Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Frage der Woche Erwachsene in Löcherjean­s?

- PRO CLAUDIA GRAF CONTRA LEA THIES

Es gibt sicherlich Dinge, für die man als Erwachsene­r irgendwann zu alt ist. Mit der Flasche Wein an der Supermarkt­Kasse nach dem Ausweis gefragt zu werden zum Beispiel. Oder für Dinge, die sich in irgendwelc­hen Gesetzeste­xten nachlesen lassen. Doch warum sollte das Alter Grund sein, keine Jeans mit Löchern zu tragen? Warum sollte man sich in der Mode überhaupt in irgendeine­m Alter von irgendwem etwas vorschreib­en lassen?

Für Menschen, die anderen in Sachen Mode gerne etwas vorschreib­en würden und beispielsw­eise kritisiere­n, dass Jeans mit Löchern getragen werden, gilt grundsätzl­ich: erst einmal ganz genau in den Spiegel schauen. Sitzt da denn auch wirklich, wirklich alles so, wie es in diesen nicht vorhandene­n Gesetzeste­xten steht?

Hinzu kommt: Sich über ein Loch aufzuregen, hat gar keinen Sinn. Denn da, wo ein Loch ist, ist ja eigentlich gar nichts. Und kann man überhaupt gegen etwas sein, das gar nichts ist?

Es gibt sicher Löcher, die nicht besonders toll sind. Zum Beispiel das Loch im Bauch, während man beim Italiener sitzt, auf sein Essen wartet und es nebenan nach Pizza duftet. Ebenfalls unangenehm bis unerträgli­ch sind Löcher in den Zähnen. Ebenso auf Luftlöcher auf dem Weg in den Urlaub kann man verzichten und auch dieses schwarze Loch ist so eine Sache.

Aber Löcher in Jeans reihen sich dann doch eher neben Astlöchern ein, also in die Reihe harmloser Löcher. Löcher, die nicht wirklich der Rede wert sind und niemandem wehtun. Genauso wie im Übrigen ein bisschen Knie oder Oberschenk­el niemanden schmerzen, wenn sie zwischen Jeansstoff hervorblit­zen. Und das gilt auch, wenn Knie oder Oberschenk­el schon seit über 20 Jahren zu ein und derselben Person gehören.

So, so, nun sind es also Riesen-LöcherJean­s, die man laut Modeexpert­en, ItGirls und den großen Fashion-Häusern unbedingt im Schrank haben muss. Um was zu zeigen? Dass ich klamottent­echnisch total modern bin? Dass ich auch jedem noch so albernen Trend nachjagen muss? Oder etwa, dass ein bisschen Rebell in mir steckt? Oder dass ich pseudojuge­ndlich, ja, wild bin?

Mal ehrlich: Die Stilblüten der Modeindust­rie sind doch abstrus. Da verkaufen großkapita­listische Modekonzer­ne in Billiglohn­ländern hergestell­te T-Shirts mit Antikapita­lismus-Ikone Che-Guevara-Print. Wer so etwas trägt, der zeigt nur eines: Die Botschaft des Typen auf meiner Brust ist mir schnurzwur­scht, ich will einfach cool sein. Armer Che, im 21. Jahrhunder­t ist er Massenware geworden. Ähnlich ist es mit den kaputten Jeans. Einst trugen Punks sie als Protest gegen die Spießigkei­t der Konsumgese­llschaft. Und nun ist sie auch unter Spießern salonfähig, ja sogar chic. Sie zahlen sogar richtig viel Geld für diesen „UsedLook“auf oder besser in Markenjean­s. Anziehsach­en haben dadurch an Symbolkraf­t verloren. Heißt: In einem, der wie ein Punk oder Rocker aussieht, muss kein Punk oder Rocker drinstecke­n.

Wenn man etwas Positives aus der ganzen Anziehsach­e lesen kann, dann dieses: Die Gesellscha­ft ist toleranter geworden. Es darf jeder anziehen, was er gerne möchte. Das ist auch gut so. Allerdings freut das auch die Modeindust­rie. Wenn alle Looks und Verkleidun­gen erlaubt sind, muss auch mehr konsumiert werden. Weil nicht jeder eine alte, löchrige Lieblingsj­eans herauskram­en kann, weil längst entsorgt, wird nun der Bedarf mit künstlich kaputt gemachten Jeans gestillt. Wie praktisch: Wenn der Trend vorbei ist, muss wieder eine neue Hose her.

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Foto: dpa
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