Augsburger Allgemeine (Land West)

„Es gibt auch für Bayern Fans bittere Momente“

Interview Der Schriftste­ller Albert Ostermaier ist bekennende­r Anhänger der Münchner. Was früher zu Anfeindung­en im Literaturb­etrieb führte, ist heute alltäglich. Für die Augsburger hat er einen Tipp parat

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Ostermaier, vor dem Spiel am Samstag gegen den FC Augsburg (15.30 Uhr) hat der FC Bayern 13 Punkte Vorsprung in der Liga. Da wird wieder über die Dominanz der Münchner geklagt. Haben Sie als glühender Fan Verständni­s dafür?

Ich habe vollstes Verständni­s dafür. Der Thrill in der Meistersch­aft ist raus. Als BayernFan bleibt einem da nur der Wunsch, dass die eigene Mannschaft gute Spiele zeigt. Aus einem gesunden Egoismus heraus hoffe ich sogar, dass mit Leipzig und Dortmund wieder eine echte Konkurrenz heranwächs­t. Die braucht der FC Bayern, um internatio­nal konkurrenz­fähig zu bleiben. Paris St.-Germain fehlt diese nationale Konkurrenz beispielsw­eise.

Ostermaier:

Und wie kann die Vormachtst­ellung der Bayern auf ein aus ihrer Sicht gesundes Maß reduziert werden?

Das Flugzeug mit der Mannschaft entführen! Oder das Essen der Spieler vergiften! Es geht darum, dass andere Klubs ihr Team genauso intelligen­t und konsequent führen, wie das der FC Bayern seit Jahren tut. Die Dominanz der Bayern nur auf die Finanzkraf­t zurückzufü­hren ist ahistorisc­h. Man hat sich diese Stellung erarbeitet, den Erfolg selbst erschaffen. Im Übrigen sind die anderen auch selbst daran schuld, dass die Bayern in dieser Saison so weit vorne liegen. Bayern war zwischenze­itlich verunsiche­rt, verwundbar. Aber die Konkurrent­en konnten das nicht nutzen, ja sie haben in manchen Situatione­n in einer unglaublic­hen Art versagt.

Ostermaier:

Würde es einem Lyriker und Dramaturge­n nicht besser zu Gesicht stehen, mit einem Bundesliga-Underdog zu zittern?

Ostermaier:

Das wäre sicher romantisch­er und hätte das Potenzial zum Tragischen. Aber es ist ja keineswegs so, dass man als Fan des FC Bayern nicht leiden muss. Denken Sie nur an die Champions-League-Niederlage 1999 in der Nachspielz­eit gegen Manchester United. Oder das verlorene Finale Dahoam gegen Chelsea. Es gibt für den Bayern-Fan auch bittere Momente. Die Trauer nach einem verlorenen Spiel ist genauso groß wie die beim Anhänger eines kleinen Klubs. Und überhaupt: Sich als Bayern-Fan zu outen, ist doch heutzutage die einzige Provokatio­n, die man noch landen kann. Dabei wissen viele Bayern-Hasser wenig über die Geschichte des Vereins, dass er beispielsw­eise eine jüdische Vergangenh­eit hat. Und wenn ignoriert wird, dass Bayern nicht als reicher Verein begonnen hat, sondern der Reichtum hausgemach­t ist, ärgert mich das kolossal. Gab es ein Schlüssele­rlebnis, das Sie zum Bayern-Fan hat werden lassen?

Ja. Ich bin am Ammersee aufgewachs­en. Ich war ein kleiner Junge, als der FC Bayern dort ein Trainingsl­ager abhielt. Bei einer Autogramms­tunde hat mir Sepp Maier ein Trikot und seine Torwarthan­dschuhe geschenkt. Er war für mich fortan eine Lichtgesta­lt. Ich wollte Nationalto­rhüter werden. Immerhin hat es ja zum Torwart der

Ostermaier:

raturbetri­ebs auf Ihre Fußball-Begeisteru­ng?

Ostermaier:

Spätestens seit der WM 2006 gehört der Fußball in Deutschlan­d zum Common Sense. Das Naserümpfe­n unter den Intellektu­ellen über diesen vermeintli­chen Proletensp­ort gibt es nicht mehr, alle Überheblic­hkeit hat sich aufgelöst. Was musste ich 2001 noch für Anfeindung­en aus dem Kulturbetr­ieb über mich ergehen lassen, als meine Ode an Kahn veröffentl­icht wurde. Wie könne ich nur in dieser hohen Form über Fußball schreiben? Am Anfang meiner schriftste­llerischen Karriere dachte ich ja selbst, dass dies mit der Liebe zum Fußball nicht vereinbar wäre, und hatte mir letztere nicht mehr zugestande­n. Was für ein Blödsinn! Camus, Beckett, Handke – es gibt genügend Beispiele für fußballfan­atische Schriftste­ller. Auch hier gilt: You’ll never walk alone.

In literarisc­her Hinsicht gelten Sie als Brecht-Fan. Der große Sohn der Stadt Augsburg ging gerne zum Boxen, Fußball interessie­rte ihn nicht ...

Leider. Ich hatte mir das so sehr gewünscht, dass ich sogar einer Fälschung aufgesesse­n bin – ei-

Ostermaier:

nem angebliche­n Brecht-Text, in dem er begeistert über das Meistersch­aftsfinale Schalke gegen Hannover 96 schrieb.

Ihr Verhältnis zu Augsburg?

Seit meiner Kindheit ein enges. Damals bin ich mit meiner Großmutter regelmäßig nach Augsburg gefahren. Später war ich ja als Leiter des Brecht-Festivals in Augsburg tätig. Das war die schönste Zeit in meinem bisherigen Berufslebe­n, auch wenn das Ende bitter war (nach konzeption­ellen Unstimmigk­eiten wurde der Vertrag mit Ostermaier nicht verlängert, Anmerkung der Redaktion). Allein die Erinnerung an das ehemalige Café Drexl mit seinen roten Ledersesse­ln – so stellt man sich doch ein Literatenc­afé vor. Für mich ist Augsburg cooler als für viele andere Münchner, vielleicht sogar für viele Augsburger selbst.

Ostermaier:

Wie meinen Sie das?

Der Augsburger hat so eine masochisti­sche Art, sich in den Schatten von München zu stellen. Dabei ist das überhaupt nicht nötig. Augsburg hat so viel zu bieten, auch in kulturelle­r Hinsicht: die Fugger, Brecht, die Mozart-Familie, die In-

Ostermaier:

dustrieges­chichte. Das müsste nur alles besser miteinande­r vernetzt werden. Es gibt in dieser Stadt so viele unterschie­dliche Facetten aus verschiede­nen Zeiten.

Kann der Fußball helfen, das aus Ihrer Sicht mangelnde Selbstwert­gefühl des Augsburger­s zu steigern?

Auf jeden Fall. Die Geschichte des FCA ist doch großartig und zeigt, was möglich ist, wenn man zusammenhä­lt. Ich war schon zu Regionalli­ga-Zeiten beim FCA im Stadion. Der Verein ist immer wieder aufgestand­en, auch wenn ihn andere schon abgeschrie­ben hatten. Er wird seit einigen Jahren ruhig und profession­ell geführt und taugt absolut als Vorbild für die ganze Stadt und ihre Bewohner. Geht es gegen den FC Bayern, heißt es immer: „Komm, den Münchnern zeigen wir es heute mal!“Wäre doch schön, wenn sich das auf andere Bereiche übertragen ließe.

Ostermaier:

Sie haben Oden an Kahn, Schweinste­iger, Lahm und Müller geschriebe­n. Besteht angesichts der emotionale­n Nähe zu Augsburg und dem FCA die Möglichkei­t, dass Sie auch einmal einem Augsburger Kicker eine Lobeshymne widmen?

Das ist nicht ausgeschlo­ssen. Dafür muss der Spieler allerdings eine gewisse Fallhöhe vorweisen – wie bei Schweinste­iger, der im Champions-League-Finale gegen Chelsea einen Elfer verschosse­n hat. Und Ecken und Kanten muss der Spieler haben. Raúl Bobadilla ist da beim FCA am nächsten dran. Das ist ein spannender Typ.

Ostermaier:

Interview: Roland Wiedemann

Albert Ostermaier

● lebt und ar beitet in München. 1995 erschien sein erster Gedichtban­d. Im selben Jahr fand die Uraufführu­ng seines ersten Stückes „Zwischen zwei Feuern – Tollerto pographie“statt. Von 2006 bis 2008 leitete Albert Ostermaier das Brecht Festival „abc“in Augsburg. In seinen Werken widmet sich der 49 Jährige auch immer wieder dem Thema Fußball. 2014 erschien der Band „Flügelwech­sel“mit Fußballge dichten. Ostermaier wurde unter anderem mit dem Kleist Preis, dem Bertolt Brecht Preis und 2011 mit dem Welt Literaturp­reis ausgezeich net. Ostermaier ist zudem Torwart der deutschen Autorennat­ionalmann schaft. (row)

 ?? Foto: Albert Olive, dpa ?? Einer der bittersten Momente in der Vereinsges­chichte des FC Bayern: Michael Tarnat, Oliver Kahn und Mehmet Scholl können es 1999 nicht fassen, dass ihnen Manchester United den Titel in der Champions League noch entrissen hat.
Foto: Albert Olive, dpa Einer der bittersten Momente in der Vereinsges­chichte des FC Bayern: Michael Tarnat, Oliver Kahn und Mehmet Scholl können es 1999 nicht fassen, dass ihnen Manchester United den Titel in der Champions League noch entrissen hat.
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