Augsburger Allgemeine (Land West)
Gemälde mit tausend Gesichtern
Ausstellung Künstlerin Anne Mayr belebt das Rathausfoyer in Stadtbergen mit Farben und Fabelwesen. Wer die Bilder mit den unzähligen Details anschauen will, sollte Zeit mitbringen
Stadtbergen Wer die grotesken Szenenwerke von Salvador Dalí, Hieronymus Bosch oder Otto Dix zu schätzen weiß, wird von der neuen Bildergalerie im Stadtberger Rathausfoyer regelrecht begeistert sein. Die Augsburger Malerin Anne Mayr vereint die surrealen Handschriften aller dieser Künstler, und dennoch gelingt ihr das große Kunststück, durch neue Stilformen ganz eigenständige Schöpfungen zu entfesseln. Und man sollte beim Besuch der Ausstellung sehr viel Zeit mitbringen, denn nicht nur die Fülle an Bildern ist bemerkenswert, sondern vor allem die unzähligen Miniaturen und Details, welche die Gemälde zu Narrenspiegeln mit Abertausenden Gesichtern machen.
Manche Exponate erinnern an die bunten Wimmelbilder von Ali Mitgtusch oder die metaphorischen Massenszenen von Pieter Bruegel, doch Anne Mayrs Darstellungen gehen weiter und sind meist auch sehr viel verstörender. In der finsteren Unterwasserwelt von „Subkultur“scheinen Boschs Höllenkreaturen wieder auferstanden zu sein und mit toten Augen auf unvorsichtige Besucher zu warten, im Diptychon „Zwei Welten“lauern in trügerischer Stille unterirdische Vampirfledermäuse den oben vorbeilaufenden Menschen auf.
Von bunter Fröhlichkeit ist das Werk „Soziale Plastik“gekennzeichnet – allerdings nur auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtung tut sich ein gewaltiges Kabinett an Detailszenen auf, die einer gewissen Verspieltheit nicht entbehren, letztendlich aber so verstörend wie ein launenhafter Nachtmahr sind. Und es dauert seine Zeit, bis man sämtliche Feinheiten dieser surrealen Szenerie mit Augen und Verstand in sich aufgesogen hat. Was mögen wohl die beiden entrückten Zauberer symbolisieren, die wie im Drogenrausch auf einem knochigen Fahrrad durch die Straße fahren, vorbei an gekrönten Schweinekönigen, bizarren Traumgestalten und magischen Schlüssellöchern? Und wer entdeckt als Erster den aufgehängten Mann oder den unheimlichen Beobachter hinter der Flügeltür?
Anne Mayr gelingt es, den Betrachter immer wieder in die Irre zu führen, traumhafte wie auch alptraumhafte Zerrbilder seiner eigenen Seele zu offenbaren und ein Tor zu einem kolossalen Spiegelkabinett der Sinne aufzustoßen. Surreale Symbolkraft und maskenhafte Metaphorik bilden die Hauptsäulen ihrer Werke, und so manche der Gestalten scheinen sich sogar heimlich von Bild zu Bild zu stehlen: Immer wieder hat der tragische Harlekin seine grotesken Auftritte, immer wieder schleichen sich zynische Karikaturen von Affen, Eulen oder Schweinen durch die einzelnen Sujets. „Dass wir Tiernamen benutzen, um Menschen zu beschimpfen, halte ich für fragwürdig“, erklärt die Künstlerin. „Zur Wiedergutmachung müssen in manchen Bildern nun die Menschen anderen Tieren dienen.“
Doch noch etwas anderes macht diese fantastischen Illustrationen zu etwas Einzigartigem: Während bei anderen Künstlern natürlich auch die Farbe eine gewisse Rolle spielt, blickt Anne Mayr ein gutes Stück weiter über den Horizont der Koloraturen hinaus. Bei ihr wird die Buntheit selbst zum eigenständigen Protagonisten und es ist erstaunlich, wie ein einziges Gemälde eine derartige Vielzahl an stechenden Farben aufweisen kann, ohne dass diese sich gegenseitig in ihrer Ausdruckskraft stören. Selbst Schatten und Dunkelheit werden zu individuellen Erzählern und verleihen vermeintlich harmlosen Szenen einen gruseligen Beigeschmack – wie etwa im Gemälde „Nachtaktiv“.
Moderne Kunst ist Ansichtssache, doch im Gegensatz zum minimalistischen Stil des Informel, der mit wenigen Farbstrichen zu überzeugen versucht, ist hier deutlich zu sehen, welcher enorme Arbeitsaufwand hinter Anne Mayrs Kunstwerken steht. Diese Ausstellung macht Spaß und wer sie ein zweites Mal besuchen will, wird sicherlich wieder ganz neue, unerwartete Dinge in den Gemälden entdecken. O
Öffnungszeiten Anne Mayrs Ausstel lung „Fortbewegungsversuche“ist noch bis zum 12. Mai in Stadtbergen zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 8.30 bis 12 Uhr, Mittwoch von 7.30 bis 12 Uhr und 14 bis 18 Uhr.