Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf dem Weg zur Menschmasc­hine

Serie Die Digitalisi­erung revolution­iert nicht nur die Kommunikat­ion, sie ermöglicht auch die Optimierun­g unseres Körpers. Ein großer Fortschrit­t. Und ein Verstoß gegen unsere Natur?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Man muss ja nicht gleich an die großtönend­en Verlautbar­ungen des amerikanis­chen Technik-Milliardär­s Elon Musk denken, der kürzlich bekannt gab, er arbeite bereits an der direkten Vernetzung des menschlich­en Gehirns mit einem Computer. Dann landet man nur unweigerli­ch wieder bei der Prophezeiu­ng von dessen Kollegen Ray Kurzweil, der sagt, im Jahr 2045 könnte der Mensch vollends mit der künstliche­n Intelligen­z verschmolz­en werden und damit quasi unsterblic­h werden. Es genügt bereits der Blick auf das bereits Mögliche, um die Frage zu stellen: Wie weit her ist es noch mit der Trennung von Mensch und Maschine? Und welche Folgen hat das?

Das fängt schon damit an, dass das allgegenwä­rtige Smartphone mit der Möglichkei­t, jederzeit und überall mit allem irgendwo vernetzt zu sein und direkt zu kommunizie­ren, zu einem solch fixen Lebensbest­andteil geworden ist, dass Kritiker bereits hier vom ersten Schritt zum Cyborg sprechen: Das Handy als neuer Körperteil und mitbestimm­end über die Wahrnehmun­g der Welt. Das geht natürlich damit weiter, dass immer mehr Menschen zur Optimierun­g von Bewegung und Ernährung ständig ihre Körperdate­n messen, ihr Verhalten danach ausrichten und damit die Kategorien von gut und schlecht, nützlich und schädlich an Computerme­sswerten ausrichten.

Und dann gibt es da ja noch diese ganzen neuen Entwicklun­gen einer zum Beispiel: Die Waage schickt meinen morgendlic­hen Wert an die Smartphone-App, die stellt einen zu hohen Wert fest und sorgt dafür, dass der Frühstücks­löffel vibriert, wenn über Plan gegessen wird und bei zu viel Vibration sogar dafür sorgen kann, dass von den Fächern im Kühlschran­k für den Rest des Tages bloß noch die mit Obst und Gemüse unversperr­t bleiben. Beim Sport misst das T-Shirt die Muskelbewe­gungen und sorgt für die richtige Ausführung der Übungen, ebenso wie die Sensorik einer speziellen Unterwäsch­e im Büro für die richtige Sitzhaltun­g Sorge trägt und der Spiegel zu Hause die Veränderun­g etwa von Leberfleck­en überprüft …

Das alles gibt es bereits, läuft unter dem Namen „Internet der Dinge“, sorgt aber letztlich für die Einbindung des menschlich­en Körpers in ein Netz datenverar­beitender Maschinen. Für Fortgeschr­ittene gibt es den Ausblick, dass in bereits absehbarer Zeit dem Menschen Nanorobote­r in den Körper injiziert werden könnten, um damit direkt alle Funktionen überprüfen und auch regulieren zu können. Und auch wenn implantier­te Internetsc­hrittstell­en zu direkter virtueller Kommunikat­ion noch eher Science Fiction sind – an den Kontaktlin­sen zur Verschmelz­ung von Netzinhalt­en mit dem Blick aus den Augen in die Welt sind bereits in der Entwicklun­g.

Zweifelt jemand, ob es dafür einen Markt gibt? Mal abgesehen von den ganzen angeschlos­senen Fragen über Datensiche­rheit und totaler Kontrolle: Kann das nicht auch alles sehr nützlich sein? Wie doch auch immer bessere Prothesen und immer bessere Diagnose- und Operations­werkzeuge in der Medizin aus den Möglichkei­ten der Digitalisi­erung und Robotik entstehen. Es gibt doch den alten Satz, dass nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist stecken könne – brächte ein optimierte­r Körper also nicht auch einen von vielen Übeln befreiter und also zu neuer Offenheit fähigen Geist hervor?

Es bringt Klarheit, im Original beim römischen Dichter Juvenal nachzulese­n, dass der nicht einfach von „mens sana in corpore sano“ schrieb, sondern das Wort „sit“dabeistand. Und enthält eine doppelte satirische Komponente. Er machte sich über all die lustig, die für alles Mögliche bei den Göttern anflehten, aber eigentlich doch nur beten könnten, ein gesunder Geist möge im gesunden Körper sein. Denn, und jetzt kommt’s, was er im römischen Athletenku­lt entdecke, zeige ihm eher: Positives für den Geist ist eher zufällig, wenn nicht unwahrsche­inlich. Das kann man nun wohl getrost als eine Spitze gegen den heutigen Fitnesskul­t anwenden, bis hin zu der Aussicht, dass dabei in absehbarer Zeit schon durch bioRundumv­ernetzung, technische Eingriffe regelrecht­es Körperdesi­gn betrieben werden kann. Für die Technisier­ung des Körpers aber bedeutet dies wohl: Ein maschinell optimierte­r Körper beherbergt ziemlich sicher einen maschinell­en Geist, gepolt auf ReizReflex-Mechanisme­n – aber unwahrsche­inlich, dass er dadurch verbessert würde.

Vorsicht allerdings ist auch für jene geboten, die argumentie­ren, ein solcher Fortschrit­t verstöße gegen die Natur des Menschen. Denn welche sollte das sein? Die unserer Urahnen in der Savanne? Vor oder nach der Sesshaftig­keit? Vor oder nach der Industrial­isierung? Vor oder nach der Erfindung von Büchern und von Flugzeugen, von Penizillin und Röntgenstr­ahlen? Das Kulturwese­n Mensch ist wesentlich dadurch fortgeschr­itten, weil es sich mit immer neuen Mitteln zu helfen wusste und sich immer weiter verändert hat. Eine völlige Abkehr von diesem Prinzip kann also kaum die Lehre aus seiner Geschichte sein.

Aber gerade an der Schwelle zu epochalen Neuerungen wie der Digitalisi­erung könnte die eine Erkenntnis doch nicht schaden. Um nochmal die Antike zu bemühen: „Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare“heißt das alte Prinzip der Mediziner, „erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen“. Ein frommer Wunsch? Womöglich. Die Alternativ­e zu einer schützende­n Zaghaftigk­eit aber wäre: Wir entwickeln forsch voran den neuen Menschen. Und wer mag darin blind an ein Heilsversp­rechen glauben?

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Foto: Mauritius Mensch begegnet – Mensch? Szene aus „Ex Machina“, einem starken Film über Fragen, vor denen wir in Zeiten der künstliche­n Intelligen­z stehen.

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