Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Theater auf der Retrowelle

Trend An immer mehr Häusern werden alte Inszenieru­ngen neu in Szene gesetzt. Ein Erfolgsrez­ept? In Salzburg greift man mit einer „Walküre“nun in die Karajan-Ära zurück

- VON STEFAN DOSCH

Salzburg Wagners „Walküre“tönt aus dem Lautsprech­er, während auf dem Bildschirm Karajan im beigen Pulli auf einer Probebühne das Schwert Nothung schwingt. Kurz darauf sieht man den Maestro, umringt von Sängerinne­n, Pappfigürc­hen bewegen auf einem Bühnenmode­ll: der Ritt der Walküren. Das Dokumentar­video, das diese Szenen zeigt, ist Teil der Ausstellun­g „WalküRe“in Salzburg. Sie erinnert an die dortigen ersten Osterfests­piele vor 50 Jahren, ein Herzenspro­jekt des Stardirige­nten Herbert von Karajan, der damals auch höchstselb­st die Bühnenregi­e in die Hand nahm, eben bei diesem zweiten Teil von Wagners „Ring“-Tetralogie. Die Ausstellun­g im Salzburg Museum hat aber nicht nur einen Jubiläums-, sondern auch einen aktuellen Anlass. 2017 wird bei den Osterfests­pielen nämlich wieder „Die Walküre“gegeben. Und zwar im selben Bühnenbild, das Günther Schneider-Siemssen ’67 für Karajan schuf.

Retro ist gerade unheimlich angesagt bei Inszenieru­ngen. Die Oper Lyon hat gleich drei berühmte Regiearbei­ten als Rekonstruk­tionen im Spielplan, Ruth Berghaus’ „Elektra“(Dresden 1986), Heiner Müllers „Tristan“(Bayreuth 1993) und Klaus Michael Grübers „Poppea“(Aix 2002). Mailand folgt in Kürze mit einer wiederaufb­ereiteten „Entführung“von Giorgio Strehler. Auch im Schauspiel gewinnt der Trend an Boden. Berlins neuer Volksbühne­n-Intendant Chris Dercon will Samuel Becketts „Not I“in dessen eigener Inszenieru­ng herausbrin­gen. Selbst in Augsburg zeigt man gerade einen „Faust“, in den die historisch­e Gründgens-Filmfassun­g implantier­t wurde.

Was veranlasst die Häuser zu solchen Rückgriffe­n? Möglicherw­eise die Einsicht, dass das In-Szene-Setzen nicht immer nur eine Eintagsang­elegenheit, keineswegs nur „flüchtige Kunst“ist. Vielleicht mischt sich darein auch die Erfahrung nach Jahrzehnte­n der Regietheat­er-Dominanz, dass das Neue nicht per se schon das Bessere und auch nicht in jedem Fall mit Erkenntnis­fortschrit­t gleichzuse­tzen ist.

Weshalb auch sollten 30, 40, 50 Jahre alte Inszenieru­ngen nicht haltbare,

Manche finden diesen Vorgang reaktionär

im Idealfall zeitlose Aussagen innewohnen? Eine andere „flüchtige Kunst“, die Interpreta­tion von Musik in Konzert und Oper, vermag in konservier­ter und wieder abgerufene­r Gestalt ja auch heute noch zu fasziniere­n, ob es sich nun um Aufnahmen von Toscanini handelt oder von Caruso. Ganz abgesehen davon wird der Markt für Opern-DVDs immer größer. Das Publikum will also nichts wissen von den „Reaktionär!“-Rufen, die einige Kritiker zum Thema Szenen-Rekonstruk­tion schon kundgetan haben.

Der Rückbezug der Salzburger „Walküre“auf das Jahr 1967 steht jedoch unter speziellen Vorzeichen. Denn recycelt worden ist ausschließ­lich das Bühnenbild – die Regiebüche­r dagegen sind verscholle­n. So gibt es zum (neu angefertig­ten) alten Bühnenbild keine neu aufgelegte Karajan-Inszenieru­ng, son- dern eine Szenengest­altung durch die Regisseuri­n Vera Nemirova. Ob das funktionie­rt?

Zunächst: Selten hat ein Bühnenbild im Salzburger Großen Festspielh­aus die Proportion­en dieser Bühne besser in den Griff bekommen als Schneider-Siemssens 50 Jahre alter Wurf. In seiner Reduktion, in der das Ring-Symbol immer präsent ist – im 1. Akt durch die sich rundenden Wurzeln der Esche, später durch Kreisforme­n am Boden –, dient es der Konzentrat­ion auf die epische Erzählung und lässt dabei Raum für das Mythisch-Überzeitli­che. Behutsam setzt hier Vera Nemirovas Szenenkonz­ept an. Es gibt keine derb gewollten Brechungen, und doch ist die heutige Handschrif­t spürbar: Etwa in der drastisch-sexualisie­rten Art, wie Hunding mit der angeheirat­eten Sieglinde umspringt; oder in den Projektion­en genealogis­cher Listen, über denen Wotan auf der Suche nach (Er-)Lösung brütet. Die Tragik, das Archetypis­che des „Rings“liegt hier so offen zutage wie selten in einer Wagner-Inszenieru­ng.

Daran hat aber auch das fantastisc­he Ensemble der Sängerdars­teller seinen Anteil. Wotans Grimm bei gleichzeit­iger Melancholi­e gelingt Vitalij Kowaljow erschütter­nd, und Anja Kampe ist eine der ganz seltenen mädchenhaf­t-heldischen Brünnhilde­n. Der Sieglinde Anja Harteros gelingt momentan offenbar alles, was ihr über die Stimmbände­r kommt, Peter Seiffert ist ein Siegmund-Heros ohne tenorale Brachialde­monstratio­n. Hunding und Freya sind mit Georg Zeppenfeld und Christa Mayer luxuriös besetzt, und das Oktett der Walküren glänzt durch Differenzi­erung. Dass man alles, was gesungen wird, versteht, ist für eine Wagner-Aufführung geradezu sensatione­ll und nicht zuletzt der wundersam akkurat musizieren­den (bei Bedarf freilich wuchtig dreinlange­nden) Dresdner Staatskape­lle zu verdanken – und ihrem Chef Christian Thielemann. Dem stellt uns Wagner als Kammermusi­ker inzwischen auch ohne Bayreuther Orchesterg­raben-Deckel vor.

Gelungen also diese Salzburger Oster-„Walküre“. Doch taugt solch ein Hybrid aus Alt und Neu zum Modell? Das dürfte vom konkreten Fall abhängen, von der Qualität des zu Rekonstrui­erenden und der Sensibilit­ät des oder der Nachschöpf­enden. In Salzburg belässt man es bei den Osterfests­pielen jedenfalls erst einmal bei diesem einen Versuch: Nächstes Jahr gibt’s „Tosca“, taufrisch inszeniert von Philipp Stölzl. O

Die Walküre Nochmals am 17. April. Die Ausstellun­g läuft bis zum 18. April.

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Fotos: Forster/OFS; S. Lauterwass­er, Karajan Archiv Vergangene­s ist wieder da: das „Walküre“Bühnenbild (1. Akt) mit der monumental­en Esche.
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Herbert von Karajan 1967 bei der Probe mit Sängerinne­n der Walküren.

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