Augsburger Allgemeine (Land West)
Millionenbetrug mit Textilienschmuggel
Justiz Sechs Angeklagte werden vor Gericht verurteilt. Einer muss für fast vier Jahre ins Gefängnis. Warum der Prozess ein halbes Jahr dauerte
Es war ein Tipp der französischen Polizei, der bayerischen Ermittler hellhörig werden ließ. Beamte der Gendarmerie hatten am 24. April 2013 bei Paris einen Lastwagen mit Augsburger Kennzeichen kontrolliert. Im Laderaum stießen sie auf gefälschte Marken-T-Shirts. Das Fahrzeug war auf einen in Augsburg lebenden Kaufmann mit türkischstämmigen Wurzeln zugelassen. Im Zollfahndungsamt München wurde bald klar, es geht hier um Millionengeschäfte: hauptsächlich mit gefälschten Parfüms namhafter Hersteller und mit gefälschten Markentextilien. Eine Soko „Fugger“übernahm die Ermittlungen.
Zwei Jahre später wurden die ersten Tatverdächtigen verhaftet. Darunter in Augsburg jener Kaufmann, dessen Lastwagen in Frankreich mit den gefälschten Textilien aufgefallen war. Der 44-Jährige besaß in Oberhausen eine Lagerhalle. Hier wurden aus der Türkei kommende Lastzüge entladen und die Ware in kleinere Fahrzeuge umgeladen, um weitertransportiert zu werden. Der Aufwand bayerischer Fahnder war immens. Um den Tätern des groß angelegten Warenschmuggels aus der Türkei auf die Spur zu kommen, sind in zwei Jahren rund 300000 Telefonate abgehört worden.
Richter Christian Engelsberger nannte diese Zahl, als er jetzt die Urteile gegen sechs an dem Schmuggel beteiligte Angeklagte verkündete. Drei Schmuggler wurden zu längeren Haftstrafen verurteilt, drei kamen mit Bewährungsstrafen davon. Der Prozess vor dem Augsburger Landgericht, der sechs Monate dauerte, ließ erahnen, in welch großem Ausmaß sowohl echte wie auch gefälschte Markenartikel in der EU zollfrei auf den Markt kommen.
Der Trick dabei: In der Türkei beladene Lastzüge können, ausgestattet mit entsprechenden Frachtpapieren, zollfrei im Transit EULänder durchqueren. An den Grenzen werden sie durchgewinkt. So konnten beispielsweise mehrere Firmen in der Schweiz das angegebene Ziel sein.
Die Firmen gab es oftmals gar nicht, nicht mehr – oder die Adres- war falsch. In der Schweiz wurde dann auch kein Zoll fällig. Denn der fiktive Empfänger hatte angeblich die Annahme der Ware verweigert, weshalb der Lastzug – scheinbar noch beladen – seine Reise zurück in die Türkei antrat. Wieder unkontrolliert, er war ja verplombt.
Nur waren die Originalplomben auf der Hinfahrt in Augsburg oder anderswo entfernt worden, um die Ware auszuladen. Was aber nicht auffiel. Solche Plomben gebe es in der Türkei auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, sagte im Prozess ein Zollfahnder aus. Täuschend echt und für wenig Geld. Aber auch beim türkischen Zoll scheint das Interesse nicht allzu groß sein, nachzuforschen, ob es die Firma, die den Transit beantragt hat, überhaupt gibt. Bleibt nach dem Prozess die Erkenntnis: Der Zoll kontrolliert im Transitverkehr Frachtpapiere, aber nicht die Ware selbst. Was angesichts Tausender Lastwagen, die monatlich aus der Türkei kommend die Grenze passieren, personell wahrscheinlich auch nicht zu leisten ist. „Wir haben es hier mit schwerer Kriminalität zu tun“, sagte Richter Engelsberger, der im Urteil ankündigte, dass weitere Prozesse anstehen und noch weiter ermittelt wird. Bislang sind namentlich 42 Tatverdächtige bekannt, gegen 21 von ihnen hat die Augsburger Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Sie sollen nach derzeitigem Stand der Ermittlungen den deutschen Fiskus um 6,2 Millionen Euro betrogen haben. An die Drahtzieher des Schmuggels ist schwer heranzukommen. Von einigen sind lediglich Spitznamen bekannt.
Einen besonderen Coup landeten die Ermittler, als sie frühzeitig von dem geplanten Schmuggel von acht Millionen Zigaretten erfuhren. Aus Dubai kommend war ein Türke auf dem Düsseldorfer Flughafen vom Zoll kontrolliert worden.
Er hatte Frachtpapiere für einen Schiffscontainer bei sich, Zielhafen war Antwerpen. Was der 53-Jährige nicht ahnte, die Zollbeamten machsen ten sich heimlich eine Kopie. Nachdem das Schiff in Antwerpen angelegt hatte und entladen war, suchten belgische Zollfahnder nach einem Container mit dieser Nummer und wurden fündig. Sein Inhalt: viele Kartons mit der Aufschrift „Datteln“.
Doch in Wahrheit waren es Zigaretten, acht Millionen Stück der Marke „Capital“. Spediteure brachten die heiße Ware, nicht ahnend, dass Zivilfahnder ihnen folgten, in Zwischenlager nach Düsseldorf, Krefeld, Neuss und Ratingen. Von hier aus wurden sie nach England weiterverkauft. Einer der Tatverdächtigen lebt in Großbritannien. Die Augsburger Staatsanwaltschaft hat seine Auslieferung beantragt.
Die jetzt verurteilten sechs Angeklagten hatten vor Gericht gestanden, an bis zu acht der vom Zoll ermittelten 108 Schmuggelfahrten mitgemacht zu haben. Von ihnen erhielt der Augsburger Kaufmann, 44, die höchste Strafe. Er muss für fast vier Jahre ins Gefängnis.