Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Frage der Woche Erwachsene in Löcherjeans?
Es gibt sicherlich Dinge, für die man als Erwachsener irgendwann zu alt ist. Mit der Flasche Wein an der SupermarktKasse nach dem Ausweis gefragt zu werden zum Beispiel. Oder für Dinge, die sich in irgendwelchen Gesetzestexten nachlesen lassen. Doch warum sollte das Alter Grund sein, keine Jeans mit Löchern zu tragen? Warum sollte man sich in der Mode überhaupt in irgendeinem Alter von irgendwem etwas vorschreiben lassen?
Für Menschen, die anderen in Sachen Mode gerne etwas vorschreiben würden und beispielsweise kritisieren, dass Jeans mit Löchern getragen werden, gilt grundsätzlich: erst einmal ganz genau in den Spiegel schauen. Sitzt da denn auch wirklich, wirklich alles so, wie es in diesen nicht vorhandenen Gesetzestexten steht?
Hinzu kommt: Sich über ein Loch aufzuregen, hat gar keinen Sinn. Denn da, wo ein Loch ist, ist ja eigentlich gar nichts. Und kann man überhaupt gegen etwas sein, das gar nichts ist?
Es gibt sicher Löcher, die nicht besonders toll sind. Zum Beispiel das Loch im Bauch, während man beim Italiener sitzt, auf sein Essen wartet und es nebenan nach Pizza duftet. Ebenfalls unangenehm bis unerträglich sind Löcher in den Zähnen. Ebenso auf Luftlöcher auf dem Weg in den Urlaub kann man verzichten und auch dieses schwarze Loch ist so eine Sache.
Aber Löcher in Jeans reihen sich dann doch eher neben Astlöchern ein, also in die Reihe harmloser Löcher. Löcher, die nicht wirklich der Rede wert sind und niemandem wehtun. Genauso wie im Übrigen ein bisschen Knie oder Oberschenkel niemanden schmerzen, wenn sie zwischen Jeansstoff hervorblitzen. Und das gilt auch, wenn Knie oder Oberschenkel schon seit über 20 Jahren zu ein und derselben Person gehören.
So, so, nun sind es also Riesen-LöcherJeans, die man laut Modeexperten, ItGirls und den großen Fashion-Häusern unbedingt im Schrank haben muss. Um was zu zeigen? Dass ich klamottentechnisch total modern bin? Dass ich auch jedem noch so albernen Trend nachjagen muss? Oder etwa, dass ein bisschen Rebell in mir steckt? Oder dass ich pseudojugendlich, ja, wild bin?
Mal ehrlich: Die Stilblüten der Modeindustrie sind doch abstrus. Da verkaufen großkapitalistische Modekonzerne in Billiglohnländern hergestellte T-Shirts mit Antikapitalismus-Ikone Che-Guevara-Print. Wer so etwas trägt, der zeigt nur eines: Die Botschaft des Typen auf meiner Brust ist mir schnurzwurscht, ich will einfach cool sein. Armer Che, im 21. Jahrhundert ist er Massenware geworden. Ähnlich ist es mit den kaputten Jeans. Einst trugen Punks sie als Protest gegen die Spießigkeit der Konsumgesellschaft. Und nun ist sie auch unter Spießern salonfähig, ja sogar chic. Sie zahlen sogar richtig viel Geld für diesen „UsedLook“auf oder besser in Markenjeans. Anziehsachen haben dadurch an Symbolkraft verloren. Heißt: In einem, der wie ein Punk oder Rocker aussieht, muss kein Punk oder Rocker drinstecken.
Wenn man etwas Positives aus der ganzen Anziehsache lesen kann, dann dieses: Die Gesellschaft ist toleranter geworden. Es darf jeder anziehen, was er gerne möchte. Das ist auch gut so. Allerdings freut das auch die Modeindustrie. Wenn alle Looks und Verkleidungen erlaubt sind, muss auch mehr konsumiert werden. Weil nicht jeder eine alte, löchrige Lieblingsjeans herauskramen kann, weil längst entsorgt, wird nun der Bedarf mit künstlich kaputt gemachten Jeans gestillt. Wie praktisch: Wenn der Trend vorbei ist, muss wieder eine neue Hose her.