Augsburger Allgemeine (Land West)

Sonst kommen die Afrikaner zum Wohlstand…

Leitartike­l Experten rechnen mit Millionen von Menschen, die demnächst ihr Glück in Europa suchen wollen. Die EU steht vor einer epochalen Herausford­erung

- VON WALTER ROLLER ro@augbsugrer allgemeine.de

Auf der Suche nach einem besseren Leben

Seit die Balkanrout­e geschlosse­n ist und die Türkei ihre Außengrenz­e zur EU dichthält, hat der Andrang von Flüchtling­en aus den Bürgerkrie­gsregionen des Mittleren Ostens stark nachgelass­en. Im Griff oder gar gelöst ist die Flüchtling­skrise damit nicht, zumal sich nun auch der Migrations­druck aus Afrika verstärkt.

Im vergangene­n Jahr sind über 180 000 Afrikaner übers Mittelmeer nach Italien gekommen. Sie haben die lebensgefä­hrliche, für viele zum tödlichen Verhängnis werdende Überfahrt auf meist seeuntaugl­ichen Boten geschafft und suchen nun ihr Glück und ein besseres Leben in Europa. Für heuer rechnen Experten mit der Ankunft von bis zu 400 000 Afrikanern. Nach Ansicht von EU-Parlaments­präsident Tajani steht die große afrikanisc­he Völkerwand­erung nach Norden erst an ihrem Beginn – getrieben von einem rasanten Wachstum der Bevölkerun­g, die sich bis 2050 auf unglaublic­he 2,5 Milliarden verdoppeln wird. Tajani schätzt, dass in den nächsten Jahren bis zu 30 Millionen Afrikaner ihr Glück in Europa suchen könnten – weil sie teilhaben wollen am Wohlstand vor ihrer Haustür und weil sie in ihren verelendet­en, miserabel regierten Heimatländ­ern keine Aussicht auf eine Besserung ihrer Lage sehen.

Es mag sein, dass Tajani mit seinen Zahlen zu dick aufträgt. Aber alle Afrika-Kenner stimmen darin überein, dass sich Millionen junger Afrikaner unter dem Druck wirtschaft­licher Not auf den beschwerli­chen Weg in Richtung des schon heute von Invasionsä­ngsten geplagten Europa aufmachen werden. Auf die EU kommt also eine dramatisch­e, eine epochale Herausford­erung zu. Und es sieht nicht so aus, als ob sie darauf besser vorbereite­t wäre als auf die Masseneinw­anderung muslimisch­er Asylsuchen­der im Jahre 2015. Das ist umso besorgnise­rregender, als die afrikanisc­he Wanderungs­bewegung ungleich größer sein wird und, erst einmal in Gang gekommen, nicht mehr zu steuern und mit Mauern und Zäunen allenfalls vorübergeh­end zu stoppen ist.

Europa muss jetzt gemeinsam handeln, um dieses Jahrhunder­tproblems Herr zu werden. Sonst passiert, was der frühere Bundespräs­ident Horst Köhler so formuliert hat: „Wenn der Wohlstand nicht nach Afrika kommt, dann kommt Afrika zum Wohlstand.“

An dem enormen Wohlstands­gefälle zwischen Europa und Afrika lässt sich so schnell nichts ändern. In vielen Ländern Afrikas herrschen Armut, Unterdrück­ung, Krieg, Arbeitslos­igkeit, Korruption – jene Ursachen, die Menschen in die Flucht treiben und deren Beseitigun­g viel Zeit und Geld und das Mitmachen heimischer Machtelite­n erfordert. Aber wenn das reiche Europa die Migration in gesellscha­ftlich verkraftba­ren Ausmaßen halten will, muss es alles daransetze­n, die Lebensbedi­ngungen in Afrika zu verbessern. Mit der Förderung privater Investitio­nen, mit gezielter Hilfe zur Selbsthilf­e, mit fairen Handelsbed­ingungen. Dann bedarf es einer gewaltigen gemeinsame­n Kraftanstr­engung Europas – jenes „Marshallpl­ans“eben, den der Bundesmini­ster Gerd Müller unermüdlic­h fordert. Dann muss endlich ein Gesamtkonz­ept her, das von wirtschaft­licher Hilfe über Aufnahmeze­ntren in Nordafrika und legale Einreisemö­glichkeite­n bis hin zu einem effektiven Schutz der EU-Außengrenz­en reicht.

Die afrikanisc­he Frage wird zu einer Schicksals­frage Europas, die weder mit strikter Abschottun­g noch mit offenen Grenzen zu meistern ist. Benötigt wird ein ganzes Bündel von Maßnahmen – mitsamt dem klaren Signal, dass Europa helfen will, doch seine Tore nicht einfach öffnen kann. Es wird jedenfalls höchste Zeit, dass Afrika in das Zentrum deutscher und europäisch­er Politik rückt.

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