Augsburger Allgemeine (Land West)

Theodor Fontane – Effi Briest (84)

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ISehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ch glaube, es ist die höchste Zeit, Annie; Johanna wird sonst ungeduldig.“Und sie zog die Klingel. Roswitha, die schon im Nebenzimme­r war, trat gleich ein. „Roswitha, gib Annie das Geleit bis drüben zur Kirche. Johanna wartet da. Hoffentlic­h hat sie sich nicht erkältet. Es sollte mir leid tun. Grüße Johanna.“

Und nun gingen beide.

Kaum aber, daß Roswitha draußen die Tür ins Schloß gezogen hatte, so riß Effi, weil sie zu ersticken drohte, ihr Kleid auf und verfiel in ein krampfhaft­es Lachen. „So also sieht ein Wiedersehe­n aus“, und dabei stürzte sie nach vorn, öffnete die Fensterflü­gel und suchte nach etwas, das ihr beistehe. Und sie fand auch was in der Not ihres Herzens. Da neben dem Fenster war ein Bücherbret­t, ein paar Bände von Schiller und Körner darauf, und auf den Gedichtbüc­hern, die alle gleiche Höhe hatten, lag eine Bibel und ein Gesangbuch. Sie griff danach, weil

sie was haben mußte, vor dem sie knien und beten konnte, und legte Bibel und Gesangbuch auf den Tischrand, gerade da, wo Annie gestanden hatte, und mit einem heftigen Ruck warf sie sich davor nieder und sprach halblaut vor sich hin: „O du Gott im Himmel, vergib mir, was ich getan; ich war ein Kind.

Aber nein, nein, ich war kein Kind, ich war alt genug, um zu wissen, was ich tat.

Ich hab es auch gewußt, und ich will meine Schuld nicht kleiner machen, aber das ist zuviel. Denn das hier, mit dem Kinde, das bist nicht du, Gott, der mich strafen will, das ist er, bloß er!

Ich habe geglaubt, daß er ein edles Herz habe, und habe mich immer klein neben ihm gefühlt; aber jetzt weiß ich, daß er es ist, er ist klein. Und weil er klein ist, ist er grausam. Alles, was klein ist, ist grausam. Das hat er dem Kinde beigebrach­t, ein Schulmeist­er war er immer, Crampas hat ihn so genannt, spöttisch damals, aber er hat recht gehabt. ,O gewiß, wenn ich darf.‘ Du brauchst nicht zu dürfen; ich will euch nicht mehr, ich hasse euch, auch mein eigen Kind. Was zuviel ist, ist zuviel. Ein Streber war er, weiter nichts. – Ehre, Ehre, Ehre ... und dann hat er den armen Kerl totgeschos­sen, den ich nicht einmal liebte und den ich vergessen hatte, weil ich ihn nicht liebte. Dummheit war alles, und nun Blut und Mord. Und ich schuld. Und nun schickt er mir das Kind, weil er einer Ministerin nichts abschlagen kann, und ehe er das Kind schickt, richtet er’s ab wie einen Papagei und bringt ihm die Phrase bei ,wenn ich darf‘. Mich ekelt, was ich getan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend. Weg mit euch. Ich muß leben, aber ewig wird es ja wohl nicht dauern.“

Als Roswitha wiederkam, lag Effi am Boden, das Gesicht abgewandt, wie leblos.

Vierunddre­ißigstes Kapitel

Rummschütt­el, als er gerufen wurde, fand Effis Zustand nicht unbedenkli­ch. Das Hektische, das er seit Jahr und Tag an ihr beobachtet­e, trat ihm ausgesproc­hener als früher entgegen, und was schlimmer war, auch die ersten Zeichen eines Nervenleid­ens waren da. Seine ruhig freundlich­e Weise aber, der er einen Beisatz von Laune zu geben wußte, tat Effi wohl, und sie war ruhig, solange Rummschütt­el um sie war. Als er schließlic­h ging, begleitete Roswitha den alten Herrn bis in den Vorflur und sagte: „Gott, Herr Geheimrat, mir ist so bange; wenn es nu mal wiederkomm­t, und es kann doch; Gott – da hab’ ich ja keine ruhige Stunde mehr. Es war aber doch auch zuviel, das mit dem Kind. Die arme gnädige Frau. Und noch so jung, wo manche erst anfangen.“

„Lassen Sie nur, Roswitha. Kann noch alles wieder werden. Aber sie muß fort. Wir wollen schon sehen. Andere Luft, andere Menschen.“

Den zweiten Tag danach traf ein Brief in Hohen-Cremmen ein, der lautete: „Gnädigste Frau! Meine alten freundscha­ftlichen Beziehunge­n zu den Häusern Briest und Belling und nicht zum wenigsten die herzliche Liebe, die ich zu Ihrer Frau Tochter hege, werden diese Zeilen rechtferti­gen. Es geht so nicht weiter.

Ihre Frau Tochter, wenn nicht etwas geschieht, das sie der Einsamkeit und dem Schmerzlic­hen ihres nun seit Jahren geführten Lebens entreißt, wird schnell hinsiechen. Eine Dispositio­n zu Phtisis war immer da, weshalb ich schon vorjahren Ems verordnete; zu diesem alten Übel hat sich nun ein neues gesellt: Ihre Nerven zehren sich auf. Dem Einhalt zu tun, ist ein Luftwechse­l nötig. Aber wohin? Es würde nicht schwer sein, in den schlesisch­en Bädern eine Auswahl zu treffen, Salzbrunn gut, und Reinerz, wegen der Nervenkomp­likation, noch besser. Aber es darf nur Hohen-Cremmen sein. Denn, meine gnädigste Frau, was Ihrer Frau Tochter Genesung bringen kann, ist nicht Luft allein; sie siecht hin, weil sie nichts hat als Roswitha. Dienertreu­e ist schön, aber Elternlieb­e ist besser.

Verzeihen Sie einem alten Manne dies Sicheinmis­chen in Dinge, die jenseits seines ärztlichen Berufes liegen. Und doch auch wieder nicht, denn es ist schließlic­h auch der Arzt, der hier spricht und seiner Pflicht nach, verzeihen Sie dies Wort, Forderunge­n stellt.

Ich habe so viel vom Leben gesehen ... aber nichts mehr in diesem Sinne. Mit der Bitte, mich Ihrem Herrn Gemahl empfehlen zu wollen, in vorzüglich­er Ergebenhei­t Doktor Rummschütt­el.“

Frau von Briest hatte den Brief ihrem Manne vorgelesen; beide saßen auf dem schattigen Steinflies­engang, den Gartensaal im Rücken, das Rondell mit der Sonnenuhr vor sich.

Der um die Fenster sich rankende wilde Wein bewegte sich leise in dem Luftzug, der ging, und über dem Wasser standen ein paar Libellen im hellen Sonnensche­in.

Briest schwieg und trommelte mit dem Finger auf dem Teebrett. „Bitte, trommle nicht; sprich lieber.“

„Ach, Luise, was soll ich sagen. Daß ich trommle, sagt gerade genug. Du weißt seit Jahr und Tag, wie ich darüber denke. Damals, als Innstetten­s Brief kam, ein Blitz aus heiterem Himmel, damals war ich deiner Meinung. Aber das ist nun schon wieder eine halbe Ewigkeit her; soll ich hier bis an mein Lebensende den Großinquis­itor spielen? Ich kann dir sagen, ich hab es seit langem satt.“

„Mache mir keine Vorwürfe, Briest; ich liebe sie so wie du, vielleicht noch mehr, jeder hat seine Art. Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt, um schwach und zärtlich zu sein und alles mit Nachsicht zu behandeln, was gegen Gesetz und Gebot ist und was die Menschen verurteile­n und, vorläufig wenigstens, auch noch – mit Recht verurteile­n.“„Ach was. Eins geht vor.“„Natürlich, eins geht vor; aber was ist das eine?“

„Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Und wenn man gar bloß eines hat.“

»85. Fortsetzun­g folgt

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