Augsburger Allgemeine (Land West)
Purzelchen gehört ins Museum
Beratung Zur Kunstsprechstunde im Schaezlerpalais bringen ältere Herrschaften ihre Puppen. Auch wenn der Markt wenig hergibt, sollte man sie gut verwahren. Und bitte nicht waschen
Es ist ein anrührendes Bild: Knapp 70 Erwachsene, die meisten in fortgeschrittenem Alter, halten Puppen und Teddybären teils liebevoll auf dem Schoß, teils haben sie sie sorgsam eingeschlagen in Körben und Taschen. Geduldig warten sie in der Barockgalerie des Schaezlerpalais darauf, dass ihr Liebling an die Reihe kommt und auf einem Tischchen vorne bestaunt, begutachtet und bewertet wird. Zur „Kunstsprechstunde spezial“haben die Kunstsammlungen und Museen Augsburg nämlich den international renommierten Trierer Puppenexperten Ralf M. Schmitt geholt.
Schmitt punktet nicht nur als versierter Fachmann, sondern er entpuppt sich auch als unterhaltsamer Erzähler und einfühlsamer Begleiter auf der Spurensuche in familiären Spielzeug-Biografien. Wie bei Aufruf Nummer 495, einem kleinen Püppchen auf Skiern, das eine Dame 1942 von ihrem Vater aus französischer Kriegsgefangenschaft mitgebracht bekommen hatte. „Die ist wunderschön, eine Mischung aus Figur und beweglicher Puppe“, findet Schmitt, „sie versprüht noch den Charme der späten 20er, frühen 30er Jahre. Ein Zelluloid-Objekt von Petitcollin in wunderbarer Qualität. Sie ist trotz des empfindlichen Zelluloids noch so gut erhalten, da müssen sie sehr gut drauf aufgepasst haben.“Die Dame nickt geschmeichelt und hat auch nicht vor, die kleine Skifahrerin zu verkaufen – obwohl sie auf dem Sammlermarkt wohl 250 bis 300 Euro dafür erzielen könnte.
Aus dem Haus Schildkröt stammt eine Puppe mit Zelluloid-Körper und „ungewöhnlichem Kopf“, so der Fachmann. „In den 50ern gab es – wie schon seit 1910 – wieder Perücken. Dazwischen, in den 30er Jahren, gab es vor allem anmodellierte und dann bemalte Haare.“An dem Nachkriegs-Fräulein gefällt Schmitt die gelbe Strickkleidung, „die ja von Sammlern oft nicht so gemocht wird. Aber sie ist ein Ausdruck dieser Zeit, als noch nicht so viel Geld da war und alle Puppenkleidung aus Wollresten selbst gemacht wurde.“
Dank des „besonders niedlichen Gesichts“würde auch diese Puppe sicher einen Käufer finden, allerdings soll sie an die Enkelin weitergegeben werden. Damit auch diese noch Freude daran hat, gibt Schmitt Tipps für die Aufbewahrung solcher Puppen: Vor allem Zelluloid und empfindliche Stoffe wie Seide sollte man vor UV-Strahlen schützen, also möglichst im Dunkeln aufbewahren, damit Gesichter und Kleider nicht brüchig werden.
Die meisten Besucher haben nicht vor, ihre Marie, ihren Fritz oder das Purzelchen auf Auktionen oder im Internet anzubieten. Mit gutem Grund: Die Preise sind stark gesunken. Nach dem Höhepunkt des Antikpuppen-Booms in den 80er und 90er Jahren ist Schmitt zufolge der Markt zusammengebrochen. Bloß noch ein Drittel oder gar weniger sei heute zu erzielen – „weil viele Sammler jetzt eher in dem Alter sind, wo sie ihre Sammlungen schon wieder auflösen, und weil junge Leute keine großen Häuser haben, um so etwas unterzubringen“.
Künstlerpuppen, die Kreative in der Blütezeit des Puppensammelns häufig limitiert aufgelegt haben, haben trotz qualitativ hochwertiger Materialien ebenso rasant an Wert verloren. Allemal hält sie der Experte noch für wertvoller als eine überreich mit Rüschen und bordeauxrotem Acetat dekorierte NostalgiePuppe, die es von einem Flohmarkt ins Schaezlerpalais geschafft hat. „Solch pseudoantiken Puppen wurden massenweise und häufig mit zu viel des Guten an Spitze und Dekoration für den hungrigen Markt produziert“, stellt Schmitt fest.
Mit einem geschätzten Erlös von 400 bis 450 Euro viel weniger vom Preisverfall betroffen ist eine klassische Spielpuppe um 1900 mit einem Kugelgelenk-Körper und zweimal gebranntem Kopf aus Biskuit-Por- zellan, sodass man sie mit Wasser und Seife waschen konnte, ohne dass sie an Farbe verlor. Davon würde Schmitt heute abraten. Auch Perücken oder Plüsch aus dem beliebten, weil relativ unempfindlichen und schmutzabweisenden Haar der Mohair-Ziege solle man tunlichst in Ruhe lassen. Ein ältere Herr nimmt es für seinen alten Steiff-Teddy, den er zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, zur Kenntnis.
Wenn tatsächlich etwas an den alten Puppen zu reparieren ist, etwa die Schelmenaugen wieder gängig zu machen, sollte man einen Restaurator heranlassen, betont Schmitt. Jener kann durch die Kopföffnung unter der Perücke das Gestell in den Bäckchen wieder richten, mit dessen Hilfe und kleinen Bleigewichten die Augen hin und her blicken, wenn man die Puppe bewegt.
Leuchtende Augen bekommt Ralf M. Schmitt bei einer komplett originalen Zigeunerin von Armand Marseille von 1900 oder früher, mit wunderschöner Kleidung und Accessoires wie einem Münz-Armbändchen. Trotz verschossenen und brüchigen Stoffen „ist das ein Objekt von großem kulturhistorischen Wert, weil die Puppe aus ihrer Zeit erzählt. Sie gehört ins Museum!“ODie
Kunstsprechstunde findet jeden ersten Dienstag im Monat statt.