Augsburger Allgemeine (Land West)

Zum Abschied ein Bolero

Beim Augsburger Ballett endet eine Ära

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Augsburg Wohlwissen­d, dass dieser Begriff für die großen Nachbarn aus Stuttgart geprägt wurde, kann man auch in Augsburg von einem kleinen „Ballettwun­der“sprechen, das sich in den letzten zehn Jahren hier ereignete. Unter der Leitung von Robert Conn erhielt die Sparte durch die Verpflicht­ung bedeutende­r Gastchoreo­grafen und die zunehmende Qualität der Compagnie ein starkes Profil und überregion­ale Beachtung. An den Zuschauerz­ahlen war dies ebenso abzulesen wie an der Bereitscha­ft großer Choreograf­en, mit ihren Werken nach Augsburg zu kommen. Mit dem Intendante­nwechsel verlässt Robert Conn das Haus nun zum Ende der Spielzeit, ebenso ein Großteil der Tänzer. Der Ballettabe­nd „Carmen/Bolero“, der am Freitag Premiere im Kongress am Park hatte, markiert somit den Schlusspun­kt einer Ära.

Riccardo De Nigris, einer der herausrage­nden Tänzer im Ensemble, hat in den letzten Jahren immer wieder sein Talent als Choreograf bewiesen. Ravels „Bolero“interpreti­ert der Italiener nicht als erotischen Rausch, wie es seit der Uraufführu­ng des Balletts Brauch ist. Stattdesse­n setzt er sich mit der Selbstverl­iebtheit und dem Fitnesskul­t unserer Zeit auseinande­r. Entspreche­nd Ravels musikalisc­hem Crescendo bewegt sich ein Tänzer auf dem Laufband in immer größerer Geschwindi­gkeit, während das Ensemble die Gesellscha­ft verkörpert, aus der heraus der Einzelne seine persönlich­e Freiheit und Individual­ität sucht. Allerdings fällt die Arbeit in zwei Teile, denn De Nigris stellt dem „Bolero“eine Soundcolla­ge voran, für die er letztlich eine dynamische­re und spannender­e Bewegungss­prache gefunden hat als für den „Bolero“. Zusammenge­halten wird das Stück durch das Bühnenbild des Augsburger Künstlers Felix Weinold, der die Gesellscha­ft in ihrer Selbstbezo­genheit in einen Käfig steckt. Zur Augsburger Produktion durch und durch wird dieses Stück durch Katharina Diebold, die Kostümdire­ktorin des Hauses, die knallbunte, die Details von Sportkleid­ung aufnehmend­e Kostüme entwarf.

Ganz und gar schlüssig und überzeugen­d der zweite Teil des Abends, „Carmen“von Valentina Turcu: außergewöh­nlich in der musikalisc­hen Transkript­ion Rodion Schtschedr­ins für Streicher und Schlagwerk, raffiniert in den Kostümen und dem wandlungsf­ähigen Bühnenbild mit vier Tischen, souverän in den Solistenle­istungen. Die Aufmerksam­keit beherrscht die fasziniere­nde Eveline Drummen, die drei Männer verführt, gegeneinan­der ausspielt, zurückweis­t und ihren Kampf um Unabhängig­keit mit dem Leben bezahlt. Ebenbürtig sind Tamás Darai als Don José, Riccardo De Nigris als Toreador und Robert Conn als Zuniga, der in dieser Produktion nach 14 Jahren selbst wieder tanzt. Großer Jubel zum Schluss – und Wehmut auf beiden Seiten der Rampe. O Wieder am 12., 15. und 27. April

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Foto: Nik Schölzel Riccardo De Nigris und Eveline Drum men in „Carmen“.

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