Augsburger Allgemeine (Land West)
Mit Gott im Bürgerbüro
Theater Wie spirituell sind wir, was würden wir für den Glauben tun? „Fromm & frei“des Jungen Theaters Augsburg begibt sich auf religiöse Spurensuche an einem gar nicht spirituellen Ort
Theaterpädagogisches Zentrum, Probenraum. Lucia,15, glaubt an Gott. Sie besucht die Waldorfschule und die Kirche. Auch Melis, 18, und Zahide,18, Schülerinnen der Fachoberschule, glauben. An einem Sonntag im März treffen sie beim Jungen Theater Augsburg (JTA) aufeinander, erzählen sich von ihren Religionen, vom Fasten, Wasser, Jungs, Alkohol und verpönten Partys. Es ist ihre Probe für das neue Bürgerstück „Fromm & frei“des JTA, das zum Programm des diesjährigen Hohen Friedensfestes aufführungsreif sein muss. Die drei und ein junger Mann sind jene vier „freundlichen Führerinnen“, die das Publikum durch eine sehr profane Kulisse begleiten werden: das Hochhaus des Bürgerbüros an der Blauen Kappe.
Regisseurin Susanne Reng wählte bewusst einen unreligiösen Raum. „Es musste ein neutraler Ort sein, einer, zu dem jeder und jede Augsburgerin im Lauf seines Lebens gehen muss“, erklärt sie. Die drei Führerinnen und sieben weitere Kleinensembles mit insgesamt 16 Darstellern werden Innenhof, Foyer, Treppenhäuser, das erste bis sechste sowie das neunte Stockwerk bespielen. Dramaturgin Katrin Dollinger weiß: „Stationentheater kommt dem Laienschauspiel entgegen, weil die Stimmen hier jeweils nur 30 Zuschauer pro Aufführung erreichen müssen, statt 200.“
Inhalte und Dialoge entwickelt Reng mit den Darstellern. Dabei gilt: Nicht erst die Premiere, sondern schon der Prozess bis dahin ist Kunst. In Interviews extrahiert Reng zunächst Dialoggerüste, die dem Stück die Richtung weisen. An diesen entlang hangeln sich die ersten Improvisationen der Schauspieler. Regieassistentin Daniela Nehring und Dramaturgin Katrin Dollinger führen Protokoll, aus diesen wiederum entstehen die Skripte. „Dann heißt es: Auswendiglernen“, erklärt Reng.
Lucia, Melis und Zahide sind noch in der Impro-Phase. Sie spielen an einem Brunnen im Innenhof des Bürgerbüros. „Wasser ist für viele Religionen zentral. Fangt doch mal damit an“, ermuntert Reng. Lucia legt wenig dogmatisch vor: In der Osternacht um vier Uhr früh geht ihre Familie traditionell zum Lech, schöpft dort in aller Stille ei- nen Krug Wasser für die Weihe im Ostergottesdienst. Melis und Zahide: Im Islam ist Wasser elementar für die Reinlichkeit. Beide klären Lucia über die rituelle Waschung auf, darüber, dass Blut und Ausscheidungen des Körpers den reinen Zustand aufheben und vor dem nächsten Gebet Hände, Kopf und Füße erneut gewaschen werden müssen. Und das Osterdatum richtet sich auch nach dem Mond? „Genau wie beim Ramadan“, ruft Melis. Beim Fasten allerdings stoßen sie auf Unterschiede. Während Lucia unbekümmert erzählt, beim diesjährigen Süßigkeitenfasten am Tiramisu ihrer Mutter gescheitert zu sein, erklärt Zahide überrascht: „Das gibt es bei uns nicht. Wer vor Gott das Fasten gelobt hat, aber dennoch isst oder trinkt, muss 60 Tage nachfasten.“Sie fügt hinzu: „Wenn das allerdings geschafft ist, ist der Stolz größer, als wenn man nur mal auf Tiramisu verzichtet.“
Überlegenheitsgefühle? Zum Jubiläumsjahr der Reformation wagt sich das Junge Theater mit einem brisanten Thema auf die Bühne. Wenn das Stück am Ende Szenen wie diese ungeschönt aufnimmt und als einen Auslöser religiöser Grundkonflikte reflektiert, wird es seinem Anspruch auf Authentizität gerecht. O
Premiere am 14. Juli um 19.30 Uhr im Bürgerbüro, An der Blauen Kappe