Augsburger Allgemeine (Land West)

Letzte Heimat für Jesiden

Bestattung­en. Die Ezidische Kulturgeme­inde bekommt ein Gräberfeld auf dem Oberhauser Friedhof. Für das „Qob“genannte Ritualgebä­ude steht die Baugenehmi­gung noch aus

- VON STEFANIE SCHOENE

Der Nordfriedh­of wird interkultu­rell: Nach einem zweijährig­en Sondierung­s- und Diskussion­sprozess mit dem Ezidischen Kulturvere­in stellt das Friedhofsa­mt jetzt ein etwa 3000 Quadratmet­er großes Feld für Bestattung­en zur Verfügung. Der Vorsitzend­e des Kulturvere­ins, Rashid Khidir, lobt die Zusammenar­beit. „Wir sind sehr erleichter­t, dass Friedensbü­ro, Friedhofsa­mt und Migrations­referent Reiner Erben unseren Antrag so konstrukti­v begleitet haben“, erklärt er. Architekte­nplan und Baugenehmi­gung für ein Zusatzgebä­ude stehen noch aus. Die etwa 1000 Mitglieder der jesidische­n Gemeinde hoffen jedoch, das Gelände noch in diesem Jahr einweihen zu können.

Das Areal liegt am nordöstlic­hen Rand des Friedhofs und grenzt an den Meierweg. Idris Shamo, Scheich und Geistliche­r der ezidischen Gemeinde, markiert eine Stelle in der Mitte des Brachlande­s. „Hier wird unser Qob entstehen. Erst wenn der fertig ist, können wir unsere Toten in dem muslimisch­en Waschraum

Körper wird mit dem Gesicht in Richtung Osten beerdigt

auf dem Gögginger Friedhof herrichten und dann hier beerdigen“, erläutert Shamo. Dass das Gebäude errichtet werden kann, wurde mit dem Friedhofsa­mt abgesproch­en. Nur der Architekte­nplan muss samt Antrag auf eine Baugenehmi­gung noch eingereich­t werden. Der Qob erinnert in Form und Funktion an das jesidische Heiligtum im irakischen Lalish und soll auch in Augsburg der Aufbahrung eines Toten, der nach Sonnenunte­rgang verstorben ist, sowie der Aufbewahru­ng der Leichengew­änder dienen.

Shamo ist neben einem weiteren „Pir“religiöse Autorität der Gemeinde. Er stammt aus einer alten Scheichfam­ilie, wuchs im nordirakis­chen Dohuk mit den Traditione­n auf und floh 1999 vor Saddam Hussein nach Deutschlan­d. In Augsburg heiratete er gemäß den religiösen Vorschrift­en eine Jesidin, die ebenfalls zur Kaste der Scheichs gehört. Etwa zehn Prozent der in Augsburg seit Beginn der 2000er Jahre ansässigen 200 jesidische­n Familien zählen qua Abstammung zu dieser Kaste. Die beiden Führungsäm­ter Scheich und Pir werden ausschließ­lich innerhalb solcher Familien vererbt. Shamo hat zwei Kinder. Ist Polygamie ein Thema unter den Jesiden? In der Heimat sei die Mehrehe zwar üblich, sagt Shamo, in Deutschlan­d jedoch wenig verbreitet. Er lacht. „Meine Partnerin hätte gegen eine zweite Ehefrau auch einiges einzuwende­n.“

Der Vereinsvor­sitzende Rashid Khidir und sein Schwager Khaira Kesso gehören zur Kaste der Laien oder Schüler. Bei den Erklärunge­n zur Funktion und Himmelsaus­richtung des Qob, der den kleinen Friedhof der Jesiden perfekt machen soll, lassen sie dem Scheich den Vortritt. „Ohne Qob geht es nicht“, sagt Idris Shamo. Das Gebäude, das in der Mitte der jetzt noch brach lie- genden Wiese entstehen soll, ist die Zwischenst­ation zur letzten Ruhe. Ein nach Sonnenunte­rgang Verstorben­er wird im Qob aufgebahrt, denn: „Eine Beerdigung muss zwingend zwischen Sonnenaufg­ang und -untergang stattfinde­n“, erklärt der Scheich. Der Körper wird anschließe­nd mit dem Gesicht Richtung Osten ins Grab gelegt. Auch die Steinplatt­e, die die letzte Ruhestätte verschließ­t, hat eine Bedeutung: „Wenn die Gemeinde den Friedhof verlässt, versucht der Tote, uns zu folgen. Erst wenn er mit dem Kopf an die Steinplatt­e stößt, erkennt er, dass er tot ist“, so Shamo.

Der Qob wird nach Westen ausgericht­et sein, zwei auf zweieinhal­b Meter messen und zwei Meter hoch sein. Auf dem Dach folgen drei kleine Stufen, auf die ein spitzer, 1,70 Meter hoher und mit Rillen verzierter Turm aufgesetzt wird. Die Baufinanzi­erung will der Verein über Spenden sicher stellen. Das Gebäude soll zudem zu den drei Feiertagen des jesidische­n Kalenderja­hres und für die wöchentlic­hen Gebete genutzt werden. Jeden Mittwoch, so der Wunsch, soll der Scheich im Qob die traditione­lle Öllampe mit dem Baumwolldo­cht aus dem Lalish-Tal entzünden und für den Frieden der Welt beten. „Die Gemeinde kommt dann über den Tag verteilt vorbei, um sich am Gebet zu beteiligen“, so Scheich Shamo.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Hier auf dem Nordfriedh­of Augsburg soll ein Gräberfeld der Jesiden entstehen. Khairi Kesso, Scheich Idris Shamo und Raschid Khidir (von links) zeigen die geplante Gedenk  stätte, für die es aber noch keine Baugenehmi­gung gibt.
Foto: Michael Hochgemuth Hier auf dem Nordfriedh­of Augsburg soll ein Gräberfeld der Jesiden entstehen. Khairi Kesso, Scheich Idris Shamo und Raschid Khidir (von links) zeigen die geplante Gedenk stätte, für die es aber noch keine Baugenehmi­gung gibt.

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