Augsburger Allgemeine (Land West)
Letzte Heimat für Jesiden
Bestattungen. Die Ezidische Kulturgemeinde bekommt ein Gräberfeld auf dem Oberhauser Friedhof. Für das „Qob“genannte Ritualgebäude steht die Baugenehmigung noch aus
Der Nordfriedhof wird interkulturell: Nach einem zweijährigen Sondierungs- und Diskussionsprozess mit dem Ezidischen Kulturverein stellt das Friedhofsamt jetzt ein etwa 3000 Quadratmeter großes Feld für Bestattungen zur Verfügung. Der Vorsitzende des Kulturvereins, Rashid Khidir, lobt die Zusammenarbeit. „Wir sind sehr erleichtert, dass Friedensbüro, Friedhofsamt und Migrationsreferent Reiner Erben unseren Antrag so konstruktiv begleitet haben“, erklärt er. Architektenplan und Baugenehmigung für ein Zusatzgebäude stehen noch aus. Die etwa 1000 Mitglieder der jesidischen Gemeinde hoffen jedoch, das Gelände noch in diesem Jahr einweihen zu können.
Das Areal liegt am nordöstlichen Rand des Friedhofs und grenzt an den Meierweg. Idris Shamo, Scheich und Geistlicher der ezidischen Gemeinde, markiert eine Stelle in der Mitte des Brachlandes. „Hier wird unser Qob entstehen. Erst wenn der fertig ist, können wir unsere Toten in dem muslimischen Waschraum
Körper wird mit dem Gesicht in Richtung Osten beerdigt
auf dem Gögginger Friedhof herrichten und dann hier beerdigen“, erläutert Shamo. Dass das Gebäude errichtet werden kann, wurde mit dem Friedhofsamt abgesprochen. Nur der Architektenplan muss samt Antrag auf eine Baugenehmigung noch eingereicht werden. Der Qob erinnert in Form und Funktion an das jesidische Heiligtum im irakischen Lalish und soll auch in Augsburg der Aufbahrung eines Toten, der nach Sonnenuntergang verstorben ist, sowie der Aufbewahrung der Leichengewänder dienen.
Shamo ist neben einem weiteren „Pir“religiöse Autorität der Gemeinde. Er stammt aus einer alten Scheichfamilie, wuchs im nordirakischen Dohuk mit den Traditionen auf und floh 1999 vor Saddam Hussein nach Deutschland. In Augsburg heiratete er gemäß den religiösen Vorschriften eine Jesidin, die ebenfalls zur Kaste der Scheichs gehört. Etwa zehn Prozent der in Augsburg seit Beginn der 2000er Jahre ansässigen 200 jesidischen Familien zählen qua Abstammung zu dieser Kaste. Die beiden Führungsämter Scheich und Pir werden ausschließlich innerhalb solcher Familien vererbt. Shamo hat zwei Kinder. Ist Polygamie ein Thema unter den Jesiden? In der Heimat sei die Mehrehe zwar üblich, sagt Shamo, in Deutschland jedoch wenig verbreitet. Er lacht. „Meine Partnerin hätte gegen eine zweite Ehefrau auch einiges einzuwenden.“
Der Vereinsvorsitzende Rashid Khidir und sein Schwager Khaira Kesso gehören zur Kaste der Laien oder Schüler. Bei den Erklärungen zur Funktion und Himmelsausrichtung des Qob, der den kleinen Friedhof der Jesiden perfekt machen soll, lassen sie dem Scheich den Vortritt. „Ohne Qob geht es nicht“, sagt Idris Shamo. Das Gebäude, das in der Mitte der jetzt noch brach lie- genden Wiese entstehen soll, ist die Zwischenstation zur letzten Ruhe. Ein nach Sonnenuntergang Verstorbener wird im Qob aufgebahrt, denn: „Eine Beerdigung muss zwingend zwischen Sonnenaufgang und -untergang stattfinden“, erklärt der Scheich. Der Körper wird anschließend mit dem Gesicht Richtung Osten ins Grab gelegt. Auch die Steinplatte, die die letzte Ruhestätte verschließt, hat eine Bedeutung: „Wenn die Gemeinde den Friedhof verlässt, versucht der Tote, uns zu folgen. Erst wenn er mit dem Kopf an die Steinplatte stößt, erkennt er, dass er tot ist“, so Shamo.
Der Qob wird nach Westen ausgerichtet sein, zwei auf zweieinhalb Meter messen und zwei Meter hoch sein. Auf dem Dach folgen drei kleine Stufen, auf die ein spitzer, 1,70 Meter hoher und mit Rillen verzierter Turm aufgesetzt wird. Die Baufinanzierung will der Verein über Spenden sicher stellen. Das Gebäude soll zudem zu den drei Feiertagen des jesidischen Kalenderjahres und für die wöchentlichen Gebete genutzt werden. Jeden Mittwoch, so der Wunsch, soll der Scheich im Qob die traditionelle Öllampe mit dem Baumwolldocht aus dem Lalish-Tal entzünden und für den Frieden der Welt beten. „Die Gemeinde kommt dann über den Tag verteilt vorbei, um sich am Gebet zu beteiligen“, so Scheich Shamo.