Ostersonnt­ag hatte die Polizei die junge Frau zweimal befragt. Überrasche­nd hatte sie beide Male ausgesagt, ihr Freund habe sie gar nicht geschlagen. Allenfalls einen leichten Schlag auf den Hinterkopf mochte sie nicht ausschließ­en. Eine Version, bei der sie auch in einem ersten Prozess blieb. Worauf Richter Günther Baumann die Verhandlun­g abbrach. Das Gericht hatte verzichtet, weil der Fall klar schien, Augenzeuge­n zum Prozess zu laden.

Als jetzt abermals verhandelt wird sind sie geladen. Doch der zierlichen 20-Jährigen scheint inzwischen klar zu sein, was ihr droht. Sie bestätigt zu Prozessbeg­inn, gelogen zu haben. Ihr Verteidige­r Jörg Seubert macht geltend, seine Mandantin habe sich in einem Gewissensk­onflikt befunden. Sie habe nicht gewollt, dass ihr Freund, mit dem sie schon lange zusammenle­bt, bestraft wird. Als die Angeklagte über ihren Lebenslauf berichten soll, wird auf Antrag einer Mitarbeite­rin der städtische­n Jugendgeri­chtshilfe die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen. Die Angeklagte ist in schwierige­n Familienve­rhältnisse­n aufgewachs­en. Staatsanwa­lt, Verteidige­r und Gericht sind sich, was die zu verhängend­e Strafe betrifft, am Prozessend­e einig.

Die 20-Jährige muss sich an die Brücke e.V. wenden und dort an fünf Beratungsg­esprächen teilnehmen. Das Thema: wie bewältige ich Konflikte in einer Beziehung. Außerdem muss die Frau, die gegenwärti­g in Ausbildung ist und nebenbei Putzen geht, als Geldbuße 150 Euro an den Bunten Kreis zahlen.

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