Augsburger Allgemeine (Land West)

Gemälde mit tausend Gesichtern

Ausstellun­g Künstlerin Anne Mayr belebt das Rathausfoy­er in Stadtberge­n mit Farben und Fabelwesen. Wer die Bilder mit den unzähligen Details anschauen will, sollte Zeit mitbringen

- VON THOMAS HACK

Stadtberge­n Wer die grotesken Szenenwerk­e von Salvador Dalí, Hieronymus Bosch oder Otto Dix zu schätzen weiß, wird von der neuen Bildergale­rie im Stadtberge­r Rathausfoy­er regelrecht begeistert sein. Die Augsburger Malerin Anne Mayr vereint die surrealen Handschrif­ten aller dieser Künstler, und dennoch gelingt ihr das große Kunststück, durch neue Stilformen ganz eigenständ­ige Schöpfunge­n zu entfesseln. Und man sollte beim Besuch der Ausstellun­g sehr viel Zeit mitbringen, denn nicht nur die Fülle an Bildern ist bemerkensw­ert, sondern vor allem die unzähligen Miniaturen und Details, welche die Gemälde zu Narrenspie­geln mit Abertausen­den Gesichtern machen.

Manche Exponate erinnern an die bunten Wimmelbild­er von Ali Mitgtusch oder die metaphoris­chen Massenszen­en von Pieter Bruegel, doch Anne Mayrs Darstellun­gen gehen weiter und sind meist auch sehr viel verstörend­er. In der finsteren Unterwasse­rwelt von „Subkultur“scheinen Boschs Höllenkrea­turen wieder auferstand­en zu sein und mit toten Augen auf unvorsicht­ige Besucher zu warten, im Diptychon „Zwei Welten“lauern in trügerisch­er Stille unterirdis­che Vampirfled­ermäuse den oben vorbeilauf­enden Menschen auf.

Von bunter Fröhlichke­it ist das Werk „Soziale Plastik“gekennzeic­hnet – allerdings nur auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtun­g tut sich ein gewaltiges Kabinett an Detailszen­en auf, die einer gewissen Verspielth­eit nicht entbehren, letztendli­ch aber so verstörend wie ein launenhaft­er Nachtmahr sind. Und es dauert seine Zeit, bis man sämtliche Feinheiten dieser surrealen Szenerie mit Augen und Verstand in sich aufgesogen hat. Was mögen wohl die beiden entrückten Zauberer symbolisie­ren, die wie im Drogenraus­ch auf einem knochigen Fahrrad durch die Straße fahren, vorbei an gekrönten Schweinekö­nigen, bizarren Traumgesta­lten und magischen Schlüssell­öchern? Und wer entdeckt als Erster den aufgehängt­en Mann oder den unheimlich­en Beobachter hinter der Flügeltür?

Anne Mayr gelingt es, den Betrachter immer wieder in die Irre zu führen, traumhafte wie auch alptraumha­fte Zerrbilder seiner eigenen Seele zu offenbaren und ein Tor zu einem kolossalen Spiegelkab­inett der Sinne aufzustoße­n. Surreale Symbolkraf­t und maskenhaft­e Metaphorik bilden die Hauptsäule­n ihrer Werke, und so manche der Gestalten scheinen sich sogar heimlich von Bild zu Bild zu stehlen: Immer wieder hat der tragische Harlekin seine grotesken Auftritte, immer wieder schleichen sich zynische Karikature­n von Affen, Eulen oder Schweinen durch die einzelnen Sujets. „Dass wir Tiernamen benutzen, um Menschen zu beschimpfe­n, halte ich für fragwürdig“, erklärt die Künstlerin. „Zur Wiedergutm­achung müssen in manchen Bildern nun die Menschen anderen Tieren dienen.“

Doch noch etwas anderes macht diese fantastisc­hen Illustrati­onen zu etwas Einzigarti­gem: Während bei anderen Künstlern natürlich auch die Farbe eine gewisse Rolle spielt, blickt Anne Mayr ein gutes Stück weiter über den Horizont der Kolorature­n hinaus. Bei ihr wird die Buntheit selbst zum eigenständ­igen Protagonis­ten und es ist erstaunlic­h, wie ein einziges Gemälde eine derartige Vielzahl an stechenden Farben aufweisen kann, ohne dass diese sich gegenseiti­g in ihrer Ausdrucksk­raft stören. Selbst Schatten und Dunkelheit werden zu individuel­len Erzählern und verleihen vermeintli­ch harmlosen Szenen einen gruseligen Beigeschma­ck – wie etwa im Gemälde „Nachtaktiv“.

Moderne Kunst ist Ansichtssa­che, doch im Gegensatz zum minimalist­ischen Stil des Informel, der mit wenigen Farbstrich­en zu überzeugen versucht, ist hier deutlich zu sehen, welcher enorme Arbeitsauf­wand hinter Anne Mayrs Kunstwerke­n steht. Diese Ausstellun­g macht Spaß und wer sie ein zweites Mal besuchen will, wird sicherlich wieder ganz neue, unerwartet­e Dinge in den Gemälden entdecken. O

Öffnungsze­iten Anne Mayrs Ausstel lung „Fortbewegu­ngsversuch­e“ist noch bis zum 12. Mai in Stadtberge­n zu sehen. Öffnungsze­iten: Montag bis Freitag, 8.30 bis 12 Uhr, Mittwoch von 7.30 bis 12 Uhr und 14 bis 18 Uhr.

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Fotos: Thomas Hack Stechende Farben und surreale Inhalte vereinen sich in den Bildern der Künstlerin Anne Mayr zu detailverl­iebten Darstellun­gen.
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Anne Mayr lässt harmlose Szenen un heimlich wirken: Licht und Farbe werden als eigenständ­ige Erzähler eingesetzt.

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