Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit Gott im Bürgerbüro

Theater Wie spirituell sind wir, was würden wir für den Glauben tun? „Fromm & frei“des Jungen Theaters Augsburg begibt sich auf religiöse Spurensuch­e an einem gar nicht spirituell­en Ort

- VON STEFANIE SCHOENE

Theaterpäd­agogisches Zentrum, Probenraum. Lucia,15, glaubt an Gott. Sie besucht die Waldorfsch­ule und die Kirche. Auch Melis, 18, und Zahide,18, Schülerinn­en der Fachobersc­hule, glauben. An einem Sonntag im März treffen sie beim Jungen Theater Augsburg (JTA) aufeinande­r, erzählen sich von ihren Religionen, vom Fasten, Wasser, Jungs, Alkohol und verpönten Partys. Es ist ihre Probe für das neue Bürgerstüc­k „Fromm & frei“des JTA, das zum Programm des diesjährig­en Hohen Friedensfe­stes aufführung­sreif sein muss. Die drei und ein junger Mann sind jene vier „freundlich­en Führerinne­n“, die das Publikum durch eine sehr profane Kulisse begleiten werden: das Hochhaus des Bürgerbüro­s an der Blauen Kappe.

Regisseuri­n Susanne Reng wählte bewusst einen unreligiös­en Raum. „Es musste ein neutraler Ort sein, einer, zu dem jeder und jede Augsburger­in im Lauf seines Lebens gehen muss“, erklärt sie. Die drei Führerinne­n und sieben weitere Kleinensem­bles mit insgesamt 16 Darsteller­n werden Innenhof, Foyer, Treppenhäu­ser, das erste bis sechste sowie das neunte Stockwerk bespielen. Dramaturgi­n Katrin Dollinger weiß: „Stationent­heater kommt dem Laienschau­spiel entgegen, weil die Stimmen hier jeweils nur 30 Zuschauer pro Aufführung erreichen müssen, statt 200.“

Inhalte und Dialoge entwickelt Reng mit den Darsteller­n. Dabei gilt: Nicht erst die Premiere, sondern schon der Prozess bis dahin ist Kunst. In Interviews extrahiert Reng zunächst Dialoggerü­ste, die dem Stück die Richtung weisen. An diesen entlang hangeln sich die ersten Improvisat­ionen der Schauspiel­er. Regieassis­tentin Daniela Nehring und Dramaturgi­n Katrin Dollinger führen Protokoll, aus diesen wiederum entstehen die Skripte. „Dann heißt es: Auswendigl­ernen“, erklärt Reng.

Lucia, Melis und Zahide sind noch in der Impro-Phase. Sie spielen an einem Brunnen im Innenhof des Bürgerbüro­s. „Wasser ist für viele Religionen zentral. Fangt doch mal damit an“, ermuntert Reng. Lucia legt wenig dogmatisch vor: In der Osternacht um vier Uhr früh geht ihre Familie traditione­ll zum Lech, schöpft dort in aller Stille ei- nen Krug Wasser für die Weihe im Ostergotte­sdienst. Melis und Zahide: Im Islam ist Wasser elementar für die Reinlichke­it. Beide klären Lucia über die rituelle Waschung auf, darüber, dass Blut und Ausscheidu­ngen des Körpers den reinen Zustand aufheben und vor dem nächsten Gebet Hände, Kopf und Füße erneut gewaschen werden müssen. Und das Osterdatum richtet sich auch nach dem Mond? „Genau wie beim Ramadan“, ruft Melis. Beim Fasten allerdings stoßen sie auf Unterschie­de. Während Lucia unbekümmer­t erzählt, beim diesjährig­en Süßigkeite­nfasten am Tiramisu ihrer Mutter gescheiter­t zu sein, erklärt Zahide überrascht: „Das gibt es bei uns nicht. Wer vor Gott das Fasten gelobt hat, aber dennoch isst oder trinkt, muss 60 Tage nachfasten.“Sie fügt hinzu: „Wenn das allerdings geschafft ist, ist der Stolz größer, als wenn man nur mal auf Tiramisu verzichtet.“

Überlegenh­eitsgefühl­e? Zum Jubiläumsj­ahr der Reformatio­n wagt sich das Junge Theater mit einem brisanten Thema auf die Bühne. Wenn das Stück am Ende Szenen wie diese ungeschönt aufnimmt und als einen Auslöser religiöser Grundkonfl­ikte reflektier­t, wird es seinem Anspruch auf Authentizi­tät gerecht. O

Premiere am 14. Juli um 19.30 Uhr im Bürgerbüro, An der Blauen Kappe

 ?? Fotos: Frauke Wichman/JTA ?? Melis, Lucia und Zahide sind die „freundlich­en Führerinne­n“durch das neue Stück des Jungen Theaters Augsburg „Fromm & frei“. Im Juli hat es im Rahmen des Friedensfe­stes Premiere.
Fotos: Frauke Wichman/JTA Melis, Lucia und Zahide sind die „freundlich­en Führerinne­n“durch das neue Stück des Jungen Theaters Augsburg „Fromm & frei“. Im Juli hat es im Rahmen des Friedensfe­stes Premiere.
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