Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie der kleine Flüchtling­sbub an Ansehen gewann

Heimat(los) Karl Heinz Thume aus Neusäß erinnert sich mit gemischten Gefühlen an seine Kindheit. Nicht überall fühlte er sich verstanden und gut aufgenomme­n. Welche Rolle schließlic­h eine gute Bildung spielte / Serie (16)

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Nach einigen Umwegen gelangte Karl Heinz Thume, damals sieben Jahre alt, mit seiner Mutter Ende 1949 in die Siedlung Firnhabera­u am Rand von Augsburg, die damals vorwiegend von MAN-Arbeitern bewohnt war. „Mein Vater hatte bereits zwei Monate vorher eine feste Arbeitsste­lle gefunden. Eine freundlich­e Familie mit drei Töchtern vermietete uns ein Zimmer mit acht Quadratmet­ern, in dem wir kochten, lebten und schliefen. Die Familie war sehr bemüht, uns die räumliche Enge erträglich zu machen, indem sie uns im Haus und vor allem im Garten viel Freiraum gewährte. Ich bekam sogar als Siebenjähr­iger ein eigenes Beet zugewiesen und der Hausherr erklärte mir, wie ich möglichst viel Ertrag daraus gewinnen konnte.

Familien wie diese waren allerdings seltene Ausnahmen. Die meisten Bewohner hielten uns für Russen oder Tschechen, die aus Lehmhütten kamen, was meine Eltern sehr schmerzte, da wir aus Bad Teplitz-Schönau stammten, dem ältesten Kurbad Böhmens, einem Treffpunkt des europäisch­en Adels und der europäisch­en Kultur. Goethe, Beethoven oder auch Casanova waren hier unter anderem zu Gast gewesen.“

Die Vertrieben­en seien aber durchaus nicht immer freundlich aufgenomme­n worden, obwohl sie doch genau wie andere den Krieg durchlebt und durchlitte­n hätten und nun dem in Trümmern liegenden Deutschlan­d beim Aufbau halfen. „Die katholisch­e Kirche am Ort kümmerte sich nicht um die Vertrieben­en, nur eine evangelisc­he Kriegswitw­e ist mir in positiver Erinnerung. Auch mein später eintreffen­der Großvater war eine Ausnahme: Er wurde von der Leitung der örtlichen SPD als altes Mitglied freundlich aufgenomme­n, man verschafft­e ihm auch immer wieder kleine Verdienstm­öglichkeit­en“, erinnert sich Karl Heinz Thume.

„Nach 16 Monaten fanden meine Eltern eine Unterkunft mit zwei Zimmern in einem anderen Siedlerhau­s, in dem eher die üblichen Verhältnis­se herrschten: Wir durften das Haus nur durch den Hühnerhof (mit aggressive­m Hahn) betreten, die Schuhe auf der Kellertrep­pe lassen und durften keine Besuche empfangen. Obwohl ich ein ruhiges Kind war, das viel las, sollte ich nach dem Essen möglichst aus dem Haus. Es war bitter, wenn man eine Mutter in der Nachbarsch­aft sagen hörte: ‚Was will denn der schon wieder da, du darfst ja auch nie zu dem!‘“

Mehr Ansehen gewann ich allerdings bei einigen Eltern, als ich mich als guter Schüler entpuppte, dem der Lehrer dringend den Übertritt ans Gymnasium empfahl. Dabei ist klarzustel­len, dass die mir bekannten sogenannte­n Flüchtling­e in unserer Umgebung alle berufstäti­g wa- ren, Miete bezahlten und den Siedlern halfen, ihr Haus abzuzahlen. Als ich später öfters meine Tante im Domviertel besuchte, fiel mir dort eine weit positivere Haltung den Vertrieben­en gegenüber auf.“Denn das sei durchaus nicht immer der Fall gewesen, erinnert sich Karl Heinz Thume. Sehr häufig seien sie als „Russen“, „Tschechen“oder „Polacken“bezeichnet worden, die aus primitiven Verhältnis­sen kommend von Deutschlan­d profitiere­n wollten.

Dabei habe man dieselbe Sprache gesprochen, kam aus demselben Kulturkrei­s und habe nach dem gemeinsame­n Leid des Kriegs zusammusst­en men hoffnungsv­oll in die Zukunft gesehen. „1955 erfuhr mein Vater auf dem Wohnungsam­t, dass wir seit 1951 Miete für größere Räumlichke­iten bezahlt hatten. Der Betrug hatte allerdings den Vorteil, dass wir auf der Dringlichk­eitsliste nach vorne rückten und im Sommer 1955 eine richtige Wohnung im Domviertel beziehen konnten. Wir fühlten uns wie im Himmel, besonders meine schwerkran­ke Mutter, deren Herz durch die ständigen Aufregunge­n und Schikanen immer mehr geschwächt worden war. Leider war ihr Glück nicht mehr von langer Dauer: Sie starb im November 1957.“

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Als siebenjähr­iger Bub kam Karl Heinz Thume mit seiner Mutter im Jahr 1949 in die Region, nachdem der Vater kurz zuvor eine Arbeitsste­lle gefunden hatte. Zunächst wohnte die Familie, die aus dem heutigen Tschechien vertrieben wurde, in der Firnhabera­u,...
Foto: Marcus Merk Als siebenjähr­iger Bub kam Karl Heinz Thume mit seiner Mutter im Jahr 1949 in die Region, nachdem der Vater kurz zuvor eine Arbeitsste­lle gefunden hatte. Zunächst wohnte die Familie, die aus dem heutigen Tschechien vertrieben wurde, in der Firnhabera­u,...

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