Augsburger Allgemeine (Land West)
Der rote Wagen an der öden Straße
Gastronomie Fast explosionsartig wächst am Lechfeld die Welt der Logistikwirtschaft. Am Rande dieses Geschehens wartet ein mutiger Familienvater auf seinen Erfolg mit frischem Gemüse und zartem Fleisch
Graben Es gibt viel schönere Plätze im Augsburger Land als die staubige Zufahrt zu Amazon und Co in Graben. Hier pfeift schon mal der Wind über das flache Lechfeld, da peitscht im Winter der Schneeregen. Oder es brennt im Sommer die Sonne gnadenlos. Wer von der B17 kommt, dessen Blick bleibt an der Abzweigung vom großen Kreisel an der Kreisstraße A 30 an Baugruben, leeren Kiesflächen, an Beton und an Blech hängen. Man würde sich wohl schnell abwenden, wäre da nicht ein winziger roter Fleck am Rande eines seit wenigen Jahren fast explosionsartig wachsenden Universums an Logistikunternehmen, Spediteuren und Lkw-Servicebetrieben. Es ist der kleine rote Imbisswagen von Kemal Berk.
Trucker aus ganz Europa kennen den einachsigen Anhänger aus angemaltem Alugestänge und Blech. Manche verabreden sich hier und stöhnen beim Ratsch über Straßen und Familien über ihren Zeitdruck, der ihnen fast minutengenaue Anund Abfahrtszeiten vorschreibt. Gerade eben ließ sich einer von einem Kollegen entschuldigen. Diese Woche komme er nicht vorbei, aber nächste Woche bestimmt wieder. „Das ist der Thomas“, erläutert Kemal Berk. Dreimal die Woche hält der mit seinem Truck hier. Ohne die Rast könnte er die vorgeschriebene Ruhezeit auf dem Heimweg gar nicht einhalten.
Die Beschriftung am Imbissstand verspricht einiges. Hamburger, Currywurst und Pommes preist die Kreideschrift auf einer Tafel unter anderem an. Doch fast alle wollen einfach Döner. Den gibt es in verschiedenen Schärfe- und Gewürzstufen. Auf jeden Fall aber mit frisch geschnittenen Tomaten und Salaten. Das Brot ist außen knusprig, innen flaumig, das Putenfleisch zart.
Plötzlich verfliegt der Zauber wieder. Dann ist es hier schon mal eine Stunde lang öd und leer. Autos und Lastzüge brausen nur eilig vor- bei. Seit einem Jahr schaut Kemal Berk diesem Treiben zu. Doch wann seine Kunden Schlange stehen und wann er wieder nur lange wartet, hat er bis heute noch nicht durchschaut. Einen festen Zeitrhythmus kann er nicht erkennen.
Das beste Zeichen ist es für ihn, wenn ein Lastwagen vor seinem rollenden Restaurant parkt. Dann reihen sich rasch weitere Trucker davor und dahinter ein.
Bulgaren, Slowenen, Tschechen, Ungarn, Polen, Franzosen, Deutsche und noch mehr stoppen hier an der Einfahrt ins Logistik-Zentrum. Gerade zahlt einer, ohne sich mit Euromünzen auszukennen. Er streckt einfach seinen Geldbeutel offen in den Imbisswagen hinein und lässt sich vier Euro zwanzig passend rausklauben. „Wir verstehen uns trotzdem alle – irgendwie“, sagt Kemal Berk. „Ich habe hier englisch gelernt, nicht gut, aber eben so wie die anderen alle auch.“Er ist hier Pausenfüller, Gesprächspartner, Restaurantbesitzer, Koch und Kellner in Personalunion. Sein neuer Stolz ist ein kleiner Pavillon mit zwei Bierbänken: „Da können sich meine Gäste reinsetzen, wenn es regnet.“Doch heute setzt sich keiner rein. Die Gäste vertreten sich lieber die Beine und steigen dann wieder in ihre Fahrzeugkanzel. Sie sind satt und etwas ausgeruht. Vermutlich aber noch durstig. Denn von den vielen Limonaden, Säften und Energiedrinks wollte keiner etwas haben. „Die haben selbst Kühlfächer an Bord mit eigenen Getränken“, weiß der Imbissbetreiber. Das ist schlecht für sein Geschäft. Aber der Familienvater zeigt Durchhaltevermögen: „Ich mache hier weiter. Das braucht hier noch Zeit, dann wird sich die Arbeit lohnen.“
Er muss es wissen. Mit seinem Imbisswagen stand er früher lange Zeit in Augsburg-Oberhausen. Später bei einem Markt in Friedberg. Als dieser schloss, zog er an den Straßenrand vor Amazon, Lidl, DHL und Aldi. Hier lernte er: Die Beschäftigten in den nahen Betrieben sind keine große Kundschaft. „Die haben nur eine kurze Mittagspause. Wenn die vom Ende ihrer Halle bis zu mir gehen und zurück, wäre die Pause schon vorbei.“Doch Kemal Berk lernte neue Kunden und Freunde kennen – aus der weiten Welt der Trucker.
Gerade zahlt einer, ohne sich mit Euromünzen auszukennen.