Augsburger Allgemeine (Land West)
Auf dem Weg zur Menschmaschine
Serie Die Digitalisierung revolutioniert nicht nur die Kommunikation, sie ermöglicht auch die Optimierung unseres Körpers. Ein großer Fortschritt. Und ein Verstoß gegen unsere Natur?
Man muss ja nicht gleich an die großtönenden Verlautbarungen des amerikanischen Technik-Milliardärs Elon Musk denken, der kürzlich bekannt gab, er arbeite bereits an der direkten Vernetzung des menschlichen Gehirns mit einem Computer. Dann landet man nur unweigerlich wieder bei der Prophezeiung von dessen Kollegen Ray Kurzweil, der sagt, im Jahr 2045 könnte der Mensch vollends mit der künstlichen Intelligenz verschmolzen werden und damit quasi unsterblich werden. Es genügt bereits der Blick auf das bereits Mögliche, um die Frage zu stellen: Wie weit her ist es noch mit der Trennung von Mensch und Maschine? Und welche Folgen hat das?
Das fängt schon damit an, dass das allgegenwärtige Smartphone mit der Möglichkeit, jederzeit und überall mit allem irgendwo vernetzt zu sein und direkt zu kommunizieren, zu einem solch fixen Lebensbestandteil geworden ist, dass Kritiker bereits hier vom ersten Schritt zum Cyborg sprechen: Das Handy als neuer Körperteil und mitbestimmend über die Wahrnehmung der Welt. Das geht natürlich damit weiter, dass immer mehr Menschen zur Optimierung von Bewegung und Ernährung ständig ihre Körperdaten messen, ihr Verhalten danach ausrichten und damit die Kategorien von gut und schlecht, nützlich und schädlich an Computermesswerten ausrichten.
Und dann gibt es da ja noch diese ganzen neuen Entwicklungen einer zum Beispiel: Die Waage schickt meinen morgendlichen Wert an die Smartphone-App, die stellt einen zu hohen Wert fest und sorgt dafür, dass der Frühstückslöffel vibriert, wenn über Plan gegessen wird und bei zu viel Vibration sogar dafür sorgen kann, dass von den Fächern im Kühlschrank für den Rest des Tages bloß noch die mit Obst und Gemüse unversperrt bleiben. Beim Sport misst das T-Shirt die Muskelbewegungen und sorgt für die richtige Ausführung der Übungen, ebenso wie die Sensorik einer speziellen Unterwäsche im Büro für die richtige Sitzhaltung Sorge trägt und der Spiegel zu Hause die Veränderung etwa von Leberflecken überprüft …
Das alles gibt es bereits, läuft unter dem Namen „Internet der Dinge“, sorgt aber letztlich für die Einbindung des menschlichen Körpers in ein Netz datenverarbeitender Maschinen. Für Fortgeschrittene gibt es den Ausblick, dass in bereits absehbarer Zeit dem Menschen Nanoroboter in den Körper injiziert werden könnten, um damit direkt alle Funktionen überprüfen und auch regulieren zu können. Und auch wenn implantierte Internetschrittstellen zu direkter virtueller Kommunikation noch eher Science Fiction sind – an den Kontaktlinsen zur Verschmelzung von Netzinhalten mit dem Blick aus den Augen in die Welt sind bereits in der Entwicklung.
Zweifelt jemand, ob es dafür einen Markt gibt? Mal abgesehen von den ganzen angeschlossenen Fragen über Datensicherheit und totaler Kontrolle: Kann das nicht auch alles sehr nützlich sein? Wie doch auch immer bessere Prothesen und immer bessere Diagnose- und Operationswerkzeuge in der Medizin aus den Möglichkeiten der Digitalisierung und Robotik entstehen. Es gibt doch den alten Satz, dass nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist stecken könne – brächte ein optimierter Körper also nicht auch einen von vielen Übeln befreiter und also zu neuer Offenheit fähigen Geist hervor?
Es bringt Klarheit, im Original beim römischen Dichter Juvenal nachzulesen, dass der nicht einfach von „mens sana in corpore sano“ schrieb, sondern das Wort „sit“dabeistand. Und enthält eine doppelte satirische Komponente. Er machte sich über all die lustig, die für alles Mögliche bei den Göttern anflehten, aber eigentlich doch nur beten könnten, ein gesunder Geist möge im gesunden Körper sein. Denn, und jetzt kommt’s, was er im römischen Athletenkult entdecke, zeige ihm eher: Positives für den Geist ist eher zufällig, wenn nicht unwahrscheinlich. Das kann man nun wohl getrost als eine Spitze gegen den heutigen Fitnesskult anwenden, bis hin zu der Aussicht, dass dabei in absehbarer Zeit schon durch bioRundumvernetzung, technische Eingriffe regelrechtes Körperdesign betrieben werden kann. Für die Technisierung des Körpers aber bedeutet dies wohl: Ein maschinell optimierter Körper beherbergt ziemlich sicher einen maschinellen Geist, gepolt auf ReizReflex-Mechanismen – aber unwahrscheinlich, dass er dadurch verbessert würde.
Vorsicht allerdings ist auch für jene geboten, die argumentieren, ein solcher Fortschritt verstöße gegen die Natur des Menschen. Denn welche sollte das sein? Die unserer Urahnen in der Savanne? Vor oder nach der Sesshaftigkeit? Vor oder nach der Industrialisierung? Vor oder nach der Erfindung von Büchern und von Flugzeugen, von Penizillin und Röntgenstrahlen? Das Kulturwesen Mensch ist wesentlich dadurch fortgeschritten, weil es sich mit immer neuen Mitteln zu helfen wusste und sich immer weiter verändert hat. Eine völlige Abkehr von diesem Prinzip kann also kaum die Lehre aus seiner Geschichte sein.
Aber gerade an der Schwelle zu epochalen Neuerungen wie der Digitalisierung könnte die eine Erkenntnis doch nicht schaden. Um nochmal die Antike zu bemühen: „Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare“heißt das alte Prinzip der Mediziner, „erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen“. Ein frommer Wunsch? Womöglich. Die Alternative zu einer schützenden Zaghaftigkeit aber wäre: Wir entwickeln forsch voran den neuen Menschen. Und wer mag darin blind an ein Heilsversprechen glauben?