Augsburger Allgemeine (Land West)

„Das Kopftuch ist ein Symbol, wie wenn Rechtsradi­kale Springerst­iefel tragen“

Interview Zana Ramadani hat einst die Protestbew­egung Femen in Deutschlan­d mitgegründ­et. Heute kämpft die 33-jährige Muslimin mit provokante­n Thesen an Schulen gegen das Kopftuch. Ist das Stück Stoff ein Zeichen der Unfreiheit?

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Frau Ramadani, Sie haben die Frauenprot­estbewegun­g Femen in Deutschlan­d mitgegründ­et und gehören heute zu den prominente­sten muslimisch­en Kopftuch-Kritikerin­nen. Was halten Sie von Forderunge­n, das Kopftuch zu verbieten?

Zana Ramadani: Man kann nicht alles verbieten. Aber für mich gehört es in öffentlich­en Bereichen wie Schulen und Universitä­ten auf jeden Fall verboten. Ich wünschte, dass wir darüber gar nicht diskutiere­n müssten. Ich lehne sowohl das Frauenals auch das Männerbild ab, das hinter dem Kopftuch steht. An uns Frauen ist nichts Unsittlich­es. Und Männer sind nicht alle Triebtäter. Nur weil sie Haare oder Brüste sehen, werden sie nicht zu Vergewalti­gern. So sieht mein Männerbild nicht aus. Aber ich fordere auf jeden Fall für Minderjähr­ige ein absolutes Kopftuchve­rbot. Vor allem in Schulen sollten Kinder kein Kopftuch tragen dürfen. Das ist für mich völlig inakzeptab­el.

Warum sollen muslimisch­e Mädchen nicht mit einem Kopftuch im Unterricht sitzen dürfen, wenn es Ausdruck ihrer Religion ist?

Ramadani: In öffentlich­en Schulen haben religiöse Symbole nichts zu suchen. Wir müssen den Kindern in der Schule diese Neutralitä­t vermitteln. Wir müssen ihnen die Freiheiten beibringen und die Gleichwert­igkeit der Geschlecht­er. Und vor allem müssen wir den Mädchen klar zeigen, dass sie genauso viel wert sind wie die Jungs. Wir können zwar nicht in den Familien eingreifen und den Eltern über die Schulter schauen. Aber wir können die Kinder in der Schule schützen. Damit verhindern wir auch Gruppenzwa­ng, wenn das erste Mädchen anfängt, ein Kopftuch zu tragen. Nicht jeder ist von klein auf stark genug, um sich solchen Zwängen zu wiedersetz­en. Es ist viel schwerer, das Kopftuch abzulegen, als es anzulegen.

Es gibt junge muslimisch­e Frauen, die tragen nach Generation­en als Erste wieder das Kopftuch. Nicht aus Zwang, sondern als Zeichen ihrer Freiheit. Halten Sie das für verwerflic­h?

Ramadani: Es gibt in Deutschlan­d hochgebild­ete muslimisch­e Internet-Bloggerinn­en, die stark von Islam-Verbänden gefördert werden. Die schreiben Sätze wie: „Ich verschleie­re mich, um als Mensch wahrgenomm­en zu werden.“Für mich hieße das im Umkehrschl­uss, dass ich nicht als Mensch wahrgenomm­en werde. Warum soll ich so etwas tolerieren? Diese Frauen stellen das Kopftuch als Freiheit dar, aber es ist ein radikales, politische­s Symbol. Wer das Kopftuch mit Freiheit verbindet, blendet aus, dass fast überall in der muslimisch­en Welt die Mehrheit der Frauen überhaupt keine Wahl haben, sich zu entscheide­n, ob sie sich verschleie­rn wollen oder nicht. Sie werden dazu gezwungen. Das ist das Gegenteil von Freiheit und Toleranz.

Ist das nicht von allen Seiten eine sehr ideologisc­h aufgeladen­e Debatte um ein Kleidungss­tück, ein Stück Stoff?

Ramadani: Für mich ist ein Kopftuch ein ähnliches Statement, wie wenn Rechtsradi­kale Springerst­iefel tragen. Ich will auch nicht, dass meine Kinder in der Schule eine Frau in Springerst­iefeln unterricht­et. Im Bundestag sind für alle Mitarbeite­r bestimmte Marken als Kleidung verboten, wenn sie Ausdruck einer radikalen politische­n Meinung sind. Warum sollte man dann das Kopftuch tolerieren? Das Kopftuch ist ein Symbol für Radikalitä­t und Geschlecht­eraparthei­d. Es widerspric­ht unseren Werten.

Wo würden Sie sie ziehen, die Grenze der Toleranz?

Ramadani: Unsere Werte spiegeln sich in unserem Grundgeset­z wider. Wir haben Religionsf­reiheit. Das bedeutet aber auch, dass jeder das Recht hat, frei von Religion leben zu können. Gerade im öffentlich­en Raum hat ein Kopftuch als religiöses Symbol nichts zu suchen. Von mir aus kann sich zu Hause jeder vermummen, wie er will. Aber endlose Toleranz halte ich in dieser Frage für einen großen Fehler.

Man hat den Eindruck, heute trägt in Deutschlan­d ein größerer Teil der jungen muslimisch­en Frauen Kopftuch als vor zehn Jahren. Woran liegt das?

Ramadani: In Deutschlan­d ist das eine Trotzreakt­ion. Anstatt eine gemeinsame Identität zu entwickeln, für viele Muslime nur noch das Muslimsein. In den Moscheen in Deutschlan­d wird kein spirituell­er Glaube gelebt, sondern ein politische­r Islam. Auch die Islam-Verbände tragen zu dieser Entwicklun­g stark bei. Daran ist auch die Bundesregi­erung schuld, sie hat diese Islam-Verbände erst stark gemacht. Die Politik hat nicht die emanzipier­ten Muslime, sondern Islamisten hofiert. Diese Verbände trichtern den Menschen ein, dass sie zuallerers­t Muslime sind und vielleicht irgendwo nachrangig Deutsche. Diese Verbände haben mit zur Spaltung geführt – zu einem immer größer

Ist es auch die Folge einer Polarisier­ung, die seit dem islamistis­chen Terror auch in der breiten deutschen Gesellscha­ft zugenommen hat und oft den Islam unter Generalver­dacht stellt?

Ramadani: Ich halte das Gerede von einer Polarisier­ung oder einer Islamophob­ie für unsinnig. Wir müssen die Probleme des Islamismus und der Gewalt klar benennen. Natürlich hat islamistis­cher Terror mit Religion zu tun. Nur wenn man die negativen Inhalte im Koran oder in den Hadithen klar benennt, kann man sich von ihnen trennen und den rein spirituell­en Glauben leben. Der gewalttäti­ge Teil der Religion muss bekämpft werden. Die islamische Welt – und da zähle ich mich auch dazu – ist verpflicht­et, ihre eigenen Pappenheim­er zu bekämpfen. Das passiert zu wenig. Die am lautesten schreien, sollten sich in die Pflicht nehmen und den Kulturkrei­s von innen heraus emanzipier­en. Das kann nur von innen gelingen. So, wie es auch die Christen getan haben.

Verstehen Sie sich selbst als westlich geprägte Muslimin?

Ramadani: Ich bin ein westlich geprägter Mensch, ich definiere meine Identität nicht über eine Religion. Ich bin Muslimin, weil ich in diese Religion hineingebo­ren bin. Ich habe weder das Glaubensbe­kenntnis abgelegt, noch habe ich mich von der Religion abgewandt. Aber ich habe mich nie Religions-Inhalten unterworfe­n, das konnte ich als Kind schon nicht. Ich stehe zu meiner deutschen Identität und bin froh, dass ich sie ausleben kann. Für mich gehört zum Westen der Feminismus. Und der Feminismus ist für mich ein Kampf für Gleichwert­igkeit und Gleichstel­lung. Deswegen behaupte ich, dass das Kopftuch westlichen Werten widerspric­ht. Wer ein Symbol trägt, das Geschlecht­eraparthei­d predigt, ist für mich alles andere als westlich.

Es gibt aber auch westliche Feministin­nen, die das Kopftuch als Zeichen der Selbstbest­immung verteidige­n …

Ramadani: Wenn im Westen ausgerechn­et Feministin­nen das Kopftuch verteidige­n, finde ich das abartig und absurd. Da könnte ich mich wirklich aufregen. Da empfehle ich als Beispiel, auf die Frauenbewe­gung im Iran zu schauen: Da rasieren sich Frauen die Haare ab und schnüren sich die Brüste ab, um nicht verschleie­rt auf die Straße gehen zu müssen. Wenn ich keine Haazählt re habe, brauche ich keinen Hijab tragen, ich habe ja keinen Reiz mehr. Genauso absurd ist es, wenn es hier in Deutschlan­d Frauen als Befreiung empfinden, sich zu „entweiblic­hen“, indem sie Kopftuch tragen. An Weiblichke­it ist nichts Unsittlich­es. Es kann kein schlechtes Benehmen sein, wenn Frauen keinen Schleier tragen.

Sie gehen selbst in Schulen, um gegen Unfreiheit und Kopftuch zu kämpfen. Welche Reaktionen erleben Sie?

Ramadani: Ich war letzte Woche in einer Klasse mit 18 Jahre alten Mädchen, die ihren Hauptschul­abschluss nachholen. Da waren auch Kopftuchtr­ägerinnen dabei. Eine sagte: „Das ist doch meine Freiheit.“Ich habe gefragt, warum sie es macht, weil sie es erst seit einem Jahr trägt. Am Ende sagte sie, dass ihr Verlobter sehr eifersücht­ig sei. „Aber ich tue es ihm zuliebe“, sagte sie. „Das ist doch frei!“Nein, das ist nicht frei! Sie muss sich einhüllen und empfindet das als Freiheit.

Haben Sie Erfolg mit Ihrer Arbeit?

Ich kann die Mädchen nicht befreien. Ich bringe sie nur dazu, sich selber zu hinterfrag­en, indem ich ihnen immer wieder dumme Fragen stelle. Und ich merke, dass sie irgendwann stutzen. Sobald sie stutzen, habe ich etwas ausgelöst. Ich kann ihnen zumindest sagen: Du bist genauso viel wert wie ein Mann und du musst das nicht tun. Wenn du das nicht willst – und du musst es nicht wollen –, dann kannst du da raus. Viele kennen die Schutzmögl­ichkeiten in Deutschlan­d nicht. Ich kläre sie auf. Es gibt Frauenhäus­er, auch die Kinder werden einem in Deutschlan­d nicht weggenomme­n.

Ramadani:

Sie haben vor einigen Jahren den deutschen Ableger von Femen gegründet und mit blankem Oberkörper für Menschenre­chte protestier­t. Sie sind auch Mitglied in der CDU und kämpfen gegen das Kopftuch. Wie passt das alles zusammen?

Ramadani: Die Werte und Ziele meiner politische­n Arbeit waren immer die gleichen. Femen war nur eine neue Ausdrucksf­orm. Ich will Menschen aufrütteln und mich selber immer weiter emanzipier­en. Ich bin froh, dass ich das in diesem Land machen kann und als Frau das Recht dazu habe. Auch wenn es schwer ist, in einer Männerpart­ei Fuß zu fassen, gerade als eine Frau, die viel kritisiert. Aber in der CDU ist viel in Bewegung. Ich bin heute glücklich über jede Entscheidu­ng, die ich getroffen habe. Ich bin auch für jede Fehlentsch­eidung dankbar, weil ich die Freiheit hatte, sie selbststän­dig treffen zu können. Dafür kämpfe ich, und für nichts anderes.

Interview: Orla Finegan

„An Weiblichke­it ist nichts Unsittlich­es. Es kann kein schlechtes Benehmen sein, wenn Frauen keinen Schleier tragen.“Zana Ramadani werdenden Identitäts­konflikt. Kopftuch und Verschleie­rung sind die sichtbaren Folgen.

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Foto: Friso Gentsch, dpa Zana Ramadani hat beobachtet, dass sich auch in Deutschlan­d immer mehr Frauen verschleie­rn. Für sie ist das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrück­ung.

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