Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine gespaltene Gesellschaft?
Alexander Hagelükens Thesen bieten in Gersthofen Anlass für Diskussionen
Die wenigen Reichen werden immer reicher, den zahllosen Armen brechen zunehmend die Arbeitsstellen weg, und die Mittelschicht scheint allmählich zu einer Erinnerung an das deutsche Wohlstandswunder zu verblassen. Nur düstere Panikmache oder längst bittere Wahrheit, die Deutschland immer rascher in einen bodenlosen Abgrund stürzen lässt? Diese Frage stellte Buchautor Alexander Hagelüken bei einer gemeinsam von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Volkshochschule veranstalteten Lesung mit Diskussion in der Gersthofer Stadtbibliothek.
Der SZ-Wirtschaftsredakteur zeichnet ein erschreckendes Bild der allmählichen Zersetzung unserer kompletten Gesellschaft durch steigende Lohnunterschiede, soziale Ungleichheiten und politische Radikalisierung. Im Gersthofer Ballonmuseum stellte der Autor sein aktuelles Buch „Das gespaltene Land“vor und diskutierte mit Gästen. Mit ihm auf dem Podium: Augsburgs Sozialreferent Stefan Kiefer und Lehrstuhlinhaber Sasˇa Bosancˇic´ von der Universität Augsburg.
„Deutschland driftet auseinander“– in dieser zentralen Feststellung von Hagelüken ist man sich auch an den Stammtischen meist schnell einig, doch der Volkswirt hat sehr viel tiefer gegraben, um den Problemen der sozialen Ungleichheit mit ökonomischer Fachkompetenz auf den Grund zu gehen. Er brachte konkrete Beispiele über das Auseinanderdriften der Gesellschaft, welche er mit nüchternem Blick in eine lebendige Ausdrucksweise kleidete, die an manchen Stellen fast schon allzu plastisch wirkte.
Mit klarer Erzählsprache stellte der Autor Kontraste gegenüber wie etwa die bescheidenen Lebensträume besitzloser Kinder und den eiskalten Geldmechanismus der Bankenwelt. Dabei schnitt er wohldosiert immer wieder kleine Wunden in das momentane Politiksystem, wobei er nicht mit gesundem Zynismus sparte: „Der Neoliberalismus ist heute so mächtig, dass es keiner FDP mehr im Bundestag bedarf.“
Mittels historischer Rückblicke und polarisierender Ausblicke zeichnet Hagelüken in seinem Buch ein verstörendes Bild von der ungeschönten Erfahrungswirklichkeit, das sowohl aufklären als auch ernsthaft aufrütteln sollte.
Sowohl der Redakteur selbst als auch Augsburgs Sozialreferent Stefan Kiefer und Unidozent Bosancˇic´ stellten sich zahlreichen Fragen und Ansatzpunkten, die von der Vermögenssteuer über Bildungsinvestitionen bis hin zum sozialen Wohnungsbau reichten. Aber nicht allen Gästen genügte die bloße Präsentation der Sachverhalte. So vermisste ein älterer Besucher konkrete Lösungsansätze: „Hier wird nur Wissen ausgetauscht“, beanstandete er, „und mit den etablierten Parteien wählen wir immer nur unsere eigenen Totengräber. Warum etwa wird die bayerische ÖDP immer nur schlechtgeredet?“
Ein anderer sah das derzeitige Problem an der Basis des Volkes und dessen mangelnder Demonstrationskultur: „Wir haben uns heute in eine Kuschelgesellschaft zurückgezogen. So wird bei den Politikern kein Leistungsdruck mehr erzeugt.“
Weniger geradlinig wäre die Diskussion verlaufen, wenn auch Vertreter der Wirtschaft oder der Unionsparteien eingeladen worden wären. Einer der Gäste vermisste Repräsentanten der Gewerkschaften.