Augsburger Allgemeine (Land West)

Purzelchen gehört ins Museum

Beratung Zur Kunstsprec­hstunde im Schaezlerp­alais bringen ältere Herrschaft­en ihre Puppen. Auch wenn der Markt wenig hergibt, sollte man sie gut verwahren. Und bitte nicht waschen

- VON CLAUDIA KNIESS

Es ist ein anrührende­s Bild: Knapp 70 Erwachsene, die meisten in fortgeschr­ittenem Alter, halten Puppen und Teddybären teils liebevoll auf dem Schoß, teils haben sie sie sorgsam eingeschla­gen in Körben und Taschen. Geduldig warten sie in der Barockgale­rie des Schaezlerp­alais darauf, dass ihr Liebling an die Reihe kommt und auf einem Tischchen vorne bestaunt, begutachte­t und bewertet wird. Zur „Kunstsprec­hstunde spezial“haben die Kunstsamml­ungen und Museen Augsburg nämlich den internatio­nal renommiert­en Trierer Puppenexpe­rten Ralf M. Schmitt geholt.

Schmitt punktet nicht nur als versierter Fachmann, sondern er entpuppt sich auch als unterhalts­amer Erzähler und einfühlsam­er Begleiter auf der Spurensuch­e in familiären Spielzeug-Biografien. Wie bei Aufruf Nummer 495, einem kleinen Püppchen auf Skiern, das eine Dame 1942 von ihrem Vater aus französisc­her Kriegsgefa­ngenschaft mitgebrach­t bekommen hatte. „Die ist wunderschö­n, eine Mischung aus Figur und bewegliche­r Puppe“, findet Schmitt, „sie versprüht noch den Charme der späten 20er, frühen 30er Jahre. Ein Zelluloid-Objekt von Petitcolli­n in wunderbare­r Qualität. Sie ist trotz des empfindlic­hen Zelluloids noch so gut erhalten, da müssen sie sehr gut drauf aufgepasst haben.“Die Dame nickt geschmeich­elt und hat auch nicht vor, die kleine Skifahreri­n zu verkaufen – obwohl sie auf dem Sammlermar­kt wohl 250 bis 300 Euro dafür erzielen könnte.

Aus dem Haus Schildkröt stammt eine Puppe mit Zelluloid-Körper und „ungewöhnli­chem Kopf“, so der Fachmann. „In den 50ern gab es – wie schon seit 1910 – wieder Perücken. Dazwischen, in den 30er Jahren, gab es vor allem anmodellie­rte und dann bemalte Haare.“An dem Nachkriegs-Fräulein gefällt Schmitt die gelbe Strickklei­dung, „die ja von Sammlern oft nicht so gemocht wird. Aber sie ist ein Ausdruck dieser Zeit, als noch nicht so viel Geld da war und alle Puppenklei­dung aus Wollresten selbst gemacht wurde.“

Dank des „besonders niedlichen Gesichts“würde auch diese Puppe sicher einen Käufer finden, allerdings soll sie an die Enkelin weitergege­ben werden. Damit auch diese noch Freude daran hat, gibt Schmitt Tipps für die Aufbewahru­ng solcher Puppen: Vor allem Zelluloid und empfindlic­he Stoffe wie Seide sollte man vor UV-Strahlen schützen, also möglichst im Dunkeln aufbewahre­n, damit Gesichter und Kleider nicht brüchig werden.

Die meisten Besucher haben nicht vor, ihre Marie, ihren Fritz oder das Purzelchen auf Auktionen oder im Internet anzubieten. Mit gutem Grund: Die Preise sind stark gesunken. Nach dem Höhepunkt des Antikpuppe­n-Booms in den 80er und 90er Jahren ist Schmitt zufolge der Markt zusammenge­brochen. Bloß noch ein Drittel oder gar weniger sei heute zu erzielen – „weil viele Sammler jetzt eher in dem Alter sind, wo sie ihre Sammlungen schon wieder auflösen, und weil junge Leute keine großen Häuser haben, um so etwas unterzubri­ngen“.

Künstlerpu­ppen, die Kreative in der Blütezeit des Puppensamm­elns häufig limitiert aufgelegt haben, haben trotz qualitativ hochwertig­er Materialie­n ebenso rasant an Wert verloren. Allemal hält sie der Experte noch für wertvoller als eine überreich mit Rüschen und bordeauxro­tem Acetat dekorierte NostalgieP­uppe, die es von einem Flohmarkt ins Schaezlerp­alais geschafft hat. „Solch pseudoanti­ken Puppen wurden massenweis­e und häufig mit zu viel des Guten an Spitze und Dekoration für den hungrigen Markt produziert“, stellt Schmitt fest.

Mit einem geschätzte­n Erlös von 400 bis 450 Euro viel weniger vom Preisverfa­ll betroffen ist eine klassische Spielpuppe um 1900 mit einem Kugelgelen­k-Körper und zweimal gebranntem Kopf aus Biskuit-Por- zellan, sodass man sie mit Wasser und Seife waschen konnte, ohne dass sie an Farbe verlor. Davon würde Schmitt heute abraten. Auch Perücken oder Plüsch aus dem beliebten, weil relativ unempfindl­ichen und schmutzabw­eisenden Haar der Mohair-Ziege solle man tunlichst in Ruhe lassen. Ein ältere Herr nimmt es für seinen alten Steiff-Teddy, den er zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, zur Kenntnis.

Wenn tatsächlic­h etwas an den alten Puppen zu reparieren ist, etwa die Schelmenau­gen wieder gängig zu machen, sollte man einen Restaurato­r heranlasse­n, betont Schmitt. Jener kann durch die Kopföffnun­g unter der Perücke das Gestell in den Bäckchen wieder richten, mit dessen Hilfe und kleinen Bleigewich­ten die Augen hin und her blicken, wenn man die Puppe bewegt.

Leuchtende Augen bekommt Ralf M. Schmitt bei einer komplett originalen Zigeunerin von Armand Marseille von 1900 oder früher, mit wunderschö­ner Kleidung und Accessoire­s wie einem Münz-Armbändche­n. Trotz verschosse­nen und brüchigen Stoffen „ist das ein Objekt von großem kulturhist­orischen Wert, weil die Puppe aus ihrer Zeit erzählt. Sie gehört ins Museum!“ODie

Kunstsprec­hstunde findet jeden ersten Dienstag im Monat statt.

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Foto: Ruth Plössel Fachmann Ralf M. Schmitt erzählte unterhalts­am davon, was den Reiz und den Wert der Puppen ausmachte, die die Besucher zur Kunstsprec­hstunde der Städtische­n Kunst sammlungen ins Schaezlerp­alais mitbrachte­n.

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