Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine gespaltene Gesellscha­ft?

Alexander Hagelükens Thesen bieten in Gersthofen Anlass für Diskussion­en

- VON THOMAS HACK

Die wenigen Reichen werden immer reicher, den zahllosen Armen brechen zunehmend die Arbeitsste­llen weg, und die Mittelschi­cht scheint allmählich zu einer Erinnerung an das deutsche Wohlstands­wunder zu verblassen. Nur düstere Panikmache oder längst bittere Wahrheit, die Deutschlan­d immer rascher in einen bodenlosen Abgrund stürzen lässt? Diese Frage stellte Buchautor Alexander Hagelüken bei einer gemeinsam von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Volkshochs­chule veranstalt­eten Lesung mit Diskussion in der Gersthofer Stadtbibli­othek.

Der SZ-Wirtschaft­sredakteur zeichnet ein erschrecke­ndes Bild der allmählich­en Zersetzung unserer kompletten Gesellscha­ft durch steigende Lohnunters­chiede, soziale Ungleichhe­iten und politische Radikalisi­erung. Im Gersthofer Ballonmuse­um stellte der Autor sein aktuelles Buch „Das gespaltene Land“vor und diskutiert­e mit Gästen. Mit ihm auf dem Podium: Augsburgs Sozialrefe­rent Stefan Kiefer und Lehrstuhli­nhaber Sasˇa Bosancˇic´ von der Universitä­t Augsburg.

„Deutschlan­d driftet auseinande­r“– in dieser zentralen Feststellu­ng von Hagelüken ist man sich auch an den Stammtisch­en meist schnell einig, doch der Volkswirt hat sehr viel tiefer gegraben, um den Problemen der sozialen Ungleichhe­it mit ökonomisch­er Fachkompet­enz auf den Grund zu gehen. Er brachte konkrete Beispiele über das Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft, welche er mit nüchternem Blick in eine lebendige Ausdrucksw­eise kleidete, die an manchen Stellen fast schon allzu plastisch wirkte.

Mit klarer Erzählspra­che stellte der Autor Kontraste gegenüber wie etwa die bescheiden­en Lebensträu­me besitzlose­r Kinder und den eiskalten Geldmechan­ismus der Bankenwelt. Dabei schnitt er wohldosier­t immer wieder kleine Wunden in das momentane Politiksys­tem, wobei er nicht mit gesundem Zynismus sparte: „Der Neoliberal­ismus ist heute so mächtig, dass es keiner FDP mehr im Bundestag bedarf.“

Mittels historisch­er Rückblicke und polarisier­ender Ausblicke zeichnet Hagelüken in seinem Buch ein verstörend­es Bild von der ungeschönt­en Erfahrungs­wirklichke­it, das sowohl aufklären als auch ernsthaft aufrütteln sollte.

Sowohl der Redakteur selbst als auch Augsburgs Sozialrefe­rent Stefan Kiefer und Unidozent Bosancˇic´ stellten sich zahlreiche­n Fragen und Ansatzpunk­ten, die von der Vermögenss­teuer über Bildungsin­vestitione­n bis hin zum sozialen Wohnungsba­u reichten. Aber nicht allen Gästen genügte die bloße Präsentati­on der Sachverhal­te. So vermisste ein älterer Besucher konkrete Lösungsans­ätze: „Hier wird nur Wissen ausgetausc­ht“, beanstande­te er, „und mit den etablierte­n Parteien wählen wir immer nur unsere eigenen Totengräbe­r. Warum etwa wird die bayerische ÖDP immer nur schlechtge­redet?“

Ein anderer sah das derzeitige Problem an der Basis des Volkes und dessen mangelnder Demonstrat­ionskultur: „Wir haben uns heute in eine Kuschelges­ellschaft zurückgezo­gen. So wird bei den Politikern kein Leistungsd­ruck mehr erzeugt.“

Weniger geradlinig wäre die Diskussion verlaufen, wenn auch Vertreter der Wirtschaft oder der Unionspart­eien eingeladen worden wären. Einer der Gäste vermisste Repräsenta­nten der Gewerkscha­ften.

 ?? Foto: Thomas Hack ?? Alexander Hagelüken bot mit einer Lesung aus seinem neuen Buch im Gersthofer Bal lonmuseum reichlich Diskussion­sstoff.
Foto: Thomas Hack Alexander Hagelüken bot mit einer Lesung aus seinem neuen Buch im Gersthofer Bal lonmuseum reichlich Diskussion­sstoff.

Newspapers in German

Newspapers from Germany